23.12.2024, 14:23 Uhr
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Die Sorge vor einer Rezession in Deutschland ist an den Finanzmärkten virulent. Stark beachtet wird in diesem Zusammenhang der ZEW-Index der Konjunkturerwartungen. Dieser ist im August wie schon im Juli stärker gefallen als erwartet. "Das jetzt erreichte Niveau sollte man aber nicht für bare Münze nehmen", hält Jörg Angelé, Senior Analyst von Bantleon, den Ängsten entgegen.
Der von Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) erhobene ZEW-Index der Konjunkturerwartungen in Deutschland fiel im August starke 19,6 Punkte auf minus 44.1. Ökonomen hatten im Schnitt mit einem Rückgang auf minus 30 vorausgesagt. Der neue Index vom liegt weiter deutlich unter dem langfristigen Mittelwert von 21,6 Punkten. ZEW-Präsident Achim Wambach erklärte zur Veröffentlichung der Daten vergangene Woche: "Die ZEW-Konjunkturerwartungen zeigen einen erheblich verschlechterten Ausblick für die deutsche Konjunktur."
Die erneute Eskalation im Handelsstreit zwischen den USA und China, das damit verbundene Risiko eines globalen Abwertungswettlaufs sowie die gestiegene Wahrscheinlichkeit für einen No-Deal-Brexit träfen auf ein ohnehin abgeschwächtes Wirtschaftswachstum. "Die Entwicklung der deutschen Exporte und der Industrieproduktion dürfte sich weiter verschlechtern", erwartet Wambach.
Wer hat Angst vor dem ZEW-Index? Diese Frage ist in den Augen von Jörg Angelé, Senor Analyst Economic Research von Bantleon gerade nach den August-Zahlen berechtigt. Das jetzt erreichte niedrige Niveau (-44.1 Punkte) sollte man seiner Meinung nach jedoch nicht für bare Münze nehmen. Die grösste Krise seit dem Jahr 2012 steht aus Sicht von Bantleon, bekannt geworden als Fixed-Income-Haus, nicht auf der Agenda. Das hat nach dessen Ansicht im Wesentlichen mit der Konstruktion beziehungsweise dem Wesen des ZEW-Index zu tun.
Bei den ZEW-Konjunkturerwartungen handelt es sich um eine Umfrage unter Finanzmarktanalysten, schreibt Jörg Angelé. Das Barometer ist daher stark durch die Finanzmärkte geprägt und nicht nur von der Entwicklung der "harten" Konjunkturdaten. In der Vergangenheit führte das dazu, dass der Index zwar konjunkturelle Wendepunkte tendenziell früher signalisierten als beispielsweise der ifo-Geschäftsklimaindex oder die Einkaufsmanagerindizes (EMI). Dafür ist der ZEW-Index deutlich schwankungsanfälliger, und man kann aus den Ausschlägen nach oben und unten nicht unbedingt auf das Ausmass einer Konjunktureintrübung beziehungsweise -belebung schliessen.
Darüber hinaus seien die ZEW-Konjunkturerwartungen zuletzt übermässig von politischen Ereignissen geprägt worden. Anders sei es nur schwer zu erklären, dass Finanzmarktanalysten in ihren Erwartungen inzwischen kaum weniger pessimistisch sind als zu Zeiten der Finanzmarktkrise in den Jahren 2008 und 2009 bzw. auf dem Höhepunkt der Euroschuldenkrise 2012. Bantleon hält die Ängste für übertrieben, die Lage sei besser als die Stimmung. "Es gibt gute Gründe dafür, dass sich die Situation für die deutsche Industrie bald zum Besseren wenden wird", sagt Angele. Der ZEW-Index berge deshalb erhebliches Aufwärtspotenzial.
Für die deutsche Wirtschaft spreche zum Beispiel die Entwicklung des Auftragseingangs im verarbeitenden Gewerbe. Ein Blick in die Details zeige, dass das Minus bei den Bestellungen aus den Euroländern mit gut 15% um ein Vielfaches grösser sei als bei den Bestellungen aus dem übrigen Ausland (-3%). "Damit zeigen die harten Daten, dass die deutsche Industrie vor allem unter einer Nachfrageschwäche aus der Eurozone leidet. Gerade hier sollte sich aber der Abwärtstrend nicht fortsetzen."
Weshalb nicht, erklärt Angelé mit Hinweis auf die drei wichtigsten Abnehmerländer deutscher Exporte in der Eurozone, Frankreich, Italien und die Niederlande. Das Trio, das zusammen mehr als 20% aller deutschen Ausfuhren beziehungsweise mehr als 57% der deutschen Ausfuhren in die Eurozone aufnimmt, gab zuletzt zahlreiche positive Konjunktursignale zu erkennen. So hat die französische Wirtschaft die Gelbwesten-Proteste vom Winter inzwischen weggesteckt, und in Italien gibt es Anzeichen für eine konjunkturelle Aufhellung. Das niederländische BIP ist im 2. Quartal zum dritten Mal in Folge um 0.5% gegenüber dem Vorquartal gewachsen, womit sich die Niederlande neben Spanien zum wirtschaftlichen Powerhouse in der Eurozone entwickeln.
Zudem ist nicht nur die Geld-, sondern auch die Fiskalpolitik ist in weiten Teilen der Eurozone wieder expansiv ausgerichtet. Dass die Entwicklung abseits der Industrie nach wie vor solide ist, zeige auch die Schnellschätzung zum deutschen Bruttoinlandsprodukt für das 2. Quartal. Wie erwartet ging zwar die Wirtschaftsleistung um 0,1% gegenüber dem Vorquartal zurück, angesichts des Einbruchs der Industrieproduktion im Vorquartalsvergleich (-1.9%)sei das allerdings ein passables Ergebnis. Nachfrageseitig spiegle sich die Industrieschwäche vor allem in einem negativen Wachstumsbeitrag des Aussenhandels. Positive Impulse kamen dagegen von den privaten und staatlichen Konsumausgaben.
"Daran dürfte sich in den nächsten Quartalen wenig ändern", ist Angelé überzeugt. Er verweist auf das starke Ergebnis beim Einzelhandelsumsatz im Juni (+3.1% gegenüber Mai), der einen kräftigen Zuwachs der privaten Konsumausgaben im 3. Quartal erwarten lasse. Weil die Reallöhne dank der relativ hohen Tarifabschlüsse wohl noch für längere Zeit merklich steigen würden, bleibe der private Konsum Konjunkturstütze Nummer eins.
Trotz der zuletzt negativen Botschaft des ZEW-Index und, wie Bantleon anfügt, auch des ifo-Geschäftsklimas, sollte sich die deutsche Konjunktur in den nächsten Quartalen wieder aufwärtsbewegen. Die Voraussetzung dafür sei jedoch, dass eine Eskalation im Handelsstreit vermieden wird. "Einen neuerlichen Rückgang des BIP im laufenden Quartal, womit sich die deutsche Wirtschaft nach Finanzmarktdefinition in einer Rezession befände, erwarten wir jedenfalls nicht. Momentan erscheint ein Zuwachs der Wirtschaftsleistung um 0.2% bis 0.4% gegenüber dem Vorquartal plausibel", hält das Finanzhaus abschliessend fest.