Der Gesundheitssektor 2024: Innovation ist der beste Schutz

Rudi van den Eynde, Head of Thematic Global Equity Management bei Candriam über die Aussichten bei Gesundheits-Aktien. (Bild pd)
Rudi van den Eynde, Head of Thematic Global Equity Management bei Candriam über die Aussichten bei Gesundheits-Aktien. (Bild pd)

Der Healthcare-Sektor hat die Anleger zuletzt enttäuscht. Doch 2024 dürfte sich die Lage bessern – dessen ist sich Rudi van den Eynde, Head of Thematic Global Equity Management bei Candriam, sicher. Welche Faktoren dazu beitragen, welche Chancen er im Healthcare-Sektor sieht und worauf Anleger achten sollten, schreibt er im Ausblick.

09.01.2024, 09:10 Uhr
Aktien

Redaktion: sw

Das Gesundheitswesen gilt in der Regel als defensiver Sektor, der stabiles, sequenzielles Wachstum liefert. Jedoch trugen im vergangenen Jahr viele ungünstige Faktoren dazu bei, dass die Performance unterdurchschnittlich ausfiel. Neben allgemeinen Problemen wie Inflation, Konjunkturabschwung und Krieg gab es noch weitere Umstände, die die Branche zusätzlich belasteten: Zum einen verlagerten Investoren ihre Aufmerksamkeit auf Künstliche Intelligenz und Technologie im Allgemeinen, zum Nachteil der Gesundheitsbranche. Zum anderen hat die allgemeine unterdurchschnittliche Performance der Small und Mid Caps den Biotechnologiesektor empfindlich getroffen, denn gerade kleine und mittelgrosse Unternehmen liefern in diesem Sektor die nötige Innovationskraft. Und zu guter Letzt bauten die Kunden der Life-Science-Anbieter – dazu zählen etwa die Hersteller von Biopharmazeutika und die biomedizinische Forschung – Lagerbestände ab. Das hat einige Unternehmen erheblich belastet. Das Post-Pandemie-Umfeld hat zudem offenbar jene Unternehmen bestraft, die ihren Umsatz aufgrund von erfolgreichen Covid-Impfstoffen erheblich steigern konnten. Denn nun haben sie Schwierigkeiten, vergleichbare Ergebnisse zu erzielen.

Günstige Bewertungen und steigende Zulassungsquoten

Im neuen Jahr dürfte sich der Gegenwind laut van den Eynde in vielerlei Hinsicht legen. Jetzt, da der Faktor Covid-Impfstoffe an Relevanz verliert, lassen sich Unternehmen wieder einfacher vergleichen. Gleichzeitig signalisieren viele Life-Science-Unternehmen, dass sich der Abbau der Lagerbestände unter ihren Kunden eingependelt hat und wieder mehr Aufträge eingehen – es dürfte also auch hier wieder bergauf gehen. Ein weiterer Grund für Gesundheitsaktien: Die bisherige unterdurchschnittliche Performance hat zu Bewertungen geführt, die attraktive Kaufmöglichkeiten bieten, insbesondere vor dem aktuellen makroökonomischen Hintergrund. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Teilsektors Pharmazeutika beispielsweise beträgt 15 und liegt damit unter dem langfristigen Durchschnitt – der Bereich sei also unterbewertet.

Das sei besonders bemerkenswert, denn immerhin seien die grundlegenden Unternehmenskennziffern nach wie vor intakt. Vor allem die Biotechnologie- und Gesundheitsbranche haben ein starkes Engagement für Innovationen gezeigt, wie die stetig wachsende Zahl der Medikamente in der Entwicklungspipeline belegt. Im Jahr 2023 wurden 21 292 neue Medikamente entwickelt, während es 2001 gerade mal 5 995 waren. Auch die Zulassungsrate der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) spiegelt diese Dynamik wider: Allein im Jahr 2023 wurden mindestens 60 neue Medikamente zugelassen – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den 39 bis 53 Zulassungen der vorangegangenen vier Jahre.

Nachholaufträge in China

Ein weiterer positiver Faktor für die Performance von Healthcare-Aktien im Jahr 2024 sind laut dem Experten zudem die Nachfrage aus China sowie das makroökonomische Umfeld. Denn in China griff die Regierung hart gegen die Korruption in Krankenhäusern und deren Ökosystemen durch. Dieses Vorgehen wirkte sich negativ auf einige Unternehmen aus, die chinesische Krankenhäuser belieferten, denn diese schränkten beziehungsweise stellten sämtliche Bestellungen von Neugeräten und sogar von Verbrauchsmaterialien bis zum Abschluss der Untersuchungen ein. Auch dieser negative Effekt dürfte sich bis Anfang 2024 wieder in Rückenwind umkehren, da es zu Nachholaufträgen kommen wird.

