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Inflation – "Staatsfeind Nr. 1" oder Liebling der Schuldenpolitik?

Was überhaupt ist Inflation? (Bild: Shutterstock.com/Parilov)
Was überhaupt ist Inflation? (Bild: Shutterstock.com/Parilov)

Bis vor kurzem war sie ein fast vergessenes Gespenst aus der Vergangen­heit. Heute jagt eine Inflations­schlagzeile die nächste. In diesem Grundlagen­artikel nehmen drei Ökonomen von Vontobel dem Gespenst seinen Schrecken und erklären, was Inflation überhaupt ist, in welchen Arten sie vorkommt und warum Inflation nicht immer schlecht sein muss.

08.02.2022, 16:47 Uhr

Redaktion: rem

Der russische Revolutionär Wladimir Lenin hielt sie für ein gutes Mittel zur "Zer­schlagung der Bourgeoisie". Gerald Ford, der 38. Präsident der Vereinigten Staaten, erklärte sie zum "Staatsfeind Nummer eins". Nach ihm beschrieb sie Ronald Reagan als "gewalttätig wie ein Strassen­räuber, furcht­erregend wie ein bewaffneter Räuber und tödlich wie ein Auftrags­mörder".

Um die Inflation begreifbar zu machen, behelfen sich sogar gestandene Staatsmänner mit Metaphern, wie sie für bewaffnete Konflikte verwendet werden. "Woher kommt diese reflexartige Inflationsangst, die vielen in den Knochen steckt? Wenn die gute alte Ökonomie die Aufmerksamkeit von Wirtschaft und Politik, von links bis rechts und rund um den Globus auf sich zieht, dann lohnt es sich, das Schreck­gespenst mit nüchternen Fakten zu durchleuchten", meinen Michaela Huber, ihres Zeichens Ökonomin, Stefan Eppenberger, Senior Investment Strategist und Reto Cueni, Chefökonom bei Vontobel.

Was ist Inflation?

Der Begriff "Inflation" beschreibt einen allge­meinen Anstieg der Preise für Waren und Dienst­leis­tungen in einer Volks­wirt­schaft. Dieser "allgemeine Anstieg" für eine Vielzahl von Waren und Dienst­leistungen ist wichtig – Inflation entsteht nicht dadurch, dass ein einzelner Gegen­stand teurer wird, sondern nur dann, wenn es zu einem Preis­an­stieg auf breiter Basis kommt. Im Laufe der Zeit schmälert dieser Preis­an­stieg die Kauf­kraft einer bestimmten Währung in einer Volks­wirtschaft.

Importierte Inflation

Inflation kann nicht nur Aus­wirkungen auf die heimische Währung eines Landes haben. Sie be­ein­flusst unter Um­ständen auch den Wechselkurs des Landes gegenüber anderen Ländern und hat damit Folgen für den Handel mit Waren und Dienst­leis­tungen. Denn je mehr die Währung eines Landes auf dem Devisen­markt an Wert verliert, desto höher ist der Preis, den das Land für Importe zahlen muss. Das wirkt sich im Fall von Roh­stoffen oder Energie auch auf die inländischen Produk­tions­kosten eines Landes aus.

Wie kommt es zu einer Inflation?

Dass die Preise 2021 anziehen würden, kam für die meisten Analysten wenig überraschend. Aufgrund sogenannter Basis­effekte, Angebots-Nachfrage-Eng­pässen und des starken wirtschaftlichen Auf­schwungs nach den Lockdowns war es nur eine Frage der Zeit, bis sich ein gewisses Mass an Inflation bemerkbar machen würde. "Die Ursachen für eine Inflation führen wir auf den Zeit­horizont ihres Einflusses zurück. In unseren Analysen unterscheiden wir daher kurz-, mittel- und lang­fristige Faktoren", so die Vontobel-Experten weiter.

Drei Faktoren, die Preise in die Höhe treiben können

Kurzfristige zyklische Faktoren:

Wir betrachten Inflation als "kurzfristig", wenn sie einen Zeitraum von einem Jahr nicht überdauert.

Ein wichtiger kurzfristiger Faktor sind zum Beispiel Lieferengpässe, wie sie die Pandemie ausgelöst hat. Vor allem die Auto­mobil­hersteller können ein Lied davon singen: Viele von ihnen hatten Schwierig­keiten, an Halbleiter­chips und andere Fahrzeug­komponenten zu kommen, nachdem verschiedene asiatische Fabriken über Wochen stillgestanden waren.

Abgesehen davon kann auch ein plötzlicher Anstieg der Nachfrage zu höheren Preisen führen. Dies war zum Beispiel bei der Wiederer­öffnung der Wirtschaft nach den Lock­downs der Fall.

Andere Faktoren können wetter­bedingt sein. Denken wir etwa an den Frost in Brasilien, der letztes Jahr die Preise für Zucker- und Kaffee-Futures in die Höhe trieb, an Dürren, die die Ernte der Landwirte zunichtemachen, oder an einen uner­wartet strengen Winter, der zu einer erhöhten Nachfrage nach Heizöl führt.

