25.11.2024, 14:58 Uhr
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Die Welt ist von einer Gesundheitskrise in eine Energiekrise getaumelt und steht jetzt am Rande einer Nahrungsmittelkrise. Laut dem Positionspapier "Lebensmittel, Energie und Inflation» von ThomasLloyd steht eine sehr schwierige Zeit bevor – sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht.
Die Inflation nimmt überall drastisch zu. In den USA hat der Verbraucherpreisindex (VPI) mit 8,5% den höchsten Stand seit 40 Jahren erreicht und in der Eurozone liegt er mit 7,5% so hoch wie nie seit der Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung 1999, hält Nick Parsons, Head of Research & ESG bei ThomasLloyd Group, fest. Vielfältige Faktoren haben aus seiner Sicht zur Entstehung einer rasanten Inflation beigetragen: übermässige geldpolitische Lockerungen der Zentralbanken weltweit, eine Verringerung der verfügbaren Arbeitskräfte infolge der Covid-Krise, die Unterbrechung von Lieferketten während bzw. seit der Pandemie, ein signifikanter Anstieg des Rohölpreises und steigende Lebensmittelpreise aufgrund des Krieges in der Ukraine. Parsons betrachtet im Folgenden jeden dieser Faktoren im Einzelnen.
Nachdem die Zentralbanken weltweit – und insbesondere die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) – zu Beginn der Covid-Pandemie sehr schnell die Zinsen gesenkt haben, waren sie sehr zögerlich mit einer restriktiveren Geldpolitik, selbst als klar wurde, dass der Inflationsdruck rapide zunahm. Noch im Februar 2022 stockte die Fed ihre Bilanz auf, ganze vier Monate nachdem ihr Vorsitzender Powell dem Kongress erklärt hatte, dass es an der Zeit sei, die Inflation nicht mehr als "vorübergehend» zu bezeichnen. Der offizielle Zinssatz wurde im März um 25 Basispunkte angehoben, aber das war die erste Erhöhung seit über drei Jahren, und damit liegt der Leitzins immer noch deutlich unter der aktuellen Inflationsrate. Einfach gesagt, "die Fed hinkt der Entwicklung weit hinterher», sagt Parsons.
Durch die Covid-Pandemie haben weltweit Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Der Internationale Währungsfonds (IWF) stellte im Juni 2020 fest: "Für 2020 wird ein weltweites Wachstum von -4,9% prognostiziert, 1,9 Prozentpunkte unter der Prognose des World Economic Outlook (WEO) vom April 2020. Die Covid-Pandemie hat sich in der ersten Hälfte des Jahres 2020 negativer auf die Wirtschaftstätigkeit ausgewirkt als erwartet ...Die negativen Auswirkungen auf Haushalte mit niedrigem Einkommen sind besonders akut und gefährden die erheblichen Fortschritte, die seit den 1990ern bei der Reduzierung extremer Armut auf der Welt erzielt wurden.»
Der Beschäftigungsrückgang führte zu einem Rückgang der Erwerbsquote, die in den Schwellen- und Entwicklungsländern proportional höher ausfiel als in den Industrieländern und sich eher auf die Jugend als auf die Beschäftigung im Haupterwerbsalter auswirkte. Während sich die Jugendbeschäftigung in der Folgezeit etwas erholte, kam es zu einem Phänomen, das unter dem Namen "The Great Resignation» bekannt geworden ist und bei dem eine grosse Zahl älterer und qualifizierter Arbeitskräfte ihr Arbeitsverhältnis gekündigt hat. "Covid hat in vielen Ländern zu einer umfassenden Neubewertung der Work-Life-Balance geführt", so Parsons.
Der Arbeitskräftemangel führt dazu, dass die Löhne jetzt für alle Altersgruppen, Geschlechter, ethnischen Gruppen und Qualifikationsstufen steigen. Ohne die Covid-bedingten Verzerrungen (wenn die Entlassung von Niedriglohnempfängern zunächst den gemeldeten Durchschnittsverdienst in die Höhe trieb, was sich 12 Monate später aufgrund von Basiseffekten wieder umkehrte) steigen die US-Löhne derzeit so schnell wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr. Die jüngsten Zahlen zeigen eine Jahresrate von 5,6%, also fast das Doppelte des Niveaus vor der Pandemie.
