23.12.2024, 08:37 Uhr
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Die globale Inflation wirkt sich auch auf die die Schwellenmärkte aus. Doch unter Umständen seien die meisten von ihnen aufgrund ihrer jüngeren Erfahrung mit starken Preissteigerungen den Industrieländern in der Bekämpfung der Inflation voraus, meint Carlos de Sousa von Vontobel.
Die Industrieländer erleben derzeit den stärksten Inflationsschub seit vier Jahrzehnten, ausgelöst durch eine Kombination von Angebots- und Nachfragefaktoren. Die Preise steigen, wenn das Angebot der wachsenden Nachfrage nicht mehr gerecht wird. Die übermässigen geldpolitischen und steuerlichen Anreize während der Pandemie sowie die aufgestaute Nachfrage nach Dienstleistungen treiben die Preise auf der Nachfrageseite in die Höhe. Gleichzeitig führen auf der Angebotsseite Einschränkungen entlang der globalen Lieferketten aufgrund von Lockdowns sowie der Mangel an Investitionen in Energierohstoffe im vergangenen Jahrzehnt nun zu einer unzureichend flexiblen Versorgung mit Waren und Energie. Hinzu kommen Sanktionen, die die Energiesicherheit beeinträchtigen oder gefährden.
"Die Zentralbanken können das Angebot von Waren und Dienstleistungen nicht erhöhen, um die Preise zu senken. Ihre einzige Option besteht darin, die Gesamtnachfrage durch eine Eindämmung des Kredit- und Geldmengenwachstums zu verringern. Zu diesem Zweck heben sie die Zinssätze an, sodass Banken weniger Kredite vergeben und Privatpersonen und Unternehmen aufgrund der höheren Finanzierungskosten ihre Kredit- und Investitionstätigkeit reduzieren. Die Folge ist häufig eine Rezession, die zu einem Rückgang der Inflation führt", erklärt Carlos de Sousa, Schwellenländerstratege und Portfoliomanager bei Vontobel.
Ist die Inflation nur ein wenig zu hoch, reicht eine leichte Zinsanhebung aus, um die Gesamtnachfrage abzuschwächen und die Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht mit einer niedrigen Inflation zu bringen. "Doch wenn die Teuerung plötzlich rasant zunimmt und die Zentralbanker überrascht – die zudem unter Umständen in ihrer bisherigen Laufbahn nicht mit einem so drastischen Anstieg konfrontiert waren –, sind schnellere und kräftigere Zinserhöhungen geboten, um der Inflation Einhalt zu gebieten. In diesem Fall erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Rezession", so de Sousa weiter.
Die globale Inflation wirkt sich auch auf die Schwellenmärkte aus – eine sehr grosse, sehr vielfältige Gruppe von Ländern. Die gewichtete durchschnittliche Inflation der 15 grössten Schwellenmärkte lag im Juni bei 8,2%, ein Anstieg von 3,4% gegenüber dem Vorjahr, doch überraschenderweise unter dem Vergleichswert der Industrieländer von 8,3%. Einige Schwellenländer seien, ähnlich wie die Industriestaaten, möglicherweise mit den Konjunkturmassnahmen im Jahr 2020 über das Ziel hinausgeschossen. Doch unter Umständen seien die meisten von ihnen aufgrund ihrer jüngeren Erfahrung mit starken Preissteigerungen den Industrieländern in der Bekämpfung der Inflation voraus, meint der Schwellenländerstratege. Die meisten Zentralbanken der Schwellenmärkte haben die Zinsen bereits im vergangenen Jahr angehoben, teilweise sehr deutlich.
Wie de Sousa weiter erläutert, entwickelt sich Brasilien im aktuellen Konjunkturzyklus besser als andere Länder. Angesichts der relativ geringen pandemiebedingten Beschränkungen und recht hoher geld- und steuerpolitischer Anreize, hatte sich Brasiliens Wirtschaft bis Dezember 2020 – und somit wesentlich früher als die meisten anderen Länder – vollständig erholt. Angesichts der frühen Wiedereröffnung seiner Wirtschaft machte sich die Inflation im ersten Halbjahr 2021 auch stärker bemerkbar als anderswo.
Die brasilianische Notenbank reagierte schnell und entschlossen. Sie erhöhte die Zinsen von 2% im März 2021 auf 13,25% im vergangenen Monat. Im zweiten Quartal 2021 verzeichnete die Volkswirtschaft einen leichten BIP-Rückgang (0,2 Prozent). Das Wachstum fällt seitdem schwach aus, doch die Arbeitslosenzahlen gehen weiter zurück. Die Inflation ist aufgrund globaler Faktoren und trotz der Zinserhöhungen noch immer sehr hoch (10,8% im Juni). Die Gefahr einer Stagflation wird nach Meinung de Sousas für das Land wahrscheinlich erst dann gebannt sein, wenn sich die weltweite Inflation abschwächt. Dann dürfte die brasilianische Notenbank ihre geldpolitischen Zügel allmählich lockern und den Kreditfluss wieder anregen können.
Andere Schwellenländer haben möglicherweise eine ähnliche Entwicklung durchgemacht, insbesondere diejenigen, deren Wirtschaft überhitzt zu sein scheint – die Gesamtnachfrage das Angebot also übersteigt. Dies betrifft zum Beispiel Chile und Kolumbien. "Eine Rezession lässt sich unter Umständen noch in den Ländern verhindern, in denen die Anreizmassnahmen moderat ausfielen und die Wirtschaft noch Kapazitäten hat, um die weitere Nachfrageerholung abzufedern", meint der Schwellenländerstratege.
Während die Industrienationen schwächeln, dürfte sich seiner Meinung nach Chinas Wirtschaft darüber hinaus im Zuge einer schliesslich vollständigen Wiedereröffnung erholen, sobald sich das Land von seiner Nulltoleranzpolitik in Bezug auf Covid-19 verabschiedet hat. Damit sei 2023 zu rechnen – nach der Wiederwahl von Xi Jinping im November 2022 und weiteren Fortschritten bei der Impfkampagne. China ist der grösste bzw. der zweitgrösste Handelspartner nahezu aller Schwellenländer. Für die meisten von ihnen dürfte ein Wiedererstarken der chinesischen Wirtschaft daher die Belastung durch die zu erwartenden Rezessionen in den USA und Europa dämpfen.