Die mitunter erhebliche Volatilität von Lebensmitteln und Energie­produkten ist auch der Grund, warum Ökonomen gerne zwischen der so genannten "Gesamtinflation" und der "Kerninflation" unterscheiden. Erstere enthält auch Ausgaben für volatile Posten wie Lebens­mittel und Energie. Die Kerninflation hingegen klammert diese Komponenten aus und wird als Indikator für die zugrunde liegende, langfristige Inflation betrachtet.

Schliesslich beinflussen die Inflation auch saisonale Faktoren, etwa die Weih­nachtszeit, oder ausserordentliche Ereignisse wie Unfälle während des Produktions- oder Transportprozesses.

Mittelfristige Faktoren:

Nach der Definition Der Vontobel-Experten dauern mittelfristige Faktoren in der Regel ein bis zwei Jahre. Sie sind nicht unbedingt strukturell, aber haben das Potenzial, struktureller Natur zu werden.

Ein wichtiger mittel­fristiger Faktor ist eine expansive Geld­politik. Wenn "mehr Geld für die gleiche Anzahl von Waren aus­gegeben wird", wenn also die Geldmenge in einer Volkswirt­schaft schneller wächst als die Fähigkeit der Wirtschaft, Waren und Dienstleis­tungen zu produ­zieren, dann kann man steigende Preise erwarten.

Wie wird die Geldmenge gemessen? Es gibt verschiedene Mess­grössen, von denen die bekanntesten mit M0, M1, M2 und M3 abge­kürzt werden. M0 bezieht sich auf den gesamten physischen Geld­umlauf, M1 umfasst M0 und fügt auch Sicht­einlagen, täglich fällige Einlagen und Giro­konten hinzu, also Geld, das sofort verfügbar ist (so genanntes "narrow money"). M2 umfasst neben M1 auch leicht konvertier­bares Geld wie Spar­einlagen oder Termin­einlagen, die in der Regel mit einer Kündigungs­frist von bis zu drei Monaten ausgestattet sind. M3 hingegen, auch als "broad money" bezeichnet, umfasst neben M2 auch grosse Termin­einlagen bei Banken und marktfähige Wert­papiere mit einer Lauf­zeit von höchstens zwei Jahren.

Grössere Geldmenge = steigende Preise?

Es gibt mehrere Fälle, in denen sich diese These bewahrheitet hat:

  • Ein Beispiel ist der amerika­nische Bürger­krieg (1861–1865). Damals waren die Konföderierten nicht gewillt, den Krieg über höhere Steuern zu finan­zieren. Sie befürchteten, dass dies die öffentliche Unter­stützung für ihre Sache untergraben würde. Also versuchten sie, den Grossteil ihrer Ausgaben durch das Drucken von Geld zu decken. Die Ausgabe grosser Mengen von US-Treasuries trieb die Preise in der Konföderation schliesslich um mehr als 9'000% in die Höhe – gegenüber "nur" 80% im Norden.

Einige argumentieren jedoch, dass diese These nicht immer zutrifft:

  • So haben die Zentralbanken die Märkte nach der globalen Finanzkrise mit reichlich geld­politischem Stimulus versorgt und dies mehr als ein Jahrzehnt lang fortgesetzt, ohne dass es nennenswerte Auswirkungen auf die Verbraucher­preise hatte.
  • Ein noch interessanterer Fall ist in Japan zu beobachten. Dort verharrt die Inflation trotz jahr­zehnte­langer ultra­lockerer Geldpolitik auf tiefem Niveau.

"Unsere Schlussfolgerung ist, dass wir ein erhöhtes Geld­mengen­wachstum als notwendigen Faktor für mehr Inflation ansehen, aber auch als einen, der nicht zwingend zu mehr Inflation führt", sagen die Vontobel-Experten.

Ein weiterer mittelfristiger Faktor ist ironischer­weise die Inflation selbst – beziehungs­weise die Erwartung derselben. Inflations­erwartungen spiegeln wider, wie stark die Preise in den Augen der Verbraucher, Unternehmen oder Investoren künftig steigen werden. Die Überlegung dahinter: Wer mit höheren Preisen rechnet, hat einen Anreiz, jetzt und nicht später zu investieren. Dies kann wiederum die Inflation in die Höhe treiben.

Deflation und Inflation in der Schweiz 1870–2021 (in %)

Langristige strukturelle Faktoren:

Die Vontobel-Experten defi­nieren als "langfristig" alles, was länger als zwei Jahre an­dauert.

Langfristige Faktoren sind eher struktureller Natur, zum Beispiel demographische Entwicklungen wie die Alterung der Bevölkerung. Ein weiteres Beispiel ist die zuneh­mende De-Globalisierung und langfristige Polari­sierung rund um den Globus – man denke nur an die Verlagerung der Liefer­ketten von den Entwicklungs­ländern in die Industrie­länder.

Auch der Klima­wandel kann als langfristiger Faktor betrachtet werden: Nehmen Naturkatastrophen weiter zu, müssen inflations­treibende Produktions­schwankungen – ähnlich wie nach den Lockdowns – einkalkuliert werden.

Zudem wird davon ausgegangen, dass auch die Umstellung auf eine "grünere" Zukunft die Preise in die Höhe treibt. Finanziert werden müssen unter anderem der Ausstieg aus Kohle und Öl oder die Isolierung von Gebäuden. Dies wird auch als "Greenflation" bezeichnet. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang auch Lenkungsprogramme wie die Bepreisung von Kohlen­dioxid.

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