20.12.2024, 14:24 Uhr
Das neue Diätmittel CagriSema von Novo Nordisk ist zwar besser als das alte Mittel, aber nicht besser als die Konkurrenz. Das führt zu einem Kurssturz weil mehr erwartet worden war.
Gemessen an der Kursentwicklung hatte es der Biotechsektor in den letzten zwei Jahren nicht leicht. Die Biotechindizes konnten mit dem Gesamtmarkt nicht mithalten. Jetzt scheint sich das Blatt zu wenden. Die Kurse stabilisieren sich zunehmend, und ein Comeback scheint möglich, sagt Lukas Leu, Portfoliomanager des Bellevue Biotech Fonds.
"Die Talsohle des Biotech-Bärenmarkts dürfte hinter uns liegen", nimmt Fondsmanager Lukas Leu das Fazit seiner Einschätzung vorweg. Der Sektor hat seine Kurstiefs Mitte Juni 2022 erreicht. Darauf folgte ein Kursanstieg von rund 30% (Mitte Juni bis Mitte August gemessen am Nasdaq Biotech Index, NBI), der jedoch aktuell etwas an Fahrt verloren hat.
"Dennoch sind die Aussichten positiv, und zwar nicht nur bis zum Jahresende, sondern auch für das kommende Jahr", verheisst Leu. Der Grund: "Viele Biotechunternehmen sind derzeit sehr gut positioniert und höchst attraktiv bewertet. Zudem werden viele wichtige Innovationen erwartet, mit wachsendem Marktpotenzial der einzelnen Indikationen."
Einen weiteren Treiber sieht der Fondsmanager im wachsende Druck auf die Pharmakonzerne. Diese müssen neue Wachstumstreiber generieren. Gemäss Schätzungen der US-Gesundheitsbehörde FDA verlieren noch in dieser Dekade Blockbuster-Medikamente mit einem Gesamtumsatz von mehr als 250 Mrd. US-Dollar ihren Patentschutz.
Die Gewinnentwicklung vieler grosser Pharmaunternehmen hängt häufig von wenigen Kassenschlagern ab. Laufen die Patente ab, sind die Gewinne gefährdet. Daher sind die Pharmakonzerne stetig bemüht, sich neue Technologien und Medikamente anzueignen. Gleichzeitig sind kleine und mittelgrosse Biotechfirmen, die mangels hoher Medikamentenerlöse noch nicht profitabel arbeiten, nach teils kräftigen Kursabschlägen derzeit historisch tief bewertet. "Das bietet attraktive Einstiegsmöglichkeiten", hält Lukas Leu fest.
Getrieben wurde die Ausverkaufswelle des Sektors in den letzten zwölf Monaten von einer stärkeren Diskontierung der zu erwartenden Umsätze infolge der inflationsbedingt steigenden Zinsen. Trotz der derzeit anhaltenden Marktvolatilität rechnet Bellevue Asset Management aber damit, dass die Biotechbranche sich durch anhaltende Wertschöpfung im Gesundheitsbereich behaupten wird.
Der Bellevue Biotech (Lux) Fonds legt seinen Schwerpunkt auf Titel mittelgrosser Biotechunternehmen, die sich durch Innovation und Wachstumsorientierung sowie zahlreicher Katalysatoren in expandierenden Pipelines auszeichnen. "Die Innovation in der Biotechbranche ist ungebrochen", betont Leu.
Beispielsweise sei zu beobachten, dass Bereiche wie die Gentherapie aktuell in die nächste Generation von Produkten und Technologien übergehen. Andere bereits etablierte Technologien wie die RNA-Technologie breiteten sich von ihrem anfänglichen Fokus auf seltene Krankheiten rasch auf grössere Indikationen aus und könnten so deutlich höhere Umsätze erzielen als ursprünglich erwartet wurde.
Ein Beispiel dafür ist Biomarin mit der europäischen Markteinführung von Roctavian, dem ersten Gentherapeutikum zur Behandlung von schwerer Hämophilie A. Auch Alnylam steht nach exzellenten klinischen Daten vor der Zulassung von Patisiran, einem Medikament gegen ATTR-Amyloidose mit Kardiomyopathie. Dieses Nischenprodukt könnte in Zukunft Milliardenerlöse erzielen.
