19.12.2024, 10:35 Uhr
Die schwedische Zentralbank hat ihren Leitzins schon zum fünften Mal in diesem Jahr gesenkt. Und weitere Schritte dürften folgen.
Ob die Wirtschaft niedrigere Zinsen wirklich braucht, bezweifelt Joseph Amato, CIO Equities bei Neuberger Berman. Vielmehr fordert er eine Verbesserung der internationalen Regulierung und Unternehmenssteuern – sowohl in Europa als auch in den USA.
Vor drei Wochen wurde deutlich, wir sehr den Märkten der "Powell Put" gefällt, also die Möglichkeit einer Zinssenkung in der zweiten Jahreshälfte. Letzte Woche wurden die US-Notenbank (Fed) und Mario Draghi von der Europäischen Zentralbank (EZB) dann noch expansiver. Der "Dot Plot", die Leitzinserwartung der Fed, ging zurück. Fast die Hälfte der Mitglieder des Offenmarktausschusses der Fed erwarten für dieses Jahr mindestens eine Zinssenkung, und ein Mitglied wollte einen solchen Schritt schon letzte Woche.
Das Notenbank-Statement liess keinen Zweifel daran, dass die Geldpolitik den Aufschwung verlängern soll. Draghi hatte die Märkte bereits angekurbelt, indem er sagte, dass "zusätzliche Impulse erforderlich sein werden", sollte das Inflationsziel der EZB nachhaltig gefährdet sein. Die Notenbank werde dann "über neue Instrumente nachdenken", um dieser Bedrohung zu begegnen, bei Bedarf "auch über weitere Leitzinssenkungen". Der EZB-Refinanzierungssatz beträgt zurzeit null, der Einlagensatz ist negativ.
Die schwachen Konjunkturdaten findet Amato ganz klar besorgniserregend. Eine lockerere Geldpolitik stimuliert meist die Wirtschaft. "In der aktuellen Konjunkturphase ist es aber zweifelhaft, ob sie wirklich viel bewirkt", meint er. Vielmehr sei zu befürchten, dass die Regierungen bei niedrigeren Zinsen ihrer fiskalpolitischen Verantwortung nicht nachkämen und dass unproduktive Unternehmen nicht vom Markt verschwinden würden. Amato glaubt, dass somit produktive Unternehmensinvestitionen verdrängt werden und insbesondere in Europa das Bankensystem unter Druck geraten könnte. "Zinssenkungen könnten zwar die Konjunktur stabilisieren, aber um den Preis schwachen Wachstums, einer stagnierenden Produktivität und niedriger Eigenkapitalrenditen", so der Experte.
Er erinnert an die jüngste Phase 2017 und 2018, als das amerikanische BIP-Wachstum letztmals zulegte. Damals war die Notenbank nicht expansiv. Vielmehr normalisierte sie ihre Geldpolitik weiter, indem sie das Quantitative Easing endgültig beendete. Ein noch wichtiger Aspekt findet der Experte aber, dass die Unternehmenssteuern gesenkt und Regulierungen gelockert wurden.
Amato ist überzeugt: "Unabhängig von der Lockerung der Geldpolitik müssen die USA aber zu einer politischen Einigung über eine Lösung der längerfristigen Haushaltsprobleme kommen. Sozialversicherung, Krankenversicherung und Einwanderung verlangen nach Reformen, und das Infrastrukturprogramm muss endlich laufen." Dem ist nicht nur in den USA so. Auch in Europa müsse man sich über Regulierungen und Unternehmenssteuern verständigen. Schon seit einigen Jahren fordern Investoren die Regierungen daher auf, ihre Arbeit zu tun. "Nötig ist ein neues Wirtschaftsmodell, das die Anforderungen der stärkeren und der schwächeren Länder miteinander in Einklang bringt", postuliert der Aktien-Experte. Lösungen für diese Probleme wären gut für das Geschäftsklima, denn sie würden Investitionen anregen und die Produktivität nachhaltig steigern.
Diese Anmerkungen mache auch Draghi schon seit Jahren, relativiert Amato. "Vielleicht mit Blick auf sein Bild in den Geschichtsbüchern nach dem Abschied aus der EZB im Oktober, drängte er letzte Woche so entschieden wie nie auf Reformen. Die Geldpolitik funktioniere immer dann am besten, wenn sie mit der Fiskalpolitik an einem Strang ziehe, betonte er und kritisierte die Sparpolitik nach der Finanzkrise." Nun stelle sich nur noch die Frage, ob die Regierungen auf ihn hören werden.
Dank des "Zuckerschocks" der lockeren Geldpolitik legten Staatsanleihen letzte Woche stark zu. Noch nie waren die Zinsen so vieler europäischer Anleihen negativ, und die amerikanische Zehnjahresrendite fiel auf etwa 2%. Aktien gewannen ebenfalls, allerdings wegen steigender Bewertungen und nicht wegen höherer Gewinnerwartungen. Doch auch wenn jeder eine Rallye zu schätzen wisse, sei es letztlich schwer abzuschätzen, wie sich eine politische Einigung über die nötigen Finanz- und Regulierungsreformen erreichen lässt.
"Ohne eine expansivere Fiskalpolitik dürften niedrigere Zinsen und Wertpapierkäufe immer weniger ausrichten", ist Amato überzeugt. Vielleicht reichen solche Notenbankmassnahmen, damit der lange Konjunkturzyklus weitergeht. Ein höheres und nachhaltigeres Wachstum dürfte sich seiner Ansicht nach aber nicht erreichen lassen – und vielleicht würde es dadurch gar verhindert.