04.12.2024, 10:51 Uhr
«Während die Märkte von einer lockeren Geldpolitik beflügelt werden, drohen politische Umwälzungen in den USA sowie geopolitische Spannungen», schreibt Nicolas Forest, Chief Investment Officer bei Candriam in...
Auf die Extremschwankungen während den Neujahrsfeiertagen in China folgte ein respektabler Erholungsversuch an den Finanzmärkten. Zuvor hatte die US-Notenbank erstmals eine mögliche Kurskorrektur angedeutet. Weitere beschwichtigende Notenbanker-Kommentare hielten im direkten Anschluss daran den positiven Stimmungswandel an den Börsen aufrecht. Ob diesen Worten auch wirksame Taten folgen werden, bleibt allerdings noch abzuwarten, schätzt Mikio Kumada von LGT die Lage ein.
Eine Reihe von geldpolitischen Andeutungen und Versprechungen beflügeln seit vergangenen Freitag die Hoffnungen der Anleger und damit auch die Aktien- und Rohstoffmärkte, während sogenannte krisensichere Häfen, wie etwa Gold oder der Yen, einen Teil ihrer jüngsten Gewinne wieder abgegeben haben. Auch gab es Spekulationen über mögliche, koordinierte Notenbankaktionen zur Stabilisierung der Märkte während oder nach dem G20-Finanzministertreffen am 26./27. Februar.
Zuerst liess Janet Yellen aufhorchen, als sie am vergangenen Freitag im US-Senat aussagte, dass Negativzinsen auch in den USA «nicht vom Tisch» seien. Damit implizierte die Fed-Chefin erstmals, dass sie gegebenenfalls sogar einen kompletten Kurswechsel vollziehen und die, erst im Dezember in Angriff genommene, Zinsnormalisierung wieder rückgängig machen könnte. Gleichentags sprach Bank of Japan-Vizegouverneur Hiroshi Nakaso in New York davon, dass Japans Negativzinsen noch weiter gesenkt werden können. Er lehnte zudem die Vorstellung ab, dass die Wertpapierkäufe der Bank of Japan (BOJ) langsam an ihre Grenzen stossen könnten und betonte, dass die BOJ in «engem Austausch» mit den anderen Notenbanken stehe. Parallel dazu wurde in den Medien ein Statement-Entwurf der Europäischen Union zitiert, in welchem die G20-Staaten «dringend» zu Massnahmen zur Stärkung der Weltkonjunktur aufrufen. Am Samstag brach dann auch noch der chinesische Notenbank-Gouverneur Zhou Xiaochuan sein langes Schweigen: Chinas Zahlungsbilanz sei stark, die Kapitalabflüsse seien normal und der Wechselkurs sei gegenüber den Handelspartner-Währungen insgesamt stabil geblieben, beruhigte er. Am Montag war schliesslich der Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi an der Reihe. Die EZB werde «nicht zögern», gegebenenfalls weitere Lockerungsschritte zu ergreifen, wiederholte er im EU-Parlament.
Die Aussagen enthalten bei näherer Betrachtung nichts wirklich Neues
Mikio Kumada, CIIA, Global Strategist bei LGT, bleibt diesbezüglich skeptisch. Negativzinsen wurden auch in den USA nie ausgeschlossen, während selbst Japans Entscheidung vom 29. Januar, Negativzinsen einzuführen, in der Praxis nur einen behutsamen Lockerungsschritt darstellte. Vor den diesjährigen Turbulenzen hätten solche moderaten Anpassungen vielleicht noch ausgereicht. Inzwischen implizieren diverse Finanzmarktsegmente (u.a. Rohstoffe, inflationsgekoppelte Anleihen, Risikoprämien) jedoch einen merklich eingetrübteren Ausblick. Die Notenbanken scheinen den Erwartungen also nur mehr hinterherzulaufen, statt sie massgeblich zu steuern. Um eindeutig reflationäre Erwartungen an den Märkten zu schüren, müssten sie jetzt deutlich stärkere Signale setzen. Anderenfalls dürfte das Risiko einer globalen Rezession wohl weiter steigen.
