19.12.2024, 10:35 Uhr
Die schwedische Zentralbank hat ihren Leitzins schon zum fünften Mal in diesem Jahr gesenkt. Und weitere Schritte dürften folgen.
Durch die Invasion Russlands in der Ukraine ist auch die Energieversorgung Europas bedroht. Damit könnte sich die Haltung der Zentralbanken ändern, meint Michael Salden von Vontobel. Sie könnten sich veranlasst sehen, Zinserhöhungen zu verschieben. Genau das umgekehrte Szenario erwartet Sébastien Galy von Nordea Asset Management. Die Wirkung von Sanktionen aufgrund der starken Abhängigkeit Europas von russischen Exporten scheine zweifelhaft.
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat die Rohstoffpreise auf neue Rekordhöhen getrieben, woraufhin Aktien in einer Risk-off-Bewegung der Märkte abstürzen. "Während Unterbrechungen bei der Öl- und Gasversorgung drohen, rechnen die Märkte mit einer Aufweichung der Politik der wichtigsten Zentralbanken", sagt Michael Salden, Head of Commodities bei Vontobel Asset Management.
Bereits im Vorfeld der Krise hatten Rohstoffe eine geopolitische Risikoprämie eingepreist, die durch die Entscheidung Russlands, in die Ukraine einzumarschieren, einen weiteren Schub erhielt. Der Bloomberg Commodity Index (BCOM) ist seit Jahresbeginn um 20% gestiegen und Brent wird bei über 100 USD gehandelt, dem höchsten Stand seit 2014. Die Gasknappheit in Europa hat sich verschärft, da Deutschland bereits am Montag die Öffnung der Nordstream-2-Gaspipeline blockierte, was laut Salden weitere Probleme bei den dringend benötigten Gaslieferungen wahrscheinlich macht. Infolgedessen ist der Preis von in den Niederlanden gehandeltem Gas seit Montag um 50% angestiegen.
Die Krise wirke sich jedoch nicht nur auf die Energieversorgung aus, da die Lagerbestände aller wichtigen Rohstoffe bereits auf den niedrigsten Stand seit 20 Jahren gesunken sind. Auf die Ukraine entfallen 12% bzw. 16% der weltweiten Weizen- und Maisexporte, und es bleibe abzuwarten, inwieweit die ukrainischen Häfen und die Schiffsinfrastruktur durch den militärischen Konflikt beschädigt werden. Darüber hinaus gehören die Ukraine und Russland laut Salden zu den grössten Exporteuren von Düngemitteln, was Risiken für die weltweite Ernährungssicherheit mit sich bringt. Schon am frühen Morgen des 24. Februar hätten alle US-Getreidemärkte bereits ihre maximalen Tagesgewinne von 6% erreicht, was zu erheblichen Handelsunterbrechungen führte, und französischer Weizen sei sogar um 10% gestiegen. Auf den Metallmärkten, die von russischer Dominanz geprägt sind, ergebe sich mit Blick auf die Intraday-Daten des 24. Februar ein ähnliches Bild: Aluminium stieg um 4%, Nickel um 2% und Palladium erreichte untertags sogar einen Preisanstieg von 10%.
"Sanktionen werden auf all diesen Märkten zu weiteren Aufschlägen führen. Angesichts der Abhängigkeit Europas von russischem Gas, Industriemetallen und Düngemitteln könnten sich die Sanktionen jedoch als weniger praktikable Optionen erweisen als erhofft. Darüber hinaus hat Russland ein 150-Milliarden-Euro-Energieabkommen mit China unterzeichnet, um die Verflechtung des Landes mit dem Westen zu verringern, was die Wirkung von Sanktionen weiter untergräbt", erklärt der Rohstoff-Experte.
Der ausgewachsene militärische Konflikt habe das Risiko von Unterbrechungen der Öl- und Gasversorgung erheblich erhöht, aber es sei davon auszugehen, dass Russland seine langfristigen Energielieferverträge wie in der Vergangenheit einhalten werde. Im Gegenzug ist es nach Ansicht Saldens unwahrscheinlich, dass Russland zusätzliches Gas liefern wird, um die europäischen Vorräte im Sommer aufzufüllen, die derzeit 20% unter dem 5-Jahres-Durchschnitt liegen. Dies könnte sich im nächsten Winter als ein grosses Problem erweisen, meint er. Auch die viel diskutierte Sanktion, Russland aus dem Swift-Zahlungssystem auszuschliessen, werde ein heikles Thema sein. "Wenn Russland keine Zahlungen für seine Öl- und Gaslieferungen erhält, wird es seine Lieferungen einschränken oder sogar einstellen. Um die Situation zu entschärfen, könnten Europa und die USA eine sofortige Einigung über ein neues iranisches Ölabkommen anstreben. Ein solches Abkommen würde zwar dazu beitragen, neues Öl auf den Markt zu bringen – bis zu einer Million Barrel pro Tag in sechs Monaten –, würde aber auch neue geopolitische Risiken im Nahen Osten schaffen", so Salden.
Da die Krise das Wachstum in den USA und insbesondere in Europa beeinträchtigen könnte, könnten sich die grossen Zentralbanken von der Inflationsbekämpfung abwenden und sich der Wiederherstellung des Wachstums und des reibungslosen Funktionierens der Kapitalmärkte zuwenden – je nachdem, wie lange die Krise andauert, wie der Rohstoff-Experte weiter ausführt. "In der Tat revidieren die Märkte bereits die Wahrscheinlichkeit des geplanten Zinserhöhungspfades der Fed in Erwartung einer 'dovishen' Kursänderung, da das lange Ende der US-Treasury-Kurve bereits einen starken Rückgang der Realrenditen aufweist", sagt Salden.
Für Sébastien Galy, Senior Macro Strategist bei Nordea Asset Management, ist aber auch ein anderes Szenario denkbar. Der starke Anstieg der Rohstoffpreise könnte dazu führen, dass die Fed und die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik stärker und früher straffen. Ein Abwärtsdruck an den Börsen wäre die logische Folge.
"In einem solchen Umfeld sind Covered Bonds mit kurzer Laufzeit weiterhin von grossem Interesse. Infrastruktur ist eine vernünftige Absicherung gegen Inflation, während Unternehmen mit stabilen und vorhersehbaren Cashflows, wie sie in einigen flexiblen Anlagelösungen zu finden sind, weiterhin eine Möglichkeit darstellen, sich für einen weitaus vorsichtigeren Aktienmarkt zu positionieren", so Galy.