07.11.2024, 09:46 Uhr
Nach den Abflüssen im Vorjahr hat die Bank Vontobel in den ersten neun Monaten 2,6 Milliarden Franken Neugeld bekommen. Das Plus resultiert dabei aus dem Geschäft mit Privaten.
Aus Sicht von Vontobel-Chefstratege Christophe Bernard lässt sich mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass die robuste Wirtschaftsdynamik in den USA anhält. Die Aussichten für den Rest der Welt sind weniger klar. Die Anleger sollten deshalb sehr selektiv vorgehen und gegen Überraschungen gewappnet sein, insbesondere was den Ölpreis betrifft.
Ein Vergleich der ursprünglichen Wirtschaftsprognosen der Bank Vontobel für 2015 mit den effektiven Daten zeigt, dass die Entwicklung der Weltwirtschaft geringfügig hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Verantwortlich hierfür sind aber weder die USA, wo das erste Quartal aufgrund des unerwartet harten Winters schwach ausfiel, noch die Eurozone, die sich als bewundernswert widerstandsfähig erwies. Der Grund für das Auseinanderklaffen von Erwartung und Realität ist die flaue Konjunktur der aufstrebenden Volkswirtschaften. Der Doppeleffekt aus Konjunkturabkühlung in China und Rohstoffpreisverfall traf die "Emerging Markets" schwer, namentlich Brasilien und Russland (siehe PDF, Grafik 1).
Christophe Bernard, Chefstratege bei Vontobel, erwartet, dass die US-Wirtschaft auch 2016 als Motor der Weltwirtschaft fungiert, einen Gang höher schaltet und mit 2,8 Prozent wächst, nach 2,6 Prozent im Jahr 2015. Die kräftige Binnennachfrage wird dazu beitragen, die Negativeffekte der schwachen Exporte und stagnierenden Industrietätigkeit zu dämpfen. Insgesamt bleiben die US-Fundamentaldaten gut unterstützt, weil der erstarkte Arbeitsmarkt den Konsum befeuert, der für 69 Prozent des US-Bruttoinlandprodukts verantwortlich ist. Angesichts des festen US-Dollar, des eher trüben Ausblicks für die "Emerging Markets" und des geringen Preisdrucks rechnen wir damit, dass die US-Notenbank (Fed) sehr behutsam vorgeht, die Zinsen erstmals im Dezember 2015 anhebt und 2016 bezüglich des Tempos der geldpolitischen Straffung vorsichtig agiert. Die Eurozone profitiert vom schwächeren Euro, einer anhaltenden Erholung in der sogenannten Peripherie und einer etwas expansiveren Fiskalpolitik in manchen Ländern. Der Übergang der chinesischen Wirtschaft von einem export- und industriegetriebenen Wirtschaftsmodell zu einer Dienstleistungswirtschaft wird die Exporte der Schwellenländer nach China und die Rohstoffpreise generell jedoch nachhaltig unter Druck setzen.
Von "Aktien-Bullen" und Ermüdungserscheinungen
Was bedeutet dies für die Finanzmärkte? Die Kombination aus moderatem Weltwirtschaftswachstum und mehrheitlich expansiver Geldpolitik kommt riskanteren Vermögenswerten wie Aktien zugute. Die Bewertungen sind bestenfalls fair und die Gewinne der Unternehmen werden kaum wachsen. Infolge des moderaten Aufwärtspotenzials und der anziehenden Volatilität ist beim Anlegen ein zunehmend taktischer Ansatz gefragt, wobei der Titelauswahl zentrale Bedeutung zukommt. In einem solchen Umfeld erwarten wir, dass Staatsanleihen von den sogenannten Kernländern der Eurozone allen voran deutsche "Bunds" und US-Treasuries geringe Verluste erleiden. Gleichzeitig dürfte sich das Segment der Unternehmensanleihen, beispielsweise hochverzinsliche Papiere, gut behaupten, da eine Rezession ziemlich unwahrscheinlich ist. Ob sich Aktien und Anleihen der aufstrebenden Volkswirtschaften erholen, hängt stark von der Stabilisierung der Rohstoffpreise ab. Die aktuelle Reaktion auf der Angebotsseite scheint indes nicht auszureichen, um die Märkte ins Gleichgewicht zu bringen, denn die Produzenten versuchen, das Angebot aufrechtzuerhalten oder sogar zu erhöhen, um ihre Geldzuflüsse zu verteidigen. In diesem Umfeld tritt die geldpolitische Divergenz offen zutage: Das Fed wird höchstwahrscheinlich an seinem Treffen vom 15./16. Dezember die Zinsen erhöhen, während die Europäische Zentralbank bereits "indirekt angekündigt" hat, ihr Wertpapierkaufprogramm am 3. Dezember auszuweiten. Solche Divergenzen dies- und jenseits des Atlantik verleihen dem US-Dollar zusätzlichen Auftrieb, obwohl die Währung nicht mehr günstig ist. Unter dem Strich sind die Aussichten auf hohe Renditen auf den Finanzmärkten relativ verhalten, da hyperaktive Währungshüter die Bewertungen in die Höhe getrieben haben.
Ein Damoklesschwert schwebt über den Schwellenländern
In unserem Hauptszenario gehen wir davon aus, dass sich das globale Wachstum ausserhalb der USA stabilisiert. Ein wirklich pessimistisches Nebenszenario sähe hingegen wie folgt aus: Eine Welle von Zahlungsausfällen in den aufstrebenden Volkswirtschaften, wo die Verschuldung der Unternehmen gestiegen ist, könnte das Vertrauen der Anleger erschüttern und das Wirtschaftswachstum sowie die Unternehmensgewinne erheblich beeinträchtigen. Sorge bereitet zudem der Aufstieg von politischen Parteien in Europa, die das Ende der Sparpolitik befürworten und sogar die Grundsätze der Institutionen und der Politik der Region infrage stellen. Dagegen könnte eine robuste US-Konjunktur und dies ist ein optimistischeres Nebenszenario (in Bezug auf die Wirtschaft, nicht unbedingt auf die Finanzmärkte) den Rest der Welt aus ihrer Lethargie heraushelfen und die Grundlage für eine Trendwende bei den Rohstoffpreisen legen. Dies wiederum würde bewirken, dass das Fed die Zinszügel deutlich schneller als erwartet strafft, was die Preise von Staatsanleihen und Vermögenswerten, die in den vergangenen Jahren von der Renditejagd profitiert haben, belasten würde.
In diesem Fall könnte man eine Erholung in den Bereichen sehen, die von den Marktteilnehmern am meisten gemieden wurden, nämlich in "Emerging Markets" und bei Rohstoffproduzenten. Tatsächlich sind die Aussichten für die Rohstoffpreise und insbesondere für Öl ein zentraler Faktor für 2016, denn diese Preise beeinflussen die Ertragskraft in wichtigen Aktiensektoren und die Bonität zahlreicher Schwellenländeremittenten erheblich. Wann wird Saudiarabien zum Schluss kommen, dass seine Strategie, hauptsächlich von US-Schieferölproduzenten "teuer gefördertes" Öl aus dem Markt zu drängen, erfolgreich war? Wird der Zusammenbruch der Einnahmen der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) ein strategisches Umdenken bewirken (siehe PDF, Grafik 2)?