Die aktuelle Erholung dürfte temporärer Natur sein
Eine Wiederbelebung der alten Hausse können wir natürlich trotzdem nicht ganz ausschliessen. Die gute Nachricht lautet schliesslich, dass es grundsätzlich weiter in der Macht der Notenbanken liegt, eine Wende herbeizuführen. Zahlreiche empirische Studien belegen, dass die Geldpolitik das nominale Bruttoinlandsprodukt (NBIP) steuern kann (Beispiel: The Use of a Monetary Aggregate to Target Nominal GDP). Die schlechte Nachricht lautet, dass NBIP-Targeting noch kein allgemein akzeptiertes geldpolitisches Rezept darstellt (auch wenn es in den letzten Jahren als modernisierte Version des klassischen Monetarismus mehr Anerkennung fand). Den Zentralbanken dürfte es aber auch aus praktischen Gründen schwerfallen, rechtzeitig wirkungsvoll zu handeln. Sie müssten nämlich entweder über ihren Schatten springen und einen Kurswechsel vollziehen (Fed), oder die selbst geschürten Markterwartungen nochmals übertreffen (EZB). So heissen wir den Stimmungswandel an den Börsen und den guten Willen der Notenbanken grundsätzlich willkommen. Was die potenzielle Dauer des aktuellen Aufschwungs betrifft, bleibt Kumada jedoch weiter eher skeptisch.
Das künftige nominale Bruttoinlandsprodukt (NBIP) ist von grosser Bedeutung, da es die Basis aller Unternehmenserträge, Dividenden, Zinszahlungen, Kredittilgungen und somit die Grundlage aller Kreditratings und Bilanzbewertungen darstellt. Ein schwächeres NBIP führt folglich ab einem bestimmten Punkt sukzessive zu zusätzlichen Problemen im schlimmsten Fall zu weiteren Bankenkrisen. So überrascht es nicht, dass genau diese Art von Sorgen in den vergangenen Wochen an den Märkten plötzlich wieder zum Vorschein kam (u.a. im Zusammenhang mit der Bilanzqualität und/oder möglichen Liquiditätsengpässen bei gewissen europäischen Grossbanken).
Einige der aktuellen Ängste sind übertrieben
Bei LGT glaubt,man dass diese konkreten möglichen Probleme derzeit sicherlich überbewertet sind. Eine globale Rezession stellt aus unserer Sicht nach wie vor nur ein Risiko und keinesfalls unsere Grunderwartung für die nahe Zukunft dar. Gleichzeit ist aber auch klar, dass man heute mit noch weniger zukünftigem Wachstum rechnen muss, als noch vor einigen Monaten.
Konkret hatte LGT in der letzten Analyse der Unternehmensgewinne und des globalen NBIPs (LGT Beacon, 11. November 2015) noch eine konstruktive Haltung eingenommen. Man sah «ausreichend Hoffnung» auf eine Erholung des Gewinnwachstums im laufenden Jahr allerdings unter folgenden Voraussetzungen:
Die Grundüberlegung bestand darin, dass sich unter diesen Bedingungen das Welt-NBIP in diesem Jahr erholen müsste, nachdem es 2015 einen seltenen (und ungewöhnlich hohen) Rückgang verzeichnet hatte. Die negativen Basiseffekte aus dem plötzlichen Rohstoffpreisverfall und der USD-Stärke des Vorjahres müssten jedoch perspektivisch allmählich wieder verblassen. Parallel dazu müssten sich auch die globalen Unternehmensgewinne, die im vergangenen Jahr natürlich von den gleichen Faktoren belastet wurden, entsprechend erholen.
Die Wahrscheinlichkeit einer Erholung sinkt
Doch während die Fed im Dezember tatsächlich wie geplant die Zinsen anhob, haben sich die beiden letztgenannten Punkte in die falsche Richtung entwickelt. Dies könnte früher oder später natürlich auch Rückwirkungen auf die US-Wirtschaft haben und damit möglicherweise auch den ersten Punkt ungültig machen. Die Rohölpreise sind seit November um rund weitere 35% eingebrochen, während Chinas Börsenpanik im Januar diverse globale Makroängste erneut verstärkte. Das könnte letztlich schwerer wiegen als die Tatsache, dass die Aktienmärkte von Shanghai und Shenzhen von vergleichsweise geringer Bedeutung sind und Chinas Wirtschaftsdaten seitdem dem Szenario einer graduellen Stabilisierung eigentlich nicht widersprechen.
Sei es, wie es sei, inzwischen hat sich an den Märkten eine negative Rückkopplungsschleife etabliert. Und zumindest solange die Öl-Baisse mit unverminderter Intensität anhält, erscheint die relativ deutliche Erholung des globalen NBIP, wie sie u.a. derzeit noch vom Internationalen Währungsfonds prognostiziert wird, weniger wahrscheinlich, als noch vor wenigen Monaten (siehe PDF, Seite 2). Unter diesen Umständen sind auch die aktuellen Konsenserwartungen der Analysten für die Unternehmensgewinne der nächsten zwölf bis 24 Monate einfach zu hoch. Wie in der Tabelle auf Seite 4 im PDF angezeigt, implizieren die aktuellen Konsensschätzungen je nach Region jährliche Wachstumsraten von gut 10% bis 25%.