23.12.2024, 08:37 Uhr
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Stagflation und Rezession dämpfen die Aussichten für Industrieländer. China bleibt laut Fidelity International die Diversifizierungsoption. Angesichts der unsicheren geo- und geldpolitischen Gemengelage bleiben extreme Ausschläge an den Märkten wahrscheinlich.
Durch den Krieg zwischen Russland und der Ukraine wird die Weltordnung in wirtschaftlicher wie geopolitischer Hinsicht neu aufgestellt. Kurzfristig verschärfen der davon ausgehende Schock für Handel und Finanzmärkte sowie die Sanktionen den Inflationsdruck rund um den Globus.
"Darunter dürfte nicht nur das Wachstum, sondern auch das Vertrauen leiden – in welchem Ausmass und wie lange, lässt sich derzeit nicht mit Gewissheit sagen. Europa ist die vom Ukraine-Konflikt am stärksten betroffene Region, weshalb zumindest eine leichte Rezession sehr wahrscheinlich ist. Die Auswirkungen auf die USA halten sich bislang zwar in Grenzen. Aber auch die grösste Volkswirtschaft der Welt ist nicht immun, insbesondere nicht gegen die inflationstreibenden Folgen des Krieges", sagt Salman Ahmed, Global Head of Macro bei Fidelity International.
Im zweiten Quartal werden aus Sicht von Fidelity drei Anlagethemen im Mittelpunkt stehen.
1. "Die Dauer des Ukraine-Krieges wird die wirtschaftliche Entwicklung wesentlich beeinflussen": Der Krieg in der Ukraine hat schon jetzt erheblichen wirtschaftlichen Schaden angerichtet und wird die Aussichten für die Weltwirtschaft und insbesondere für Europa kurzfristig weiter trüben. Wie sich die Wirtschaft im nächsten Quartal entwickelt, wird erheblich davon abhängen, wie schnell eine Lösung des Konflikts gefunden wird und die Sanktionen aufgehoben werden.
Unterdessen hätten sich alle Hoffnungen auf wieder sinkende Energiepreise und ein Abklingen der Lieferkettenprobleme zerschlagen, so Ahmed. Alle diese Entwicklungen werden seiner Ansicht nach das Wachstum weiter bremsen und die ohnehin hohe Inflation zusätzlich anfachen. "Für die politischen Entscheidungsträger und die Märkte stellt das eine extrem komplexe Gemengelage dar. Aus unserer Sicht haben die Marktteilnehmer die ganze Bandbreite der möglichen Entwicklungen zum Positiven wie Negativen noch nicht eingepreist. Wir raten Anlegern daher zu flexiblen Strategien und dem Einsatz von Absicherungsinstrumenten, wo dies sinnvoll ist", fügt er an.
2. "Comeback der Volcker-Doktrin": Das zweite grosse Thema für die Märkte im nächsten Quartal und im weiteren Jahresverlauf sei die Herkulesaufgabe, die nun vor den Zentralbanken liege. Sie müssen den steilen Anstieg der Preise infolge der neuen geopolitischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bremsen. Die drei grossen Notenbanken der Industrieländer sind daher auf einen restriktiven geldpolitischen Kurs umgeschwenkt. In den USA beruft sich die Federal Reserve auf die Politik ihres früheren Vorsitzenden Paul Volcker, der die galoppierende Inflation in den 1980er Jahren zähmte. Den Startschuss für ihren Kurswechsel gab die amerikanische Zentralbank bei der Sitzung des Offenmarktausschusses im März. die Expertinnen und Experten von Fidelity erwarten, dass die Fed anfänglich stark an der Zinsschraube drehen und die EZB ihre restriktive Tonlage beibehalten wird. Aber der durch den Krieg verursachte Wachstumsschock und die weiter erforderlichen Negativzinsen dürften dafür sorgen, dass die Währungshüter ab der Jahresmitte wieder eine gemässigtere Haltung einnehmen werden.
All das könnte laut den Experten die Weichen für ein schwieriges Quartal für Risikoanlagen in den Industrieländern stellen. Dort sollten sich Anleger auf eine sehr wahrscheinliche Stagflation und in Europa auf eine Rezession einstellen. Eine vorsichtige Herangehensweise an Risikoanlagen sei daher in der aktuellen Phase von zentraler Bedeutung.
3. "Umfeld begünstigt Outperformance chinesischer Vermögenswerte – aber das hier ist nicht 2008": Anlagen in China könnten sich laut Fidelity gut zur Diversifizierung eignen. Das Land ist geografisch und wirtschaftlich weiter vom Krisenherd entfernt, es könnte seine Geld- und Fiskalpolitik noch weiter lockern und die Bewertungen seien attraktiver als an vielen anderen Märkten.