Die Energiepreise sind ebenfalls erheblich gestiegen. Noch vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine Ende Februar 2022 war der Preis für Rohöl (WTI) auf 92,10 USD pro Barrel gestiegen, den höchsten Stand seit fast sieben Jahren und etwa doppelt so hoch wie der Durchschnittspreis in den fünf Jahren vor der Covid-Pandemie. Anfang März 2022 erreichte der Preis einen neuen Höchststand von 123,70 USD, bevor er sich leicht erholte, nachdem die USA Vorräte aus ihrer strategischen Erdölreserve freigaben. Da Kraftstoffe in den meisten Ländern direkt 10% bis 15% des VPI-Warenkorbs ausmachen und die indirekten Auswirkungen diesen Anteil auf über 20% ansteigen lassen, waren die Auswirkungen auf die Inflationsraten unmittelbar und dramatisch.
Schliesslich beleuchtet Parsons die Lebensmittelpreise. Ein Thema, das für Milliarden Menschen weltweit erheblich wichtiger sei als abstrakte makroökonomische Konzepte. Wie die Energiepreise sind die Lebensmittelpreise schon deutlich vor dem Krieg in der Ukraine gestiegen, bedingt durch eine Kombination aus höheren Vorlaufkosten – insbesondere für Düngemittel und Kraftstoff –, steigenden Arbeitslöhnen in der Landwirtschaft, Fracht- und Versandkosten und einer Folge ungünstiger Wetterereignisse wie Dürren und Überschwemmungen. Der monatliche weltweite UN-Lebensmittelpreisindex stieg schon vor dem Krieg in der Ukraine von 91,1 im Mai 2020 auf einen Höchststand von 141,4 Ende Februar 2022. Allein im März stieg der Index um weitere 12,7% auf ein Allzeithoch von 159,3; ein Anstieg von 75% in weniger als zwei Jahren.
Die Kosten für die am häufigsten verwendeten Düngemittel in der Landwirtschaft sind im vergangenen Jahr erheblich gestiegen, da sie laut Parsons entweder Nebenprodukte der Raffination von Rohöl anfallen oder stark davon abhängig sind. Die Preise für Ammoniak, Harnstoff, Kaliumcarbonat, Diammoniumphosphat und andere häufig verwendete Produkte sind so hoch wie nie zuvor. Der Preis für Harnstoffdünger ist von 250 USD pro Tonne zu Beginn es Jahres 2021 auf einen neuen Höchststand von 885 USD pro Tonne gestiegen und hat sich damit in nur 15 Monaten mehr als verdreifacht. "Die Landwirte stehen vor der wenig beneidenswerten Wahl, entweder höhere Preise für Betriebsmittel zu zahlen und diese direkt an die Verbraucher weiterzugeben oder weniger Dünger einzusetzen und geringere Ernteerträge in Kauf zu nehmen, was ebenfalls zu einem Preisanstieg führen wird", kommentiert der Nachhaltigkeitsexperte.
Ein weiterer deutlicher Versorgungsengpass, der sich auf die Lebensmittelpreise auswirkt, ist eine direkte Folge des Krieges in der Ukraine. Wie Parsons weiter erläutert, war das Land 2020 der fünftgrösste Weizenexporteur der Welt mit einem Gesamtwert von 3,59 Mrd. USD. Es bestehen erhebliche Zweifel an der Sommerernte 2022 und auch daran, ob die nächste Ernte überhaupt eingebracht werden kann. Bei den Gesamtexporten von über 18 Mio. Tonnen im Jahr 2020 besteht ein potentiell grosses Defizit bei der Versorgung, insbesondere angesichts der EU- und US-Sanktionen gegen Russland, das sowohl wert- als auch mengenmässig der grösste Weizenexporteur der Welt ist.
Einige der bevölkerungsreichsten Länder der Welt sind auf Weizenimporte aus der Ukraine angewiesen, wobei die grössten Abnehmer der Nahe Osten und Asien sind. Auch Mais ist ein wichtiges ukrainisches Exporterzeugnis, da er weltweit als Futtermittel verwendet wird. "Eine Unterbrechung der Versorgung kann grosse negative Auswirkungen in den Ländern haben, die nicht oder wenig in der Lage sind, die Ausfälle durch heimische Erträge zu ersetzen, und in denen aufgrund eines geringen Einkommensniveaus eine strukturelle Vulnerabilität gegenüber höheren Preisen besteht", sagt Parsons.
