Diese drei klassischen Vorboten weisen auf eine US-Rezession hin

Anhand der Schlüsselindikatoren Ölpreis, Fed-Politik und Zinskurve erscheint eine Rezession in den USA immer wahrscheinlicher. (Bild: Shutterstock.com/Designrage)
Anhand der Schlüsselindikatoren Ölpreis, Fed-Politik und Zinskurve erscheint eine Rezession in den USA immer wahrscheinlicher. (Bild: Shutterstock.com/Designrage)

Drei wichtige Indikatoren deuten auf eine Rezession in den USA hin. Anleger sollten in der Lage sein, ihr Portfolio sich verändernden Bedingungen dynamisch anzupassen, rät Yoram Lustig von T. Rowe Price. Zu einer vorsichtigen Gangart gehöre auch, mit einer Rezession zu rechnen, die anders verlaufen könnte als vergangene Konjunkturdellen.

08.05.2022, 05:00 Uhr

Redaktion: rem

"Wenn die USA den Schnupfen hat, kriegt die übrige Welt die Grippe». Dieses geflügelte Wort kommt nicht von ungefähr. "Eine Rezession in der grössten Volkswirtschaft der Welt beeinflusst die globalen Finanzmärkte insgesamt und trifft Anlegerinnen und Anleger, wo immer sich diese befinden. Das hat die Vergangenheit schon mehrfach gezeigt", sagt Yoram Lustig, Head of Multi-Asset Solutions, EMEA, bei T. Rowe Price.

Er erläutert die aktuelle Lage: Eine galoppierende Inflation greift um sich und erweist sich hartnäckiger als erwartet. Führende Zentralbanken, namentlich die amerikanische, lassen die ultralockere Geldpolitik hinter sich und schwenken schrittweise auf Normalisierungskurs ein. Hinzu kommt ein grauenvoller Krieg in Europa. "Das alles trübt das Klima an den Anlagemärkten und schürt Angst vor einer wirtschaftlichen Abschwächung. Selbst eine Rezession wird nicht ausgeschlossen und zunehmend als möglich erachtet", betont Lustig.

Seine Antwort auf die Frage, ob die Furcht gerechtfertigt sei: "Wir haben drei Einflussfaktoren analysiert, die in der Vergangenheit glaubhafte Hinweise auf eine Rezession in den USA abgegeben und auch auf die übrige Welt ausgestrahlt haben: Ein steigender Ölpreis, Zinserhöhungen der US-Notenbank und eine invers gewordene US-Zinskurve, will heissen, die kurzen Sätze sind höher als die langen." Lustig erläutert im Folgenden die drei Themen im Detail.

Erstens: steigender Ölpreis

Fast jeder US-Rezession seit Mitte der 1970er Jahre sei ein kräftiger Ölpreisanstieg vorausgegangen, stellt er fest. Zwar sei die Erdöl-Abhängigkeit der Weltwirtschaft heute geringer und fossile Brennstoffe würden effizienter genutzt. Aber der Ölpreis sei noch immer von zentraler Bedeutung für die Industrie und das Gewerbe, den Transport, die Haushaltenergie und den Konsum. Steige der Preis, schlage das auf die Inflation durch, zwinge die Notenbanken zu höheren Zinsen, was wiederum die Konjunktur bremse, ja sogar abwürgen könne.

Seit 1976 folgte in fünf von sechs Fällen einem boomenden Ölpreis eine US-Rezession (vgl. Abbildung). Aktuell haben sich Öl und Gas nach dem Abflauen von Covid-19 und der nachfolgenden wirtschaftlichen Erholung bereits kräftig verteuert. Hinzu kommt ein weiterer Anstieg als Folge des Kriegs in der Ukraine. "Dass sich das Szenario früherer Jahre wiederholen könnte, kann man sich deshalb gut vorstellen", meint Lustig.

Quelle: T. Rowe Price
Quelle: T. Rowe Price

Zweitens: steigende Fed Funds Rate

Selbstverständlich würge eine Notenbank nicht vorsätzlich einen Wirtschaftsaufschwung ab. Ziel sei eine weiche Landung, eine allmähliche Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit, die hilft, die Teuerung einzudämmen und gleichzeitig eine Überhitzung am Arbeitsmarkt abzukühlen. In Wirklichkeit ist nach Meinung des Experten ein Soft Landing schwer zu erreichen, nicht zuletzt, weil die Geldpolitik nur eine von vielen Faktoren ist, welche die Wirtschaft beeinflusst. Nicht oder kaum zu kontrollierende Grössen seien im aktuellen Umfeld der Krieg in der Ukraine und die Covid-Pandemie samt ihren preistreibenden Auswirkungen auf die Lieferketten und die Nahrungsmittelversorgung.

Seit 1976 ist es der US-Notenbank Fed nur zweimal gelungen, die Teuerung ohne nachfolgende Rezession zu bändigen – 1983 und 1994 (vgl. Abbildung). Die Zeit werde zeigen, ob ihr das Kunststück erneut gelingt, so Lustig.

