13.11.2024, 13:49 Uhr
«Das grosse Interesse an risikoreichen Titeln könnte bis zum Jahresende anhalten. Aber dann wird es schwieriger», schreibt Shannon Saccocia, Chief Investment Officer bei NB Private Wealth.
Werden US-Aktien trotz stattlicher Bewertungen weiter steigen? «Das hängt stark von den glorreichen Sieben ab. Zurzeit gibt es kaum Anzeichen, dass ihr Siegeszug abrupt enden könnte», sagt Björn Jesch, Global CIO des deutschen Asset Managers DWS. Aktienstratege Andre Köttner erklärt, was sonst noch interessant ist.
Wie zweigeteilt der US-Markt derzeit ist, hat sich auch wieder im zweiten Quartal gezeigt. Das Plus beim S&P 500 ging ausschliesslich auf das Konto der glorreichen Sieben, die im Schnitt um 16,2 Prozent zulegten. Die restlichen 493 Aktien verloren in der Summe sogar etwas an Wert (-0,5 Prozent).
Ein Treiber an den Börsen, nicht nur in den USA, ist seit geraumer Zeit die Künstliche Intelligen (KI) resp. ihr vermeintliches Potenzial. DWS-CIO Jesch meint dazu: Noch sei nicht klar, welche Art von Produktivitätsgewinnen KI bringen werde. Fakt sei aber, dass derzeit hunderte von Milliarden Dollar für KI und KI-bezogene Investitionen ausgegeben würden. «Das dürfte das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts und die Gewinne in die Höhe treiben. Damit wir auf unser hohes erwartetes einstelliges Renditepotenzial bei Aktien kommen, müssen wir in den USA allerdings weiterhin starke Gewinnsteigerungen im Technologie-Sektor sehen.»
Eine Erhöhung der Bewertungsmultiplikatoren erwartet Jesch angesichts der hohen Bewertungen und der hohen Gewinnmargen nicht. Als Gegengewicht zu US-Tech-Werten setze DWS insbesondere auf europäische Aktien, so der Stratege.
Langfristig sind es vor allem zwei Punkte, die Jesch optimistisch für Aktien stimmen. Erstens: Die letzten Quartale hätten gezeigt, dass die Unternehmensgewinne weltweit wieder steigen, was eine rationale Unterstützung für steigende Aktienmärkte sei.
Zweitens: Das Gewinnwachstum der S&P-500-Unternehmen habe die Steigerungsraten des US-Verbraucherpreisindex in den letzten drei Jahrzehnten um fast das Vierfache übertroffen. «Das untermauert die Annahme, dass Aktienportfolios dazu geeignet sind, die Inflation auszugleichen», so Jesch.
Für Anleihen erwartet er, dass sich die derzeit inverse Renditekurve (die Renditen kurzlaufender Anleihen sind höher als die von langlaufenden) im zweiten Halbjahr zu normalisieren beginnen könnte – dank der erwarteten Zinssenkungen. «Wir favorisieren deshalb Staatsanleihen mit Laufzeiten von zwei bis fünf Jahren», hält der CIO fest. Positiv gestimmt ist er zudem für Euro-Unternehmensanleihen guter Qualität.
Welche Risiken gehen von der US-Präsidentenwahl aus? Wenn, dann seien sie eher von kurzfristiger Natur, meint Jesch. Die bevorstehende Wahl könne kurzfristig für Volatilität sorgen, wobei die wirtschaftlichen Implikationen hingegen mittel- bis längerfristig eher gering seien.
Für die Eurozone dürften die Hauptrisiken in einem verzögerten Aufschwung des privaten Konsums, einer schwächer als erwarteten globalen Nachfrage und in möglichen negativen Auswirkungen des Handelskrieges zwischen den USA und China liegen.
Etwas vorsichtiger als CIO Jesch äussert sich Andre Köttner, Global Co-Head Equity von DWS, zu Aktien: «Die richtige Auswahl von Einzeltiteln (Stock Picking) ist für den Erfolg einer Aktienanlage wichtiger denn je», sagt er. An US-Titeln führe nach wie vor kein Weg vorbei, auch wenn europäische Aktien deutlich günstiger bewertet seien. Die hohe US-Bewertung gehe nur auf eine kleine Anzahl von Titeln zurück, vor allem aus dem Technologiebereich.
Es gebe nach wie vor viele US-Aktien mit Potenzial, beispielsweise in der Medizintechnik. Die Branche habe in den letzten Jahren darunter gelitten, dass sie die höheren Kosten kurzfristig nicht durch Preiserhöhungen kompensieren konnte, erklärt Köttner: «Allmählich sehen wir jetzt aber diese Preisanpassungen, mit entsprechend positiven Effekten für die Gewinnmargen.»
Chancen sieht der Aktienstratege zudem bei ausgewählten Unternehmen aus dem Bereich der Basiskonsumgüter. Gerade in unsichereren Zeiten wie diesen seien Unternehmen mit stabilen Geschäftsmodellen, starken Marken und einer guten Preissetzungsmacht interessant.
Tech-Titel sind für den studierten Physiker Köttner deshalb längst nicht alles. Köttner verfolgt eine sogenannte Barbell-Strategie (deutsch: Hantel). Einerseits braucht er Werte, um in stark steigenden Märkten mithalten zu können und andererseits Titel für ruppige Märkte mit möglichst planbarem Wachstum und einer moderaten Bewertung.
In den USA landet Köttner bei der Aktienanlage auch deshalb immer wieder, weil das Spektrum und die Anzahl der Geschäftsmodelle, die an der Börse notiert sind, so beeindruckend gross sei. Kotierte Gefängnisse oder Bestattungsunternehmen – was für europäische oder asiatische Anleger vielleicht etwas seltsam anmute – seien in den USA ganz normal.
Neben den USA ist Europa für Köttner die zweitwichtigste Anlageregion. Zwar gebe es diverse blinde Flecken, beispielsweise in den Bereichen Technologie oder Biotechnologie, was zu einem erheblichen Teil an der deutlich stärkeren Regulierung in Europa liege. Es gebe aber diverse andere Branchen, in denen europäische Unternehmen eine sehr gute Rolle spielten:Basiskonsumgüter, Luxusgüter, Gesundheitswesen, Maschinenbau, Ingenieurswesen oder Industrie. Dort tummle sich eine Vielzahl äusserst konkurrenzfähiger, rentabler Unternehmen.
Deutlich skeptischer fällt sein Urteil zu chinesischen Aktien aus. Dort bestünden zwar Geschäftsmodelle, die es verdient hätten, fünf bis zehnmal so hoch bewertet zu sein. Der Bewertungsabschlag sei aber nachvollziehbar. Staatliche Eingriffe hätten schon in der Vergangenheit immer wieder für unliebsame Überraschungen gesorgt. «Das werde von Kapitalanlegern nicht gern gesehen.»