Der Head of Research & ESG bei ThomasLloyd zieht den Schluss, dass die derzeitige Verkettung nachteiliger Inflationseinflüsse kurz- und mittelfristig die Preise in die Höhe treiben könnte. "Das Tempo der Kostensteigerungen kann aufgrund von Basiseffekten abnehmen, aber selbst wenn die Inflation im zweiten Halbjahr 2022 etwas nachlässt, werden die Preise für viele Produkte wie Lebensmittel und Energie auf oder knapp unter einem Allzeithoch bleiben. Tatsächlich kann der Fokus auf die erste Ableitung der Preise – ihre jährliche Änderungsrate – den Blick der Entscheidungsträger auf die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der tatsächlich zu bezahlenden Preise verstellen", erläutert er.
Wenn sich die Preise sofort verdoppeln und für 13 Monate auf diesem höheren Niveau bleiben, werde die jährliche Inflationsrate für diesen Zeitraum bei Null liegen. Jedoch mindere eine Inflationsrate von Null nicht die Belastung durch die hohen Preise, die Unternehmen und Verbraucher weiter tragen müssen.
"Steigende Preise für fossile Brennstoffe – Erdöl und Erdgas – werden zwangsläufig die relative Attraktivität erneuerbarer Energien erhöhen und wir gehen davon aus, dass die Nachfrage nach diesen Energien weiterhin stark zunehmen wird, insbesondere in Ländern, die nach wie vor ein hohes wirtschaftliches und demografisches Wachstum verzeichnen, das letztlich die Nachfrage nach Strom antreibt", so Parsons.
Energiesicherheit sei seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine ein zentrales Thema, aber in einigen asiatischen Ländern sei sie schon seit vielen Jahren ein Bestandteil der Politikgestaltung. Eine geringere Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen trage dazu bei, die Zahlungsbilanz zu entlasten und die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft zu verbessern, d.h. die Fähigkeit, externen Erschütterungen standzuhalten. In Indien und den Philippinen sei diese Erkenntnis eine der Triebfedern für die politische Förderung erneuerbarer Energien gewesen und ThomasLloyd gehe davon aus, dass andere Länder in der Region diesem Vorbild folgen werden.
"Lokal erzeugte Energie für den lokalen Verbrauch stand schon immer im Zentrum unserer Investitionsstrategie. In Anbetracht der Wahrscheinlichkeit wachsender sozialer Spannungen infolge der erheblich gestiegenen Weltmarktpreise für Lebensmittel wird sich das auch als ein pragmatisches politisches Programm durchsetzen. Im Rahmen der Bestrebungen von Regierungen, die Lebensmittelknappheit zu verringern, wird die Förderung erneuerbarer Energien sich positiv auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, Familieneinkommen, soziale Stabilität und die Achtung der Institutionen auswirken", kommentiert Parsons.
Höhere Rohstoff- und Transportkosten – Polysilizium, Solarmodule, Arbeitskosten, Energie usw. – könnten seiner Meinung nach die Margen verringern, obwohl dies sowohl durch Mengenwachstum als auch durch den Schutz, der durch inflationsgebundene Stromabnahmeverträge geboten werde, gemildert werden könne.
"Unserer Einschätzung nach steht uns eine sehr schwierige Zeit bevor – sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Welt ist von einer Gesundheitskrise in eine Energiekrise getaumelt und steht jetzt am Rande einer Nahrungsmittelkrise. Wie immer sind es die Ärmsten, die besonders stark betroffen sind und die in diesen schweren Zeiten am meisten Unterstützung brauchen", sagt Parsons und fügt abschliessend hinzu: "Wir sind der Ansicht, dass die beste Unterstützung Investitionen sind, die Arbeitsplätze und Einkommensmöglichkeiten schaffen und dabei Rücksicht auf die Umwelt nehmen und sich positiv auf die Gesundheit und andere soziale Faktoren auswirken. Die aktuelle Situation begünstigt mehr denn je Investitionen in nachhaltige, erneuerbare Energien."