«Wir sehen weder ‘Stag-‘ noch ‘-flation’»

Joseph V. Amato, President and Chief Investment Officer – Equities bei Neuberger Berman glaubt nicht, dass man die aktuelle Lage mit 1970 vergleichen kann.
Joseph V. Amato, President and Chief Investment Officer – Equities bei Neuberger Berman glaubt nicht, dass man die aktuelle Lage mit 1970 vergleichen kann.

«Das hohe Nominalwachstum, das Ende der Zinserhöhungen und der breitere Gewinnanstieg dürften Aktien weiter stützen», schreibt Joseph V. Amato, President and Chief Investment Officer – Equities bei Neuberger Berman.

14.05.2024, 15:34 Uhr
Aktien | Anlagestrategie

Redaktion: sw

«Ich sehe weder ‚Stag-‘ noch ‚-flation‘» – mit diesem viel zitierten Satz wandte sich US-Notenbankchef Jerome Powell auf seiner Pressekonferenz am 1. Mai gegen die schlechte Marktstimmung. Powell räumte zwar ein, dass die Inflation hartnäckig ist, wandte sich aber gegen Spekulationen über eine erneute Zinserhöhung. Es sei widersprüchlich, in einem Monat eine weiche Landung und in zwei Monaten eine Stagflation zu erwarten. Mit dieser Feststellung zerstreute der Notenbankchef auch ein wenig den weit verbreiteten Pessimismus.

Powell beschrieb die Stagflation der 1970er als eine toxische Mischung aus zweistelliger Arbeitslosigkeit, fast zweistelliger Inflation und Wachstum nahe null. «Heute scheint das Aktienmarktumfeld wesentlich besser. Das schreiben wir bereits seit unserem Ausblick im November», erläutert Amato.

Der Abstand wird grösser

In den ersten drei Aprilwochen ist die US-Zehnjahresrendite um 50 Basispunkte gestiegen. Der S&P 500 Index fiel um 5,5 Prozent, und Anleger schichteten erneut um. Zykliker wurden verkauft, Qualitätsaktien und hochkapitalisierte Technologiewerte wiederentdeckt. Warum dieser Wandel? Die US-Inflation war den dritten Monat in Folge überraschend hoch. Das BIP-Wachstum schien im 1. Quartal auf 1,6 Prozent (annualisiert) gefallen zu sein, obwohl das GDPNow Model der Atlanta Fed 2,7 Prozent in Aussicht gestellt hatte. Das Konsumklima verschlechterte sich.

Letzte Woche signalisierte der vierteljährliche Senior Loan Officer Survey der Fed strengere Kreditbedingungen und eine geringere Kreditnachfrage amerikanischer Unternehmen – ein weiterer Hinweis darauf, dass die höheren Zinsen und Anleihenrenditen die Konjunktur noch bremsen könnten. Einkommensschwächere Verbraucher bekommen all das stärker zu spüren als Besserverdienende. Wenn die Zinsen noch länger hoch bleiben, werde der Abstand zwischen Arm und Reich grösser – bei Verbrauchern wie bei Unternehmen, glaubt der Experte.

Das Ziel zählt, nicht der Weg

Auch wenn man im niedrigeren Wachstum zusammen mit der höheren Inflation gewisse Stagflationszeichen erkennen könne, rechne Neuberger Berman weiterhin mit einem Rückgang von Teuerung und Leitzinsen.

Solange sich die Inflation noch nicht wieder vollständig normalisiert hat, könnten die Leitzinsen durchaus hoch bleiben. Eine weitere Zinserhöhung würde aber einen erheblichen und dauerhaften Verbraucherpreisschock erfordern.

Selbst auf dem Höhepunkt des Pessimismus im April erwarteten die Investoren für 2024 noch mindestens eine Zinssenkung. Nach den schwächeren Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten hielten sie sogar wieder zwei für möglich. Wie Brad Tank und Ashok Bhatia zu Jahresbeginn schrieben, hat das Ziel grössere Auswirkungen auf die Risikobereitschaft als der Weg.

