19.12.2024, 10:35 Uhr
Die schwedische Zentralbank hat ihren Leitzins schon zum fünften Mal in diesem Jahr gesenkt. Und weitere Schritte dürften folgen.
Marc-Antoine Collard von Rothschild & Co AM mahnt zur Vorsicht hinsichtlich weiterer monetärer Lockerungen. Er zweifelt, dass Zentralbanken bei der globalen Konjunkturabschwächung das Ruder tatsächlich herumreissen können.
Die Verschlechterung der internationalen Wirtschaftslage vor dem Hintergrund anhaltender Handelsspannungen setzte sich im Juni fort. Selbst die Wirtschaftsstatistik der USA, die bisher verschont blieb, hat eine allgemeine – wenn auch allmähliche – Verschlechterung erlitten. Investitionen und der Welthandel waren zu Beginn des Jahres schwächer als erwartet. Die sinkenden Zinssätze in den meisten Ländern spiegeln die fragile Dynamik des globalen Wachstums wider, das erheblichen Abwärtsrisiken ausgesetzt ist. Die Aktienmärkte gehen jedoch nach wie vor von einer Erholung der Weltwirtschaft im zweiten Halbjahr 2019 aus, da sich Unsicherheiten auflösen und die Zentralbanken entschlossen sind einzuspringen. So umreisst Marc-Antoine Collard, Chefvolkswirt bei Rothschild & Co Asset Management, die aktuelle Lage.
Die Aussicht auf eine weitere globale monetäre Lockerung, einschliesslich einer möglichen Rückkehr von Wertpapieraufkaufprogrammen, ist gestiegen, was die Aktienmärkte unterstützt. Bestimmte Faktoren rufen jedoch bei diesen Erwartungen, die auf den ersten Blick zu optimistisch erscheinen mögen, zur Vorsicht auf. Collard mahnt: "Tatsächlich sind die Erwartungen an das Ausmass der geplanten geldpolitischen Lockerungsmassnahmen gefährlich hoch." So werden in den USA in diesem Jahr nicht weniger als drei Zinssenkungen erwartet, obwohl die letzte Sitzung des Offenmarktausschusses (FOMC) gezeigt hat, dass die Mehrheit der Mitglieder keine Zinsänderungen in Betracht zieht.
Darüber hinaus bleiben die erwarteten Auswirkungen dieser Massnahmen auf das zukünftige Wirtschaftswachstum eine offene Frage. Zweifellos haben die Zentralbanken nach der Finanzkrise die Wirtschaftstätigkeit auf vielfältige Weise unterstützt. Zum einen schufen sie ein Klima des Vertrauens für Unternehmen und Finanzmärkte und förderten so Investitionen. Zum anderen förderte der Rückgang der Zinssätze – und damit der Kosten für die Kreditaufnahme – die Kreditvergabe und damit das Wirtschaftswachstum. "Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass diese Effekte linear sind. Und so ist es nicht auszuschliessen, dass eine weitere Zinssenkung der Wirtschaft mehr schadet als hilft, nämlich aufgrund ihrer negativen Auswirkungen auf die Profitabilität der Banken und damit auf ihre Fähigkeit zur Kreditvergabe", sagt Collard und fährt fort:
"Trotz der beispiellosen Positionsänderung der Fed und eines weniger restriktiven Tonfalls bleibt die 10-Jahres-/3-Monats-Zinskurve der USA invers. Dies lässt bei den Anleiheanlegern durchaus Zweifel an der Fähigkeit der Zentralbanken aufkommen, die globale Konjunkturabschwächung tatsächlich umzukehren."
Inzwischen wird auch die Entspannung im Handelskonflikt als ein Beitrag zur Verbesserung der Weltwirtschaft angesehen. Die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen den USA und China am Rande des G20-Treffens sei sicherlich eine gute Nachricht, meint der Chefökonom, doch auch wenn es die Befürchtungen einer kurzfristigen Eskalation schmälert, so gäbe es wenige Hinweise auf eine schnelle und dauerhafte Lösung. Schliesslich bleibt der Konflikt ungelöst.
Zudem bleibt auch die Fortsetzung der Gespräche zwischen den USA und Europa völlig unklar. "Während die Vorhersage und Quantifizierung der gesamtwirtschaftlichen Folgen einer Eskalation der Handelsstreitigkeiten angesichts der Komplexität und des hohen Grads der Vernetzung der Wertschöpfungskette kompliziert ist, erhöht die Einführung von Zollschranken die Unsicherheit", sagt Collard. Dies führe zweifellos zu einer Beeinträchtigung des globalen Wachstums. In dieser Hinsicht scheine es, dass die meisten Unternehmen eine abwartende Haltung eingenommen hätten, indem sie ihre Investitionsentscheidungen verschoben oder in Frage gestellt haben. Tatsächlich fiel der Geschäftsklimaindex Markit für das globale verarbeitende Gewerbe auf den niedrigsten Stand seit fast sieben Jahren.
Auch in dieser Hinsicht stellt Collard die Wirkung der Notenbanken in Frage: "Vorerst entspricht die Wirksamkeit der verschiedenen Massnahmen nicht den Erwartungen. Nicht nur, dass sich die Verschlechterung der meisten chinesischen Wirtschaftsindikatoren fortsetzte, auch die Auswirkungen der Massnahmen scheinen bei den Vermögenspreisen – insbesondere bei Immobilien – viel deutlicher erkennbar zu sein als in der Realwirtschaft." Allerdings wolle China eine Immobilienblase vermeiden. Während der Aktienmarkt weiterhin von der Hoffnung auf zusätzliche Massnahmen beflügelt werde, seien die Risiken für die Finanzstabilität keineswegs zu vernachlässigen und der Handlungsspielraum der chinesischen Behörden offenbar begrenzt. "Wieder einmal scheint der Anleihenmarkt dies gut erkannt zu haben", schliesst der Experte.