Günstige Kombination

Ein grosser positiver Faktor (zumindest für den Gesundheitssektor) ergibt sich zudem aus dem Konjunkturszenario: So zeigen sich in vielen Regionen wie China und einigen europäischen Ländern bereits Anzeichen einer Abschwächung der Wirtschaftstätigkeit. Gleichzeitig rechnet Candriam damit, dass sich die US-Wirtschaft im Jahr 2024 verlangsamt, da die hohen Zinssätze weiterhin eine Belastung darstellen. «Die Inflation nimmt bereits ab, und wir erwarten, dass diese Normalisierung anhält – damit eröffnet sich auch die Aussicht darauf, dass die Federal Reserve im Jahr 2024 die Zinsen senken wird und diese auch langfristig sinken.»

Die Kombination aus geringerem Wachstum und niedrigeren Zinssätzen ist für den Gesundheitssektor eine sehr attraktive makroökonomische Mischung. Der Gesundheitssektor ist im Vergleich zu anderen Branchen viel weniger von wirtschaftlichen Bedingungen abhängig – die Nachfrage nach Behandlungen besteht immer, unabhängig davon, ob es wirtschaftlich bergauf oder bergab geht. Zusätzlich werden niedrigere Zinsen das Investorenvertrauen in noch nicht profitable, aber innovative Biotechnologieunternehmen stärken.

Spannende Durchbrüche: Mittel gegen Adipositas

Angeregte Aktivität ist beispielsweise für die GLP-1-Arzneimittelkategorie Adipositas zu erwarten. Adipositas – auch als Fettleibigkeit bekannt – ist eine globale Herausforderung für das öffentliche Gesundheitswesen und betraf im Jahr 2020 mehr als 40 Prozent der Erwachsenen in den USA. Bis 2035 wird dieser Anteil voraussichtlich auf 50 Prozent steigen. Die Folgen von Adipositas sind gravierend und führen zu einer Vielzahl von damit verbundenen Gesundheitsaufwendungen. Arzneimittel zur Adipositas-Behandlung waren in der Vergangenheit oft von Sicherheitsbedenken und Marktrücknahmen überschattet, denn frühere therapeutische Optionen wiesen Nebenwirkungen und eine geringe Rezeptorspezifität auf, führten zu einer Aktivierung von Dopaminersatz und somit zu Sucht sowie zu Verhaltensnebenwirkungen. Das führte zu Skepsis gegenüber therapeutischen Optionen. Ansätze, die auf Änderungen der Lebensweise basieren, erwiesen sich für nachhaltigen Gewichtsverlust dagegen oft als unzureichend.

Nach 100 Jahren voller gescheiterer Bemühungen erlebte der Markt mit der Zulassung einer neuen Arzneimittelklasse, die auf das Glukagon-ähnliche Peptid-1 (GLP-1) abzielt, nun endlich einen echten Wandel. Zum ersten Mal überhaupt stehen wirksame Medikamente zur Gewichtsabnahme zur Verfügung, die relativ verträglich sind, nachdem sie sich bereits als Diabetes-Medikamente bewährt haben. Angesichts der positiven Ergebnisdaten zu Co-Morbiditäten wächst unter den privatwirtschaftlichen Versicherungsunternehmen und den staatlichen Versicherungsträgern die Zahl jener, die eine Kostenübernahme befürworten. Im klinischen und regulatorischen Umfeld liegt der Schwerpunkt auf der Sicherheit sowie auf greifbaren Endpunkten wie kardiovaskulären Ereignissen und Mortalität – und die GLP-1-Therapien konnten ihre Wirksamkeit bisher beweisen.

Übertriebener Rückgang

Angesichts dieser Aussichten gerieten einige Teilsektoren der Gesundheitsbranche jedoch unter Druck: Anleger befürchten, dass mit der Verbesserung der öffentlichen Gesundheit die Nachfrage nach kardiovaskulären Geräten oder orthopädischen Implantaten sinken könnte. «Unserer Meinung nach sind GLP-1-Medikamente wirksam und markieren einen grossen Fortschritt bei der Behandlung von Adipositas. Gleichzeitig scheint es übertrieben, Medizintechnikunternehmen den Untergang zu prophezeien, da kardiovaskuläre und andere Probleme vielfältige Ursachen haben und auch das Ergebnis jahrzehntelangen Übergewichts sind. Daher sehen wir hier eine Kaufgelegenheit für die betroffenen MedTech-Unternehmen», schreibt der Experte.