Ölpreisspitzen waren ein zuverlässiger Indikator für US-Rezessionen

Bei fünf der sechs letzten Rezessionen gingen Preissteigerungen voran. Quelle: Quelle: T. Rowe Price
Bei fünf der sechs letzten Rezessionen gingen Preissteigerungen voran. Quelle: Quelle: T. Rowe Price

Drittens: inverse Zinsstrukturkurve

Wie der Head of Multi-Asset Solutions weiter erklärt, ist eine sich stark abflachende bis invers werdende Zinsstrukturkurve (Rendite 10-jähriger US-Treasuries minus der Rendite 2-jähriger Staatspapiere) der klassische Vorbote einer Rezession in den USA. Das kurze Ende spiegelt die kurz- bis mittelfristigen Markterwartungen wider, das lange Ende der Kurve, wie Wirtschaftswachstum und Inflation über die nächsten zehn Jahre, eingeschätzt werden. Wenn, wie es sich aufgrund der galoppierenden Inflation immer mehr abzeichnet, die US-Notenbank die (kurzen) Zinsen aggressiv erhöht, mildert das zwar die Teuerungsgefahr, steigert aber im Umkehrschluss die Gefahr eines Wirtschaftseinbruchs.

"Eine inverse Zinsstrukturkurve gibt aber nicht nur die Markterwartungen wieder – sie kann auch ganz real zu einer Rezession beitragen helfen. Banken müssen für die kurzfristige Geldaufnahme mehr bezahlen als sie für die langfristige Ausleihe einnehmen. Das schmälert das Kreditwachstum und schadet wiederum der Wirtschaft", so Lustig.

In allen der sechs US-Rezessionen seit 1976 habe sich eine inverse Zinsstruktur als verlässliches Warnsignal erwiesen. Eine inverse Struktur gab es im März dieses Jahres (vgl. Abbildung). Dabei sei allerdings zu beachten, dass die langen Zinsen durch die massiven Anleihenkäufe (Monetary Easing) der Fed schon seit längerem künstlich nach unten gedrückt worden seien. Auch die Renditedifferenz zwischen den 10-jährigen Treasuries und den dreimonatigen Geldpapieren sei noch immer positiv. Das allein zeige noch keine Wirtschaftskrise am Horizont.

Nach US-Leitzinsanhebungen resultierte oft eine US-Rezession

Auf sechs der letzten acht Leitzinsanhebungen folgte dieses Muster. Quelle: T. Rowe Price
Auf sechs der letzten acht Leitzinsanhebungen folgte dieses Muster. Quelle: T. Rowe Price

Sich auf Rezession vorbereiten, wann immer sie kommt

"Anhand unserer Schlüsselindikatoren – Ölpreis, Fed-Politik und Zinskurve – erscheint eine Rezession in den USA jedoch immer wahrscheinlicher. Schwierig vorhersehbar ist der Zeitpunkt. Historisch gesehen verstreichen zwischen dem Auftreten der Signale und dem effektiven Einbruch im Durchschnitt zwei Jahre", sagt Lustig.

In der Zwischenzeit sollten Anleger seiner Ansicht nach ihre Portfoliodiversifikation beibehalten und für ein volatileres wirtschaftliches Umfeld gewappnet sein. Demnach werden Kursgewinne in konjunktursensitiven Anlagen durchwachsen sein. Gewinne da und dort sicherzustellen und der Portfoliopolitik treu zu bleiben könne keine schlechte Lösung sein, meint der Experte. Denn die Märkte greifen einem Konjunktureinbruch jeweils vor und Kursturbulenzen werden häufiger. Globale Diversifikation und Streuung über die Anlageklassen können dabei helfen, diese Volatilität abzufedern.

"Die Entwicklung aufmerksam verfolgen und das Portfolio dynamisch auf veränderte Konditionen ausrichten ist ein weiteres Rezept – eine Binsenwahrheit zwar, aber bei erhöhter Verunsicherung unverzichtbar", betont Lustig. Die Welt habe in letzter Zeit mehrere schnelle Regimewechsel erfahren: Von der Verlangsamung des Wachstums zu einer Pandemie, von der Beinahe-Deflation zur Inflation und von Null- bis Negativzinsen zur monetären Umkehr. In diesem raschen Wandel seien Flexibilität und Umsicht nötiger denn je.

"Schliesslich glauben wir, dass eine zukünftige Rezession anders ausfallen könnte als vorhergehende. Kreative Wege, um das Abwärtsrisiko im Portfolio zu mildern, sind die Konsequenz davon. Hält der Inflationsdruck an und tendieren die Anleiherenditen weiter nach oben, bleiben Regierungsanleihen ihrer traditionellen Rolle schuldig, Aktienrisiken zu kompensieren oder mindestens zu limitieren. Andere Ansätze, wie zum Beispiel aktive konservative Strategien oder ein breiteres Spektrum von Safe-Haven-Assets, können den defensiven Part in einem Portfolio spielen", sagt Lustig abschliessend.

Alle Artikel anzeigen

Diese Website verwendet Cookies, um Ihnen eine bestmögliche Nutzung zu ermöglichen. Mit der Annahme der Cookies bestätigen Sie, dass Sie ein professioneller Anleger mit Sitz in der Schweiz sind.> Datenschutzerklärung