Weil das reale BIP-Wachstum wieder dem Trendwachstum entspricht und die Inflation nicht wirklich fallen will, ist das nominale Wachstum nach wie vor recht hoch. «Wenn dann noch die Leitzinsen etwas zurückgehen, spricht aus unserer Sicht viel für eine gute Aktienmarktstimmung», folgert Amato.

Sicher könnten die Stagflationssorgen manche Anleger im April zu Verkäufen bewogen haben. Viel wahrscheinlicher sei aber, dass nach dem Rückgang der Anleihenrenditen um 120 Basispunkte in nur zwei Monaten – November und Dezember – einfach eine Verschnaufpause fällig war, zumal US-Aktien seit Ende Oktober um fast 30 Prozent gestiegen sind. «Wir halten solche kurzfristigen Schwächephasen daher für Kaufgelegenheiten», folgert der Experte.

Gewinnanstieg auf breiterer Front

Anleger machen sich aber nicht nur Sorgen um die Konjunktur. Ein anderes Thema sind die hohen Bewertungen hochkapitalisierter Wachstumswerte, Technologietitel und technologienaher Aktien.

Andere Aktien sind hingegen durchaus realistisch bewertet. Von Schwächephasen wie im April abgesehen, haben Anleger auf solche Unterschiede mit mehr Investitionen in Zykliker, Substanzwerte sowie Small und Mid Caps reagiert – in den USA, aber auch in anderen Ländern.

Ausserdem verbesserten sich die Fundamentaldaten. Zu Beginn der letzten Berichtssaison fiel auf, dass die Gewinne auf breiterer Front stiegen. Jetzt, wo über 80 Prozent der S&P-500-Unternehmen ihre Zahlen vorgelegt haben, sei das noch deutlicher. Laut FactSet liegen sowohl die Zahl der Unternehmen mit überraschend hohen Gewinnen als auch der Vorsprung gegenüber den Erwartungen über dem 10-Jahres-Durchschnitt – und in acht von elf Sektoren sind die Gewinne höher als vor einem Jahr.

Natürlich hätten solche positiven Überraschungen auch mit den zurückhaltenden Gewinnausblicken der Unternehmen zu tun. «Aber auch das spricht für uns dafür, dass die Kurse das Gewinnpotenzial angesichts des hohen nominalen Wachstums nur eingeschränkt abbilden», heisst es bei Neuberger Berman.

Glückskinder und Habenichtse

Die wachsende Marktbreite sei ermutigend. Der S&P 500 Index enthält viele der weltgrössten Unternehmen, meist mit sehr stabilen Finanzen, moderater Verschuldung und gutem Kapitalmarktzugang. Die Zinsentwicklung sei für sie «nicht so wichtig».

«Damit kommen wir zurück zu den Glückskindern und Habenichtsen. Höhere Zinsen und Kapitalkosten berühren sie unterschiedlich stark. Das erklärt unserer Ansicht nach auch, warum der Russell 2000 Index in den letzten zwölf Monaten um 8 Prozentpunkte hinter dem Russell 1000 Index zurückgeblieben ist – und warum der Small Business Optimism Index der National Federation of Independent Business auf ein 11-Jahres-Tief fiel, als der S&P 500 fast auf einem Allzeithoch schloss.»

Wenn jetzt wirklich eine echte Stagflation einsetzte, bekämen kleinere Unternehmen das als Erstes zu spüren. Ihre Schwierigkeiten wären ein Vorgeschmack auf das, was Mid und Large Caps noch bevorstünde. «Wahrscheinlich werden die fallende Inflation und die niedrigeren Zinsen vielen kleineren Unternehmen irgendwann das Leben leichter machen. Dann könnten sich die Fundamentaldaten auf noch breiterer Front verbessern, und die Konjunkturdaten würden der Performance hochkapitalisierter Aktien nicht mehr widersprechen», glaubt Amato.

Vorsicht geboten

«Solange die Leitzinsen nicht gesenkt werden, bleiben wir bei schwächeren Unternehmen vorsichtig. Ein noch wesentlich niedrigeres reales BIP-Wachstum als im 1. Quartal wäre nicht gut. Wie alle warten auch wir gespannt auf die neuen Inflationszahlen am Mittwoch. Aber auch wir sehen weder ‘Stag-‘ noch ‘-flation’. Daher bleiben wir für Aktien optimistisch», so das Fazit.

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