04.12.2024, 10:51 Uhr
«Während die Märkte von einer lockeren Geldpolitik beflügelt werden, drohen politische Umwälzungen in den USA sowie geopolitische Spannungen», schreibt Nicolas Forest, Chief Investment Officer bei Candriam in...
Die Europäische Zentralbank wird in den nächsten Tagen ihr quantitatives Lockerungsprogramm (QE) lancieren. Obwohl die Eckdaten des Programms längst bekannt sind und daher weitgehend "eingepreist" sein sollten, sollte seine potenzielle Wirkung nicht unterschätzt werden. Der Vergleich mit der Entwicklung im Yen vor zwei Jahren und die Dimension des europäischen QE unterstreichen, dass der Euro-Abwertungsprozess wahrscheinlich noch nicht abgeschlossen ist, schreibt Mikio Kumada, Global Strategist bei LGT Capital Partners.
Die EZB wird voraussichtlich morgen die prozeduralen und terminlichen Details ihres am 22. Januar angekündigten QE-Programms bekannt geben. Sofern die EZB, wie wir annehmen, nicht mit zusätzlichen unerwarteten Lockerungsschritten aufwartet, dürften auch die Finanzmärke diese EZB-Lockerung vorerst einmal weitgehend eingepreist haben. Das mittelfristige Abwertungspotential des Euro gegenüber den meisten Währungen bleibt jedoch trotzdem bestehen.
Akzeleration der Euro-Abwertung
Gegenüber dem US-Dollar hat der Euro hat seit dem Tag der QE-Ankündigung rund 3.7% verloren, was einer auf das Jahr hochgerechten Abwertung von rund 28% entspricht. In den sechs Monaten vor dem Ereignis hatte der Euro 14.2% verloren, d.h. etwa 26% pro Jahr. Das Abwertungstempo gegenüber dem "Greenback" hat sich zuletzt also etwas erhöht.
Diese beschleunigte Abwertungsdynamik des Euro ist gegenüber dem britischen Pfund am deutlichsten ausgeprägt, grundsätzlich aber gegenüber den meisten anderen Währungen beobachtbar. Gegenüber Sterling hat der Euro im Halbjahr bis zur Entscheidung der EZB 3.2% verloren (bzw. 6.8% p.a.). In der Zeit seitdem waren es aber 5.1%, also 37% p.a. Gegenüber dem Yen betrug die Abwertung in den sechs Monaten bis zum 22. Januar 0.1% (0.2% p.a.) und seitdem 2.4% (19% p.a.). Dieses Muster gilt gegenüber den meisten Währungen, wobei der Schweizer Franken und die skandinavischen Kronen die grossen Ausnahmen darstellen.
Aktuelle Euroschwäche erinnert an den Yen im Jahr 2013
Die beschleunigte Abwertung kurz vor Eintreffen eines im Wesentlichen bekannten Ereignisses deutet darauf hin, dass der vorherrschende Trend zwar noch eine Weile anhalten dürfte - bis der Markt derart stark in eine Richtung übertrieben hat, dass sich der Trend von selbst erschöpft. Aufschlussreich ist diesbezüglich das Verhalten des Yen in der Zeit um die Ankündigung des QE durch die Bank of Japan am 4. April 2013 (siehe PDF, Seite 2, Grafik 2). Nach dem japanischen QE-Startschuss folgte bis Mitte Mai noch einmal eine relativ kurze, intensive Yen-Abwertungsphase. Danach setzte jedoch eine Konsolidierungsbewegung ein, die etwa sechs Monate lang stabile Wechselkurse mit sich brachte. Es verging letztlich gut ein weiteres Jahr, bis die nächste deutliche Abwertungsbewegung einsetzte.
