04.12.2024, 10:51 Uhr
«Während die Märkte von einer lockeren Geldpolitik beflügelt werden, drohen politische Umwälzungen in den USA sowie geopolitische Spannungen», schreibt Nicolas Forest, Chief Investment Officer bei Candriam in...
Zwei Jahre nachdem Indien seine ehrgeizigen Solarenergieziele bis 2030 bekannt gegeben hat, sind die Aussichten des Landes, rechtzeitig genügend Kapazitäten zu installieren, gesunken. «Doch trotz der kurzfristigen Herausforderungen werden Indiens robuste Wirtschaft und sein wachsender Durst nach erneuerbaren Energien den Solarboom weiter vorantreiben», schreibt Yi Hu, Investment Writer bei Fidelity.
Der Sonnentempel im nordwestindischen Dorf Modhera, das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, wird dank der neuen Solaranlage des Dorfes nun ausschliesslich mit Sonnenenergie betrieben. Diese Umwandlung hat internationale Schlagzeilen gemacht und Indiens Ambitionen im Bereich der Solarenergie verdeutlicht. Beschwerden von Anwohnern in benachbarten Gebieten wie Sujanpura über den Verlust ihres Weidelands sind jedoch nur ein Beispiel für die Schwierigkeiten, die die zahlreichen Solarprojekte im ganzen Land überschatten.
Trotz dieser Hindernisse glaubt Amit Goel, Aktienportfoliomanager bei Fidelity International, dass das Land die kurzfristigen Hürden überwinden und schliesslich seinen Platz an der Sonne als Solargigant finden wird.
«Wir sprechen hier über die am schnellsten wachsende grosse Volkswirtschaft mit einem akuten Hunger nach erneuerbaren Energien, und die indische Solarindustrie hat den Segen der Natur», sagte Goel. «Ich sehe viele Investitionsmöglichkeiten entlang der solaren Wertschöpfungskette des Landes».
Es wird erwartet, dass das nominale Bruttoinlandsprodukt Indiens in den kommenden Jahren jährlich um über 6 Prozent wächst. Mit rund 300 Sonnentagen im Jahr verfügt das Land über genügend potenzielle Solarenergie, um seinen gesamten Strombedarf zu übertreffen. Im November 2021 setzte Premierminister Narendra Modi das Ziel, bis 2030 eine Kapazität von 500 Gigawatt an erneuerbaren Energien zu erreichen, darunter 280 Gigawatt an Solarenergie, womit das Land nach China die zweitgrösste Stromerzeugung hätte. Landstreitigkeiten und eine übermässige Abhängigkeit von chinesischen Produkten behindern jedoch den Fortschritt, so dass bis November 2023 nur 72 Gigawatt an Solarkapazität zur Verfügung standen und damit das 100-Gigawatt-Ziel für 2022 nicht erreicht wurde.
Während zahlreiche Projekte im Bau sind, kommt es bei vielen grossen Solarparks zu Verzögerungen. Ein 2-Gigawatt-Projekt im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu wird durch Rechtsstreitigkeiten gestört, während drei Solarparks mit einer Gesamtkapazität von 1,3 Gigawatt in der nordwestindischen Provinz Jaisalmer aufgrund von Bedenken hinsichtlich des Schutzes der Indischen Grosstrappe, einer einheimischen Vogelart, unter Verzögerungen leiden.
Indiens Bestreben, eine autarke Solarindustrie aufzubauen, um die Abhängigkeit von der chinesischen Produktion zu verringern, steht vor Herausforderungen. Die indische Regierung hat strenge Beschränkungen erlassen, um die Verwendung chinesischer Solarprodukte zu verhindern. Indien hat einen Einfuhrzoll von 40 Prozent auf Solarmodule und einen Zoll von 25 Prozent auf Solarzellen verhängt, von denen die Regierung hofft, dass sie Anreize für die lokale Herstellung schaffen. Bis zu einem gewissen Grad funktioniert dies, aber es wird viele Jahre dauern, bis die indischen Unternehmen den Rückstand gegenüber China aufholen können.
In den letzten Monaten überstieg die Stromnachfrage gelegentlich das maximale Stromangebot des Landes. Indien ist derzeit für fast seinen gesamten Rohöl- und etwa die Hälfte seines Gasbedarfs auf Importe angewiesen. Im Vergleich dazu liegen die Rohölimporte Chinas unter 80 Prozent und die Gasimporte unter 40 Prozent.
«Die Energiesicherheit steht zunehmend ganz oben auf der Prioritätenliste der indischen Regierung», sagte Goel. «Die Entwicklung eines grossen Solarsektors könnte dazu beitragen, die Abhängigkeit des Landes von Energieimporten zu verringern.»
Die Regierung hat sich bereit gezeigt, bei ihren kurzfristigen politischen Massnahmen flexibel zu sein, um Verzögerungen auszugleichen. Diese Flexibilität stimmt optimistisch, dass Indien in der Lage sein wird, die kurzfristigen Hindernisse auf seinem Weg in die Solarenergie zu überwinden, sagt Yatin Matta, Analyst für Versorgungsunternehmen bei Fidelity.
«Keine der bisherigen Herausforderungen scheint gross genug zu sein, um Indien daran zu hindern, seine Solarindustrie zu vergrössern», fügt Matta an. «Der Boom der erneuerbaren Energien, angeführt von Versorgungsunternehmen, wird sich vielleicht verzögern, aber nicht aufhalten lassen.»
Sowohl Goel als auch Matta sehen Wachstumschancen entlang der solaren Wertschöpfungskette in Indien, einschliesslich Stromerzeugung, -übertragung und -verteilung, Modulherstellung, Engineering und Bau, Stromspeicherung und Finanzierung erneuerbarer Energien. Bei den Stromerzeugern wird erwartet, dass mehrere grosse Unternehmen ihre Solarkapazitäten in den kommenden Jahren zweistellig ausbauen werden, auch wenn es Anzeichen dafür gibt, dass einige zu aggressiv auf Kosten der Gewinnspannen expandieren.
Die Übertragung, insbesondere in den solarreichen Bundesstaaten wie Rajasthan und Gujarat, ist auf eine robuste Nachfrage eingestellt, da der Solarstrom durch zwischenstaatliche Netze geleitet wird. Trotz der Verzögerungen bei der Reform der Stromverteilung aufgrund politischer Empfindlichkeiten dürften die grossen Verteilungsunternehmen nach den Wahlen 2024 davon profitieren.
Die indischen Hersteller von Modulen, Zellen und Wafern entwickeln sich rasant, auch wenn sie noch hinter den chinesischen Spitzenproduzenten zurückbleiben. Mit der Zeit dürfte die indische Solarindustrie gross genug werden, um nicht nur das Dorf des Sonnentempels zu beleuchten, sondern auch die benachbarten Regionen und einen Grossteil des riesigen Landes.