04.12.2024, 10:51 Uhr
«Während die Märkte von einer lockeren Geldpolitik beflügelt werden, drohen politische Umwälzungen in den USA sowie geopolitische Spannungen», schreibt Nicolas Forest, Chief Investment Officer bei Candriam in...
Mikio Kumada, CIIA, Global Strategist bei LGT Capital Partners ist überzeugt dass Europa sich einem neuen Finanzierungspaket für Griechenland annähert. Nicht ganz überraschend fand der entscheidende Durchbruch in letzter Minute statt. Athen hat nachgegeben, aber auch wichtige Zugeständnisse erhalten: Die Reformen sollen sozial verträglicher gestaltet werden und es besteht die Aussicht auf einen Schuldenerlass. Somit bleibt das Primat der Sparpolitik weiter auf dem Rückzug.
Im Schuldenstreit mit Griechenland bahnt sich endlich eine Einigung an. Der aus verschiedensten Quellen hervorquellende politische Lärm verwirrt und vernebelt die Sicht, ebenso wie der Hang vieler Analysten und Medien, aus allem ein Drama zu machen. Trotzdem zeichnet sich ab: Der mögliche Deal dürfte zwar als griechische «Kapitulation» dargestellt werden, in Wahrheit haben die Gläubiger aber wichtige Zugeständnisse gemacht: Sah das Programm vom Juni bis 2018 Primärüberschüsse von insgesamt mehr als 16% des Bruttoinlandsprodukts vor, so sind es im neuen Plan nur mehr 9.5%. Auch andere Elemente wurden aufgeweicht - im Einklang mit der Übereinkunft im Februar, als Athen ein grösseres Mitspracherecht zugesprochen wurde.
Schon im Vorfeld gab es eine gewisse stille Anerkennung der Athener Kernposition, dass man bisher zu stark auf hartes Sparen gesetzt hatte, was den Reformprozess letztlich nur erschwere (eine interessante Diskussion und einen Überblick der bisherigen griechischen Reformen bieten z.B. Prof. Karl Whelan von der Universität Dublin: hier). Gleichzeitig hatte sich die linksorientierte Regierung in Athen von Anfang an für «permanente» Primärüberschüsse ausgesprochen, was sowohl den Ideen des Keynesianismus als auch den eigenen Wahlkampfparolen vom «Ende der Sparpolitik» widerspricht. So gesehen war es nur eine Frage der Zeit bis zum Kompromiss - besonders unter der Berücksichtigung aller anderen Faktoren, die beide Seiten dazu drängen.
Was in den kommenden Monaten folgen dürfte
Doch was kommt als Nächstes? Die übergeordnete Botschaft lautet vielleicht: So mühsam es ist, Europas Institutionen sind selbst in schwierigen Situationen in der Lage, die verschiedenen nationalen Interessen und Kulturen auf einen Nenner zu bringen und den Ausgleich zu schaffen. Nur so wird die Europäische Union und ihre Währung auf Dauer bestehen bleiben (allenfalls, wenn auch unwahrscheinlich, ohne Grossbritannien). Konkret dürfte es in den kommenden Monaten jedenfalls wie folgt weitergehen:
Das revidierte Rettungspaket wird in irgendeiner Form verlängert und von einem dritten Programm abgelöst. Letzteres wird kleiner und vor allem realistischer ausgerichtet sein, als die bisherigen. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Finnlands Finanzminister Alexander Stubb kürzlich gegenüber dem BBC erwähnte, im laufenden Paket befänden sich schätzungsweise noch etwa 33 Mrd. Euro, was den politischen Zustimmungsprozess in den Geberländern erleichtere (Link zum Podcast: hier).
Europa wird einen Weg finden, die demnächst fälligen griechischen Verbindlichkeiten gegenüber dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank indirekt über Athen oder direkt über den Europäischen Stabilitätsfonds zu tilgen. Hierfür könnten die im griechischen Bankrettungsfonds übrig gebliebenen 10.9 Mrd. Euro oder die EZB-Profite aus den griechischen Anleihenkäufen eingesetzt werden. Oder die EZB könnte Athen einfach erlauben, sich mehr kurzfristiges Geld von den eigenen Banken auszuleihen. An den Mitteln und Methoden der Liquiditätsbeschaffung mangelt es jedenfalls nicht.