Euro-QE wird mittelfristig eine signifikante Wirkung entfalten
Zum Abschluss noch ein Wort zum europäischen QE-Programm: Viele Analysten betrachten dessen potentielle Wirkung weiterhin mit einer gewissen Skepsis - weil es vergleichsweise spät kommt, auf den ersten Blick konservativ wirkt oder weil Europa eben "anders" ist. Dennoch sollten wir es nicht unterschätzen: Relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) wirken die angekündigten Wertpapierkäufe von monatlich 60 Mrd. Euro im globalen Vergleich bescheiden. Wenn wir jedoch die staatlichen Budgetdefizite als Massstab hernehmen, stellt Europas QE alle anderen "Konkurrenzprogramme" klar in den Schatten (siehe PDF, Seite 2, Grafik 2). Es unterstützt damit die Eurostaaten genau dort, wo sie es einerseits "am Nötigsten" haben und anderseits auch - teilweise deutlich - besser dastehen als die anderen Länder zum Zeitpunkt der QE-Lancierung. Der fiskalische Spielraum für eine wachstumsfreundlichere Politik ist damit in Europa heute sicher grösser als 2009 in den USA und Grossbritannien oder 2013 in Japan. Sofern diese Regierungen diese Spielräume auch nutzen, was naheliegend ist, stehen die Chancen gut, dass sich das europäische QE letztlich als sehr wirksam herausstellen wird. Gleichzeitig dürfte die Grössenordnung des EZB-Lockerungsprogramms den Euro durchaus auf Dauer belasten.
Bisherige Euro-Abwertung verläuft nach dem Muster des Yen seit Herbst 2012
Die erste Grafik (siehe PDF, Seite 2) zeigt die zeitversetzte Abwertungspfade des japanischen Yen und des Euro gegenüber dem US-Dollar. Sie vergleicht also den Euro heute mit dem Yen um die Zeit der jeweiligen QE-Lancierung. Wir nehmen den Yen als Muster für den Euro, weil die ökonomische und politische Situation in den beiden Wirtschaftsräumen im Vorfeld von QE gewisse Ähnlichkeiten aufweist. Wie in Europa gab es zum Beispiel auch in Japan zahlreiche Bedenken gegen ein ordentliches QE, im Sinne ungehemmter Staatsanleihekäufe. In beiden Ländern wurden die QE-Programme de facto mehrere Monate vor dem eigentlichen Startschuss weitgehend "vorangekündigt". Der Yen hatte jedenfalls in den sechs Monaten bis zum offiziellen QE-Start am 4. April 2013 bereits rund 20% verloren (ggü. US-Dollar). Bis zum 22. Mai verlor Nippons Währung noch einmal rund 10%. Dann setzte allerdings ein Stabilisierungsprozess ein. Bis zur nächsten grossen Yen-Abwertungsbewegung vergingen schliesslich weitere 16 Monate, wie der Chart visualisiert. Falls der Euro weiter diesem Muster folgt, dann müsste die Euro-Schwäche in den nächsten Wochen oder Monaten irgendwo zwischen $1.00 und $1.10 vorerst ein Ende finden. Bis zum nächsten signifikanten Abwertungsschub könnte dann eine gewisse Zeit vergehen.
Europas QE-Programm sollte nicht unterschätzt werden
Die nächste Grafik (siehe PDF, Seite 2) zeigt die Dimensionen der jährlichen Wertpapierkäufe der verschiedenen Notenbanken in der jeweils intensivsten Phase (z.B. im Falle der USA wäre dies die Zeit von "QE3", vom Dezember 2012 bis Dezember 2013). Gängig ist der Vergleich der QE-Käufe mit dem jeweiligen BIP. Aus dieser Sicht ist das Euro-QE vergleichbar mit dem amerikanischen, aber bescheidener als das japanische und britische. Nehmen wir aber die erwartete jährliche öffentliche Nettoneuverschuldung (Nettoemission von Staatsanleihen) in den relevanten Jahren als Messlatte, stellt das EZB-QE alle anderen Programme klar in den Schatten. Die anderen Länder kombinierten ihre QE-Programme mit schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen und/oder Bankrettungspaketen. Ihre Budgetdefizite waren daher sehr hoch - sie schwankten zwischen 8.2% des BIP in Japan (2013) und 13.5% in den USA (2009). Im Unterschied dazu beträgt die geschätzte Nettoneuverschuldung des Euroraums in diesem Jahr kaum 2.5% des BIP - die EZB-Käufe im (720 Mrd. Euro pro Jahr) entsprechen daher fast der dreifachen erwarteten Neuverschuldung der Eurozone. QE kann als indirekte Staatsfinanzierungshilfe verstanden werden. Daher dürfte dessen Wirkung auch in Europa signifikant ausfallen - besonders, falls das Programm tatsächlich mindestens 16 Monate lang beibehalten wird.
Lesen Sie hier den ganzen Kommentar mit Grafiken als PDF: Europa vor dem QE-Startschuss