19.12.2024, 10:35 Uhr
Die schwedische Zentralbank hat ihren Leitzins schon zum fünften Mal in diesem Jahr gesenkt. Und weitere Schritte dürften folgen.
Joseph Amato von Neuberger Berman äussert sich zu den Hintergründen der aktuellen Inflation und beleuchtet, wie Omikron und die Fed mit der Teuerung zusammenhängen. Monatelang hätten die Anleger wegen der steigenden Inflation eine zu späte Straffung der Geldpolitik befürchtet, doch nun könnte das Gegenteil drohen.
"Im Oktober ging man bei Neuberger Berman davon aus, dass die Märkte einen Grossteil der kurzfristigen Sorgen vor einer neuen Corona-Krise hinter sich gelassen hätten. Dafür sah man die Konjunkturrisiken als gestiegen an – das nachlassendes Wachstum, die höhere Inflation und die straffere Geldpolitik. In den letzten Wochen drehten sich die Gedanken bei Neuberger Berman daher häufiger um diese Themen, statt um die Extremrisiken der Pandemie", reflektiert Joseph Amato, Neuberger Bermans President und CIO Equities.
Da die Volatilität der letzten beiden Wochen mit der neuen Omikron-Variante zusammenfiel, möge so mancher das anders sehen. Bei Neuberger Berman bleibe man jedoch in der Annahme, dass die Volatilität mehr mit Konjunktur, Inflation und Geldpolitik zu tun habe als mit anderen Faktoren. Das könnte bedeuten, dass die Märkte wohl unabhängig von Omikron bis ins neue Jahr hinein volatil bleiben.
Corona ist noch nicht vorbei. Die Inzidenzen sind in den vergangenen zwei Monaten weltweit gestiegen. Die Entdeckung der Omikron-Variante, die nach ersten Erkenntnissen ansteckender und vielleicht auch impfresistenter ist als frühere Varianten, mahnt zur Vorsicht. Augenscheinlich schützen die Impfstoffe und andere Medikamente aber noch immer vor schweren Verläufen. Wenngleich die Analysen gerade erst begonnen haben, so scheint die neue Virusvariante doch harmloser zu sein. "Sollte sich ein in diesem Sinne ungefährlicheres Virus weltweit durchsetzen, könnte die Corona-Krise schneller als bisher angenommen vorbei sein", hofft Amato.
Da jetzt gegen Corona geimpft werden kann, rechnen ohnehin nur noch wenige Investoren mit einem ähnlich langen und harten Lockdown wie im Jahr 2020. Allenfalls fürchtet man, dass es die Regierungen mit vorübergehenden Kontaktbeschränkungen übertreiben. In diesem Fall könnten die Lieferengpässe noch länger anhalten und das Wirtschaftswachstum bei steigender Inflation noch stärker nachlassen. Das hätten viele Anleger allerdings ohnehin schon erwartet.
"Auffällig ist, dass Omikron mit einer deutlich schärferen Rhetorik der Fed zusammenfiel", bemerkt Amato. In seiner Anhörung vor dem Ausschuss für Banken, Wohnungsbau und städtische Angelegenheiten des US-Senats Ende November habe sich Fed-Chairman Jerome Powell den üblichen Hinweis auf die "vorübergehende" Inflation verkniffen, der für viele Investoren schon zur Gewohnheit wurde. "Stattdessen hiess es, die Wertpapierkäufe könnten schon einige Monate früher beendet werden. Damit gab die Notenbank letztlich zu, die Inflation falsch eingeschätzt zu haben. Das ist eigentlich keine Überraschung, aber die Märkte waren dennoch irritiert", sagt der CIO Equities.
Dies habe möglicherweise zu mehr Volatilität geführt – kurz darauf fielen die Kurse. Monatelang hätten die Anleger wegen der steigenden Inflation eine zu späte Straffung der Geldpolitik befürchtet, doch nun könnte das Gegenteil drohen: eine zu schnelle Straffung, während Omikron die Konjunktur bedroht, gibt Amato zu bedenken. Der US-Arbeitsmarktbericht vom 3. Dezember sei widersprüchlich gewesen. Das Beschäftigungswachstum habe zwar enttäuscht, jedoch ging die Arbeitslosenquote stark zurück und die Erwerbsquote stieg an. Diese gegensätzlichen Zahlen hätten nur für noch mehr Unsicherheit gesorgt. An den Anleihemärken rechne man jetzt erst später im neuen Jahr mit dem ersten Zinsschritt.
Wie Amato weiter erläutert, hatte sich Anfang Dezember diese Einschätzung dann abermals stark gewendet: Nun gilt eine Zinserhöhung bereits im Mai wieder für wahrscheinlicher als vor Omikron. Das dürfte kaum allein oder überwiegend mit dem Virus zu tun haben. Eher schon rechneten die Anleger mit einer erneut hohen US-Inflation, zu der es dann auch kam: Vergangene Woche stieg die Teuerung im Vorjahresvergleich auf 6,8%, so viel wie zuletzt 1982. Das bestätigt die Annahme, dass die Fed das Tapering beschleunigt, wie von Powell bereits angedeutet.
Wenn sich der Omikron-Nebel lichte, so Amato, sehe man in Bezug auf die Konjunktur wieder klarer: Wie entwickelt sich das Wirtschaftswachstum? Wie die Inflation? Was tun die Notenbanken? Und, vor allem, wie schnell und stark kann die Geldpolitik gestrafft werden, ohne dass Anleihen und Aktien Probleme bekommen?
Entscheidend bleibe in Neuberger Bermans Augen die Fed. Für Aktien sei Inflation kein grösseres Problem, solange die Fed die steigenden Preise akzeptiert. Wenn sie die Geldpolitik aber massiv straffe, reagierten die Märkte meist heftig.
"Noch kennt keiner die Antworten. Das ist wohl auch der Grund für die Volatilität, die bis weit ins neue Jahr hinein anhalten könnte. Bei Neuberger Berman geht man jedoch recht sicher davon aus, dass für eine weiche Landung bei den derzeitigen Bewertungen nur wenig Spielraum besteht. In den letzten drei Jahren ist der S&P 500 Index jährlich um über 20% gestiegen. So kann es nicht weitergehen", meint Amato und fügt hinzu: "Die Impfstoffentwicklung könnte 2021 in der Pandemie die Wende gebracht haben. Und auch im neuen Jahr könnte sich sehr viel ändern – diesmal aber wohl wegen der US-Geldpolitik."