23.12.2024, 08:37 Uhr
Der Spezialkunststoff-Hersteller Gurit will sich künftig ganz auf profitablere Regionen und Geschäftsbereiche konzentrieren. Im Zuge der angekündigten Restrukturierung sollen Werke in Dänemark, Indien und der...
Wie der Parteienstreit in den USA nicht nur den Staatsfinanzen schadet, sondern auch eine strukturell höhere Inflation verursacht, beschreibt Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities bei Neuberger Berman im jüngsten CIO Weekly.
Vergangene Woche wurden in den USA neue Inflationszahlen veröffentlicht. Weil das Barrel Rohöl wieder 90 US-Dollar kostet und die Benzinpreise steigen, ist die Teuerung erstmals seit drei Monaten wieder gestiegen. Das war im Wesentlichen auch erwartet worden.
Die monatlichen Inflationszahlen sind wichtig für die Entscheidungen der Fed auf ihrer nächsten Offenmarktausschusssitzung. Ebenso wichtig sind aber andere Entwicklungen und ihre Folgen für Wachstum und Inflation.
Im August schrieb ich über einen möglichen Streik der amerikanischen Automobilarbeitergewerkschaft United Auto Workers (UAW). Aktuell geht es um den drohenden Government Shutdown in den USA. Schon am 1. Oktober, könnte es so weit sein.
Der UAW-Streik ist symptomatisch für ein Jahr mit selbstbewussten Gewerkschaften, die bisweilen kräftige Lohnerhöhungen durchgesetzt haben. Die Unternehmen scheinen zu Lohnerhöhungen bereit – wenn sich die Gewerkschaft bei Forderungen kompromissbereit zeigt, die der Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit der Autohersteller langfristig schaden könnten.
Kurzfristig dämpft ein Streik vor allem die Konjunktur: Manche Analysten gehen davon aus, dass jede Streikwoche das BIP-Wachstum um etwa 0,2 Prozentpunkte schwächt. Längerfristig treibt der Arbeitskampf aber die Inflation. Schliesslich steigen die Löhne strukturell, und sie sind nun einmal eine wichtige Kostenkomponente der meisten Unternehmen.
Ähnliche Folgen könnte auch ein Government Shutdown haben. Goldman Sachs schätzt, dass auch er das Wirtschaftswachstum jede Woche um 0,2 Prozentpunkte dämpft. Wenn sich die Politiker endlich einigen, werden diese Einbussen wettgemacht. Im Grunde sind es aber die grundsätzlichen Schwächen des politischen Systems, die der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen langfristig schaden und die Inflation treiben.
Erinnern Sie sich noch daran, dass der Streit um die Schuldenobergrenze mit dem Fiscal Responsibility Act im Juni «gelöst» schien? Aber das war er im Grunde nie.
Der Fiscal Responsibility Act ging davon aus, dass anschliessend zwölf Ausgabengesetze verabschiedet werden. Den Senat haben sie passiert, aber einige Republikaner im Repräsentantenhaus wollen jetzt weniger Geld ausgeben als damals vereinbart und die zwölf Gesetze um zusätzliche Klauseln ergänzen. Bis zum 1. Oktober muss der gespaltene Kongress jetzt einen Kompromiss finden. Sonst ist der Government Shutdown unvermeidbar.
Über ein Drittel der amerikanischen Staatsschulden wird in den nächsten drei Jahren fällig. Der Refinanzierungsbedarf ist also hoch – und dies ausgerechnet jetzt, wo die Fed Quantitative Tightening betreibt (also per Saldo Anleihen verkauft), die Federal Funds Rate 5,5 Prozent beträgt und die US-Zehnjahresrendite um 3,5 Prozentpunkte höher ist als vor drei Jahren.
Laut Congressional Budget Office (CBO) ist der Durchschnittszins der amerikanischen Bundesschulden von 2,2 Prozent im letzten auf 2,5 Prozent in diesem Jahr gestiegen. Weil mehr Anleihen refinanziert werden müssen, erwartet das CBO für 2024 sogar 2,9 Prozent. Auf den ersten Blick scheint das nicht viel, doch bei so hohen Schulden wie jetzt macht es einen grossen Unterschied.
Gerade erst hat das Analysehaus Strategas die Nettozinsausgaben mit den Steuereinnahmen verglichen. Ende Juli erreichte der Quotient erstmals seit 25 Jahren 14 Prozent.
Interessant daran ist laut Strategas, dass es bei einem derartigen Wert oft zu einer Wende der Fiskalpolitik kam: Bei mehr als 14 Prozent wurde sie gestrafft, und bei weniger als 14 Prozent wurde sie wieder gelockert. So hat Reagan nach Überschreitung der Marke sechs Jahre in Folge die Steuern erhöht.
Da eine Präsidentschaftswahl bevorsteht, wollen nur wenige Kongressmitglieder – gleich welcher Partei – ernsthaft über Ausgabenkürzungen nachdenken, wie sie etwa zwischen Obama und Boehner verabschiedet wurden und den Government Shutdown 2011 beendeten. Doch auch die Minderheit, die etwa beim Streit um die Ausgabengesetze Kürzungen möchte, will ganz bestimmt keine Steuererhöhungen. Über eines scheinen sich Republikaner und Demokraten einig zu sein: Echte Haushaltsdisziplin, damit die Schulden nicht weiter steigen, scheint nicht nötig.
Wir halten deshalb einen strukturellen Inflationsanstieg für wahrscheinlicher und schliessen auch Finanzrepression nicht aus. Wenn ein zu grosser Teil der Steuereinnahmen für Zinsen ausgegeben werden muss, kann man andere Ausgaben kürzen oder die Steuern erhöhen. Man kann aber auch die Zinsen künstlich senken und zulassen, dass eine steigende Inflation den Zinsaufwand real schrumpfen lässt.
Mit anderen Worten: Seien Sie nicht überrascht, wenn die Notenbank ihr Preisstabilitätsmandat «flexibel» interpretiert, damit die staatlichen Zinsausgaben trotz der anhaltend lockeren Fiskalpolitik nicht zu sehr steigen. Weniger Staatsschulden durch mehr Inflation könnte der einzige Ausweg aus dem Dilemma sein. Aber ideal ist das nicht.
Der Automobilarbeiterstreik und der mögliche Government Shutdown sind nur zwei Beispiele für Entwicklungen, weshalb wir eine Rückkehr der Inflation zu ihrem Zielwert für schwierig halten. Es mangelt wohl auch an der nötigen Entschlossenheit.