Mit einem Abkommen und frühestens nach der Tilgung der von der EZB gehaltenen Anleihen im Juli könnte Griechenland zudem auch an der «quantitativen Lockerung» der EZB teilnehmen, was das wichtigste «Reflationssignal» darstellen würde.
Unter diesen Bedingungen hätte Griechenland auch eine Chance, in naher Zukunft zum nominalen Wirtschaftswachstum zurückzufinden - und damit zur Fähigkeit, seine Schulden tatsächlich irgendwann wieder selbst tragen zu können. Gewiss würde auch die Alternative des Euroaustritts das nominale Wachstum beleben - nur wäre diese Option kurzfristig mit extremen Turbulenzen für Hellas und längerfristig mit zusätzlichen wirtschaftlichen und geopolitischen Risiken für Europa verbunden.
Die mögliche Einigung mit Griechenland bekräftigt den wachstumsfreundlichen Ausblick für Europa insgesamt, was aber weder neu noch überraschend ist. Das Risiko von Rückschlägen für die Erholung des Währungsraums wäre aber sicherlich ein Stück weiter reduziert. Entsprechend positiv fielen die Reaktionen an den europäischen Finanzmärkten aus, diesmal einschliesslich Griechenlands.
Griechenland hat bisher eine harte Sparpolitik umgesetzt
Interessant sind auch die (noch spekulativen) Perspektiven für Griechenland. Folgende Punkte erscheinen besonders erwähnenswert. Erstens hat Athen bereits eine signifikante Haushaltskonsolidierung erreicht. In den letzten fünf Jahren hat es seine primären Staatsausgaben in einem international einmaligen Tempo und Ausmass gesenkt - weswegen auch das BIP um ein Viertel eingebrochen ist. Die nächsten zwei Diagramme (siehe PDF, Seite 2) vergleichen die wichtigsten Ausgaben (öffentlicher Konsum, Gehälter, Sozialleistungen und Subventionen öffentlicher Einrichtungen) und das BIP relevanter EU-Länder. Während die griechischen Kernausgaben um mehr als 25% sanken, hat z.B. Spanien seine Ausgaben sogar erhöht - wenn auch wahrscheinlich nicht so stark, wie es ohne Krise der Fall gewesen wäre (Spanien befand sich allerdings auch nie unter einem IWF-Programm). Wenig überraschend ist daher, dass sich das BIP der anderen Länder schneller als in Griechenland stabilisierte bzw. erholte. Folglich können wir davon ausgehen, dass sich mit einem aufgeweichten Sparkurs auch Griechenland ähnlich erholen dürfte - insbesondere im Falle einer Teilnahme am QE-Programm der EZB.
Griechenland kann zum Erholungspfad zurückfinden
Zweitens befindet sich Griechenland bereits auf einem zaghaften aber doch sichtbaren Erholungspfad - zumindest dürfte es den «natürlichen» Tiefpunkt überwunden haben. Die Voraussetzungen für eine Erholung sind grundsätzlich da, wie die Grafik im PDF auf Seite 2 illustriert. Trotz des politisch induzierten Rückschlags seit den Wahlen im Januar und der damit einhergehenden Probleme (z.B. Unsicherheit, Kapitalflucht) haben sich viele griechische Wirtschaftsdaten eigentlich relativ gut gehalten. Das Verbrauchervertrauen normalisiert sich beispielsweise schon seit 2011 stetig, wenn auch von extrem tiefen Niveau aus. In den letzten Monaten hat es sich sehr volatil entwickelt - notiert aber letztlich immer noch höher als vor den Wahlen. Eine ähnliche Entwicklung sehen wir auch im Index der «erwarteten Anstellungen», der auf Befragungen von Unternehmen basiert. Erstmals seit Jahren hatte der Index kürzlich wieder den positiven Bereich erreicht - und schwankt seitdem etwas. Sobald eine neue Einigung mit den Gläubigern die zentralen Unsicherheiten beseitigt, gibt es generell keinen Grund, warum sich die griechische Wirtschaft nicht wieder erholen sollte.
Die Gesamtanalyse samt Infografiken Sie hier unter: http://e1.marco.ch/publish/communicators/85_13565/LGT_Beacon_06242015.pdf