Aber auch ausgewählte grössere, reife und vor allem profitable Biotechs bieten dem Branchenkenner zufolge Chancen. So weisen der Biotechriese Vertex oder auch die weltweit tätige Regeneron in diesem Jahr bereits deutliche Kursanstiege vor, was gerade in volatilen oder defensiveren Zeiten eine ausgewogene Balance ins Biotechportfolio bringe.
Die jüngsten Zukäufe angesichts der weiterhin niedrigen Bewertungen könnten den Auftakt zu einer neuen Übernahmewelle sein und den Sektor zusätzlich beflügeln. Wie Leu darlegt, befindet sich Pfizer seit Längerem auf Einkaufstour. Zuletzt hat der Pharmakonzern im August 5.4 Mrd. US-Dollar für Global Blood Therapeutics bezahlt. Das US-Biotechunternehmen entwickelt Arzneien gegen seltene Bluterkrankungen und ist führend in der Behandlung von Sichelzellanämie. Diese genetisch bedingte Erkrankung führt zu einer sichelförmigen Verformung der roten Blutkörperchen.
Drei Monate zuvor shloss Pfizer die bislang grösste Transaktion dieses Jahres in der Biotechbranche ab. Für 11.6 Mrd. US-Dollar wurde ebenfalls aus den USA Biohaven übernommen. Damit sicherte sich Pfizer die Vermarktung von Nurtec, ein Migränemedikament mit einem neuen Wirkmechanismus.
Die zunehmenden Übernahmeaktivitäten gepaart mit der starken Innovationspipeline dürften den Sektor vor dem Gegenwind steigender Zinssätze schützen, meint der Branchenspezialist: "Wir sehen gute Chancen, dass die grossen Pharmaunternehmen, ausgerüstet mit robusten Bilanzen, ihre Pipelines auch Ende des Jahres und Anfang 2023 mit Zukäufen bereichern werden", glaubt er.
Verschiedene Faktoren würden dafür sprechen, dass die Zahl der Akquisitionen weiter steigen werde. So haben zahlreiche Biotechs in diesem Jahr vielversprechende klinische Daten vorgelegt. Akzente setzen Biotechfirmen ebenso bei einzelnen Zulassungen. "Aus politischer Sicht sehen wir die Branche in einem guten Umfeld", sagt Leu weiter.
Mit der jüngsten Gesetzesinitiative würden innovative Medikamente in den USA, dem weltweit grössten Medikamentenmarkt, in Zukunft nicht von Preisdeckelungen tangiert. Dies fördere nicht nur die Innovation, sondern auch die Kauflust von Big Pharma. Firmen, die für ihre ersten Produkte auf der Basis von neuen bahnbrechenden Technologien die Marktzulassung erhalten haben oder unmittelbar davorstehen, sollten besonders gesucht sein, um Patentabläufe schnell kompensieren zu können.
Ein Blick auf die Transaktionen dieses Jahres zeige, dass die Onkologie das wichtigste Krankheitsgebiet für übernahmewillige Interessenten bleibt. Aber auch in der Neurologie, bei neuen Therapien gegen Schizophrenie und Depression, hätten einige kleinere Biotechs in den letzten Jahren gute Fortschritte erzielt, stellt Leu fest.
Der Fondsmanager von Bellevue Asset Management betont, dass die soliden regulatorischen Bedingungen, gepaart mit steigenden Studienanträgen bei der US-Gesundheitsbehörde FDA, auf weitere Zulassungen im Bereich der Medikamentenentwicklung hindeuten würden: "Die Innovation ist in vollem Gange, neue Durchbrüche werden vorangetrieben und neue Produkte zügig auf den Markt gebracht."
"Vor dem Hintergrund der attraktiven Bewertungen kommen Investoren in den Genuss von guten Renditeaussichten", fährt Leu fort. Aufgrund seiner Dynamik gehöre der Sektor ohnehin in jedes diversifizierte Portfolio. Die aktuellen Kurse würden laden zu neuen Biotechinvestments oder zu Zukäufen geradezu einladen.