Aber zugleich blieben grosse Unwägbarkeiten. Peking konzentriere sich auf den Schuldenabbau, die Reform des Immobiliensektors und ein nachhaltiges Wachstum. Deshalb seien die Aussichten nun nicht mehr ganz so rosig wie während der Finanzkrise 2008. "Jedenfalls erwarten wir nicht, dass China wie damals die 'Absicherung nach unten' übernehmen und die Weltwirtschaft vom Stagflationskurs abbringen wird", sagen die Experten.
Multi Asset: Wegen der kurzzeitigen Ungewissheit rund um das Weltwirtschaftswachstum hat Fidelity Unternehmensanleihen und Aktien inzwischen untergewichtet. Besonders zurückhaltend ist der Asset Manager gegenüber Aktien aus Europa und dem Euro, denn auf dem alten Kontinent sei mit einer Rezession zu rechnen.
Positiver schätzt Fidelity die Aussichten für Aktien aus Schwellenländern, China eingeschlossen, sowie aus dem asiatisch-pazifischen Raum (ohne Japan) ein. Auch für bestimmte Schwellenländerwährungen sei der Ausblick günstiger, da sie eine Möglichkeit der Diversifizierung böten, und es Rückenwind für rohstoffexportierende Länder geben könnte. Ausserdem hat Fidelity den US-Dollar übergewichtet. Der Greenback dürfte zum einen vom Zinsgefälle profitieren, weil sich die Fed weiter auf die Inflation konzentriere, und zum anderen von seinen defensiven Merkmalen, mit denen er Schutz biete, wenn sich die Lage verschlechtere.
Aktien: Wegen der wachsenden geopolitischen Spannungen und Stagflationsrisiken hält es Fidelity für die beste Strategie, sich auf Qualitätsunternehmen statt die Sektorauswahl zu konzentrieren. Unternehmen mit Preissetzungsmacht, die ihre Margen schützen können, dürften sich im aktuellen Umfeld relativ gut entwickeln. Aktien sollten für Anleger eine gute Ertragsquelle bleiben, nachdem die Unternehmen ihre durch die Pandemie stark belasteten Bilanzen wieder gestärkt haben.
Gegenüber europäischen Aktien sind die Expertinnen und Experten wegen der Gefahr einer Rezession zurückhaltend. Einige Schwellenländer könnten sich ihrer Meinung nach dagegen zur Diversifizierung anbieten, vor allem jene, denen die stark gestiegenen Rohstoffpreise zugutekommen. Bestimmte Aktiensegmente in China erscheinen ihnen günstig, aber die Volatilität sei sehr hoch und Extremrisiken sind wahrscheinlicher geworden.
Anleihen: Die Stagflation ist auch für Anleihen eine Herausforderung. Einige Festzinssegmente kommen jedoch aus Sicht von Fidelity mit steigenden Zinsen und schwächerem Wachstum besser zurecht. Inflationsgeschützte Anleihen dürften sich nach wie vor relativ gut entwickeln, sofern die Inflationserwartungen steigen. Günstig ist auch der Ausblick des Asset Managers für auf Euro lautende Investment-Grade-Anleihen, was mit ihren defensiveren Eigenschaften und attraktiveren Bewertungen zu tun habe.
"Anleihenanleger sollten die Duration nicht scheuen. Bei den Nominalrenditen sehen wir wegen der Zurückhaltung bei Refinanzierungen, geldpolitischer Massnahmen und der Nachfrage nach sicheren Anlagen nur begrenztes Aufwärtspotenzial. Aus unserer Sicht ist 2022 eher nicht mit Zinserhöhungen der EZB zu rechnen, auch wenn von ihr im März erneut restriktive Äusserungen zu hören waren. Wir sehen daher Wertpotenzial bei Staatsanleihen europäischer Kernländer. Vorsichtiger sind wir mit Blick auf China. Dort gibt der Immobilienmarkt weiter Anlass zur Sorge, und mit anhaltenden Schwankungen ist zu rechnen", erwarten die Expertinnen und Experten von Fidelity.
Insgesamt hat das Stagflationsrisiko mit dem Krieg in der Ukraine zugenommen, der den Wachstumsmotor weltweit und insbesondere in Europa ins Stocken bringt. Hinzu kommen Unsicherheiten, was die Dauer des Krieges und Lösungen zu seiner Beilegung anbelangt. "Der Konflikt facht den Inflationsdruck an und stellt damit die politischen Entscheidungsträger vor noch grössere Herausforderungen. Seit Jahresbeginn haben wir unsere Risikopositionen daher reduziert und konzentrieren uns auf Regionen, Sektoren und Anlageklassen, die in einem äusserst unsicheren Umfeld mit langsamerem Wachstum und steigender Inflation neben Erträgen auch einen gewissen Schutz bieten können", zieht Salman Ahmed Fazit.