23.12.2024, 08:37 Uhr
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Unternehmen mit einem transformatorischen Wachstum wie Amazon und Tencent sind selten. Sie zu finden erfordert Geduld, Entschlossenheit und langfristiges Denken. Stuart Dunbar von Baillie Gifford stellt fest, dass sich dennoch viele Investoren an mathematische Modelle klammern.
"Viele Investoren glauben, dass Anlageentscheidungen auf der Grundlage von Zahlen getroffen werden können, die von Supercomputern mittels komplexer Algorithmen berechnet werden", sagt Stuart Dunbar, Partner bei Baillie Gifford. Die intellektuelle Grundlage vieler solcher Modelle sei das Capital Asset Pricing Model (CAPM). "Wir sind erstaunt, warum Investoren an diesem Modell festhalten, obwohl es als Grundlage für die Bewertung von Finanzanlagen bereits eindeutig widerlegt wurde."
Das Modell geht davon aus, dass sich das erwartete Ertrags- und Risikoprofil eines Unternehmens immer im Aktienkurs widerspiegelt. Und es nimmt an, dass am Markt zu 100% rationale Investoren mit identischem Zeithorizont handeln. Gleichzeitig nimmt das Modell an, dass das Risiko der historischen Aktienkursvolatilität entspricht und dass sich die Entwicklung des Kurses einer Aktie im Verhältnis zu einer anderen Aktie aus ihrer Historie ableiten lässt.
"Per Definition schliesst das Modell also das aus, was in der realen Welt von entscheidender Bedeutung ist: sich dem stetigen Wandel und den laufenden Veränderungen anzupassen", betont Dunbar. Das CAPM wurde in den 1960er Jahren entwickelt und von seinen Autoren als reines Analyseinstrument verstanden. Heute scheine es, dass es als Leitfaden unter Anlageexperten unverdiente Unsterblichkeit erlangt habe. Baillie Gifford sei der Meinung, dass es für einen produktiven Kapitaleinsatz keine Relevanz habe.
"Es mag Leute geben, die klug genug sind, um die ständigen Aktienkursschwankungen vorherzusagen und den Markt zu hinterfragen. Wir bei Baillie Gifford können diese Fähigkeit nicht anbieten. Wir haben keine Ahnung, was die Aktienmärkte in den nächsten drei, sechs oder zwölf Monaten machen. Auch haben wir keine feste Vorstellung davon, wie sich der Aktienkurs eines Unternehmens im Tagesgeschäft entwickeln wird", so Dunbar. In einem Markt, der von kurzfristigen Spekulanten dominiert werde, würden die Preise von den Anlegern festgelegt, die herauszufinden versuchen, was die anderen Anleger als nächstes tun werden.
Auf kurze Sicht habe der Wert eines börsenkotierten Unternehmens daher bestenfalls eine sehr lockere Beziehung zum Geschäftsgang des Unternehmens. Fortschritte oder Probleme, die signifikante Aktienkursänderungen rechtfertigten, gehen im Lärm der Börsennachrichten unter. Angesichts dieser Abkoppelung von der Realität wiederspiegle das Risiko, das anhand der Volatilität des Aktienkurses gemessen wird, nur die wilden Schwankungen der Anlegerstimmung. So gesehen könne Baillie Gifford dem folgenden Satz nur zustimmen: "Die vergangene Performance ist kein Wegweiser für die Zukunft." Viel einfacher – aber nicht leicht – sei es, diese Schwankungen zu ignorieren.
"Wir glauben, dass das Investieren mehr Kunst als Wissenschaft ist. Der kreative Teil liegt in der Antizipation von Veränderungen auf Seiten von Unternehmen und Industrie, aber auch auf gesellschaftlicher und menschlicher Ebene. Es geht darum zu verstehen, was den Wandel antreibt und wie Menschen neue Verhaltensweisen annehmen. Und es geht darum, sich vorzustellen, was gut gehen könnte, aber ebenso auch, was schief gehen könnte", erläutert Dunbar.
Die komplexen Prognosen des CAPM sowie verwandter Konzepte wie z.B. die "Rückkehr zum Mittelwert" – eine Theorie, die davon ausgeht, dass Vermögenspreise immer zum langfristigen Durchschnitt zurückkehren – erachtet er bestenfalls als Ablenkungsmanöver. Im schlimmsten Fall versperrten sie einem Investmentmanager die Sicht auf die Zukunft und erschwerten es ihm, langfristige Investitionsmöglichkeiten zu erkennen.
Wenn man eine solche Vision über einen längeren Zeithorizont hinweg verfolgt, der für überdimensionierte Renditen erforderlich ist, dann muss man sich mit der Unsicherheit abfinden. Bei Baillie Gifford weiss man, dass sich ein Teil der Unternehmen und Technologien, die wir unterstützen, nicht durchsetzen werden. Bei den erfolgreichen Investitionen profitiere man jedoch von der asymmetrischen Natur von Aktienrenditen: Gewinne können um ein Vielfaches höher ausfallen, während sich Verluste auf das beschränken, was wir investieren.
"Deshalb denken wir in Jahrzehnten, denn erst über längere Zeiträume hinweg ergeben gewisse Signale ein klares Bild. Unternehmen, die skalierbare Chancen am erfolgreichsten nutzen, werden schliesslich die stärkste Aktienkursentwicklung haben", fügt Dunbar an.
Der Weg von Baillie Gifford, die Unsicherheit zu reduzieren, führe also nicht über die Pseudo-Wissenschaft des CAPM und seiner Äquivalente, sondern über ein besseres Verständnis der Chancen, die unternehmerisch-denkenden Unternehmen zur Verfügung stehen. Diese können sich aus dem beschleunigten technologischen Fortschritt oder aus neuen Geschäftsmodellen ergeben. Die Experten des schottischen Investmenthauses setzen alles daran, zu verstehen, wie Unternehmen solche Chancen nutzen können, und beurteilen im Dialog mit dem Management, ob sie fähig sind, die Hebel dafür in Bewegung setzen zu können.
Dunbar bringt es auf den Punkt: "Investoren sollten nach Unternehmen suchen, die in der Lage sind, den Fortschritt über Jahrzehnte hinweg aufrechtzuerhalten. Nebst dem Kriterium, wie hoch die Chancen dafür stehen, sollten auch die Anpassungsfähigkeit sowie die Qualität und das Engagement des Managements – Gründer und Manager punkten hier oft – in die Beurteilung einbezogen werden. Ein Investor sollte zudem prüfen, ob das Unternehmen einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil hat oder nicht. Wenn sie diese Faktoren klar genug erkennen können, brauchen sie sich nicht um Schwankungen von Quartal zu Quartal zu kümmern und auch nicht darum, was das CAPM aufdecken könnte oder was nicht. Wenn man die intrinsischen Qualitäten eines Unternehmens und die Welt, in der es auf längere Sicht konkurrenzfähig sein wird, versteht, ist es einfacher, Vorhersagen über zehn Jahre hinaus zu machen als über einige wenige Finanzquartale."
Das Problem mit dem kurzen Zeithorizont mancher Aktienmarktanalysen sei, dass dies nichts über mögliche Renditen aussagt, wenn neue Technologien aufeinandertreffen. "Wir erheben keinen Anspruch auf ein ausserordentliches Gespür für die Zukunft. Wir sind jedoch der Meinung, dass es einfacher ist, die Signale, die für eine Veränderung sprechen, zu erkennen – und den manchmal holprigen Weg der Veränderung zu gehen – als zu versuchen, das Verhalten anderer Investoren Quartal für Quartal vorauszuberechnen", schliesst Dunbar seine Betrachtung.