Darüber hinaus sind stark adipöse Patienten von bestimmten Operationen ausgeschlossen. Einen weniger extremen Body-Mass-Index (BMI) zu erlangen, könnte es diesen Patienten ermöglichen, beispielsweise eine künstliche Hüfte zu erhalten. Folglich können sich die Ergebnisse von GLP-1 auch positiv auf Medizintechnikunternehmen auswirken. Bei näherer Betrachtung der Einzelheiten aus der Ergebnisstudie von Novo Nordisk zeigt sich, dass der gesundheitliche Nutzen für US-Patienten weniger ausgeprägt war. Die genauen Gründe dafür sind noch nicht geklärt, stehen aber möglicherweise in Verbindung mit den sehr hohen BMI-Ausgangswerten bei Studienbeginn. Auch hier scheint die Annahme übertrieben, dass kardiovaskuläre und andere Erkrankungen verschwinden würden, wie einige Reaktionen am Aktienmarkt vermuten lassen.

US-Wahlen haben für Healthcare-Aktien wenig Relevanz

Angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA (sowie der Neuwahl einiger Sitze im Kongress) besteht Sorge wegen negativer Rhetorik in Bezug auf den Kostenaspekt des Gesundheitssektors. Candriam erwartet von dieser Seite diesmal allerdings keine unangenehmen Überraschungen: Bei den diesjährigen Wahlen geht es eher um den internationalen Handel, die Sicherheit und allgemeine soziale und gesellschaftliche Fragen. Das Gesundheitswesen dagegen scheint dieses Mal nicht im Zentrum des Gefechts zu stehen.

Der von Präsident Biden 2022 unterzeichnete Inflation Reduction Act enthält auch Bestimmungen für Medicare. Im Rahmen dieses Gesetzes können die Centers for Medicare & Medicaid Services (CMS), eine staatliche Behörde, die das Medicare-Programm und andere ähnliche Programme verwaltet, nun die Preise von Arzneimitteln aushandeln, um diese zu senken. Für Preisverhandlungen zugelassen sind dabei Markenmedikamente oder Biologika ohne Generika beziehungsweise Biosimilars, die je nach Medikamententyp erst teilnahmeberechtigt sind, nachdem sie bereits 9-13 Jahre lang auf dem Markt waren. Die Wirkung des Plans dürfte allerdings begrenzt sein: Medikamentenhersteller sind ohnehin bereits mit dem Verlust der Exklusivität oder mit Patentklippen konfrontiert. Daher ist der Schutz von 12 Jahren für Biologicals, der im Biden-Plan angeboten wird, sowieso nahe am effektiven Patentschutz nach Beginn der Vermarktung, den ein neues Medikament de facto geniesst. Darüber hinaus sind bestimmte Arten von Medikamenten von Preisverhandlungen ausgeschlossen. Das gilt beispielsweise für Arzneimittel für seltene Krankheiten, für Arzneimittel, für die Generika oder Biosimilars verfügbar sind, oder auch für Arzneimittel von Kleinunternehmen aus dem Bereich der Biotechnologie.

Gründliche Analysen

Trotz der guten Aussichten werde zu Beginn des Jahres 2024 nach wie vor grosse Unsicherheit herrschen. «Die Anleger im Gesundheitssektor werden bei der Auswahl ihrer Aktien und der Zusammenstellung ihrer Portfolios erneut solides Urteilsvermögen beweisen und gründliche Analysen vornehmen müssen. Wir sind überzeugt: Innovation und Unternehmen, die den nächsten Durchbruch in der Arzneimittelentwicklung schaffen, bieten den besten Schutz gegen jede politische Einmischung. In den USA wird Innovation stets belohnt. Und tatsächlich schützt der Plan von Joe Biden die Innovationstätigkeit, indem er neu zugelassene Arzneimittel für einen beträchtlichen Zeitraum von jeder Preisverhandlung ausschliesst. So wird sichergestellt, dass die Unternehmen, die die Innovationen hervorbringen und vorantreiben, Wahrnehmung erlangen. Wir gehen davon aus, dass der Gesundheitssektor im Jahr 2024 mehr Widerstandskraft zeigen wird», so das Fazit.

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