07.11.2024, 09:46 Uhr
Nach den Abflüssen im Vorjahr hat die Bank Vontobel in den ersten neun Monaten 2,6 Milliarden Franken Neugeld bekommen. Das Plus resultiert dabei aus dem Geschäft mit Privaten.
Die Schwellenländer werden 2022 mit einigen bedeutenden, aber überschaubaren Herausforderungen konfrontiert sein, darunter hohe Inflation, restriktivere Finanzierungsbedingungen und die Konjunkturverlangsamung in China. Vontobel geht davon aus, dass sich die Aussichten für Emerging-Markets-Anleihen dieses Jahr dennoch weiter verbessern werden.
"Die Konjunkturverlangsamung in China gibt Anlass zu Besorgnis. Die Probleme am Immobilienmarkt scheinen jedoch weniger schwerwiegend zu sein als in den Jahren 2014–15. Die Weltwirtschaft wird auch 2022 weiter über ihrem Potenzial wachsen und der Schwäche Chinas entgegenwirken", meint Carlos de Sousa, Emerging Markets Strategist and Portfolio Manager bei Vontobel.
Weiter habe die US Federal Reserve (Fed) ihre Kommunikation deutlich verbessert. Dadurch könne sie ihre Anleihenkäufe reduzieren, ohne dass ein "Taper Tantrum" folge. Die Fed werde voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2022 beginnen, die Zinsen anzuheben, wahrscheinlich aber nicht so schnell, wie es die Märkte erwarten.
"Wir erwarten, dass die Spread-Verengung von Hochzinsanleihen (HY) gegenüber Investment-Grade-Anleihen (IG) sich in den nächsten Monaten fortsetzen wird, sobald die Unsicherheiten ausgeräumt sind. Folglich dürften sich Schwellenländer-Hochzinsanleihen von staatlichen Emittenten und Unternehmen 2022 unserer Einschätzung nach gut entwickeln", sagt de Sousa.
2021 war für Schwellenländer-Anleihen in Lokalwährung aufgrund des starken US-Dollars und der zumeist restriktiven Haltungen der Zentralbanken in den Schwellenländern ein schwieriges Jahr. Die gute Nachricht sei, so der Portfolio Manager, dass die Zentralbanken bei der Rücknahme ihrer geldpolitischen Impulse ihren Pendants in den Industrieländern voraus seien. Dadurch sei die Zinsdifferenz zugunsten der Schwellenländer gestiegen. Die Anlageklasse dürfte seines Erachtens positive Renditen erzielen, sobald im ersten Halbjahr 2022 die Desinflation einsetze.
Ursache für die Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft sind laut de Sousa die strengeren Vorschriften und Kreditbedingungen, die Immobilienunternehmen im August 2020 auferlegt wurden, um die übermässige Fremdverschuldung in diesem Sektor zu reduzieren. Das harte Vorgehen gegen den IT- und den Bildungssektor in diesem Jahr trug ebenfalls zu einer Verschlechterung der Anlegerstimmung bei. Die Immobilienpreise sind seit September rückläufig, was die Besorgnis über eine anhaltende Konjunkturverlangsamung in China und deren Folgen für die Weltwirtschaft verstärkt. "Sich darüber keine Sorgen zu machen, ist schwierig, weil China die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt und die grösste unter den Schwellenländern ist. Es gibt jedoch gute Gründe für die Annahme, dass die Situation überschaubar bleiben wird", meint der Experte.
Der chinesische Immobiliensektor funktioniere nicht wie eine Marktwirtschaft. Das heisst, dass eine Immobilienkrise in China nicht so schwerwiegende Folgen haben würde wie jene in den USA oder in Spanien nach der globalen Finanzkrise. Der öffentliche Sektor kontrolliert das Angebot an Grundstücken und beeinflusst das Angebot und die Preise von Wohnraum. Kauf und Verkauf von Wohneigentum sind streng geregelt und die Haushalte sind nicht übermässig verschuldet, da Hypotheken für gewöhnlich eine Anzahlung von ca. 30% erfordern. Bei Zweitimmobilien ist dieser Anteil meist noch höher.
Da die Konjunkturverlangsamung selbst verursacht sei, so de Sousa, könne die Regierung zudem ihre Richtlinien zur Kreditvergabe lockern, wenn sie den Eindruck habe, dass die wirtschaftlichen Kosten für die Eindämmung des moralischen Risikos («Moral Hazard») im Immobiliensektor zu hoch steigen. "Wir erkennen bereits Anzeichen für eine Lockerung der Politik und wahrscheinlich sind noch mehr zu erwarten. All dies deutet darauf hin, dass die chinesische Wirtschaft im ersten Quartal 2022 die Talsohle erreichen wird", betont der Portfolio Manager. Der durch den chinesischen Immobiliensektor ausgelöste Wirtschaftsabschwung in den Jahren 2014–15 eigne sich viel besser für einen Vergleich als die Subprime-Krise. Selbst in diesem Fall deuteten jedoch mehrere Faktoren darauf hin, dass der Abschwung nicht so schlimm ausfallen werde.
Wie Carlos de Sousa weiter ausführt, litt in den Jahren 2014-16 die Wirtschaft der Eurozone unter zweistelligen Arbeitslosenzahlen. Damals begann sie gerade erst, ihre Schuldenkrise zu überwinden. Auch in den USA war das Wachstum gedämpft und die Rohstoffpreise waren gerade eingebrochen, was in den meisten Industrieländern Deflationsängste hervorrief. Heute stellt sich die Lage der Weltwirtschaft anders dar: Das Wachstum verlangsamt sich zwar, dürfte aber in den meisten Ländern über dem Potenzial bleiben. Die Inflation liegt in den meisten Regionen über dem Zielwert und die Rohstoffpreise sind nach mehreren Jahren weltweiter Unterinvestitionen in diesem Sektor nach wie vor hoch. "Die jüngsten Daten zu Exporten aus Asien bestätigten, dass das rasche Wachstum in anderen Regionen die Konjunkturverlangsamung in China ausgleicht. Schliesslich liegt die Verkaufszeit für den chinesischen Immobilienbestand mit 22 Monaten derzeit nicht auf einem allzu hohen Niveau. Im Oktober 2015 hatte sie mit 31 Monaten hingegen einen Höhepunkt erreicht. Dies bedeutet, dass eine deutlich kürzere Periode niedriger Immobilieninvestitionen ausreichen wird, um den Markt im Jahr 2022 auszugleichen", erklärt der Experte.
Die Fed fährt ihre Anleihenkäufe zurück und bisher deuten die Anzeichen darauf hin, dass kein "Taper Tantrum" zu erwarten ist. Warum nicht? De Sousa begründet: "Was zählt, ist die richtige Kommunikation. Anders als 2013 wurden die Drosselungsmassnahmen im Jahresverlauf 2021 klar kommuniziert und sind in vollem Umfang eingepreist. Es dürfte also kaum Überraschungen geben. Ende November hatte der Markt bereits drei Zinsanhebungen der Fed bis 2023 eingepreist, das heisst im Grunde eine Anhebung um 25 Basispunkte pro Quartal ab Mitte 2022, nachdem das 'Tapering' abgeschlossen ist. Eine Anhebung pro Quartal lässt keinen Spielraum für negative wirtschaftliche Überraschungen, die zu einer langsameren Straffung führen würden. Die Pandemie ist noch nicht vorbei, wie die Herausbildung der neuen Virusvariante zeigt. Deswegen halten wir es für sehr wahrscheinlich, dass die Fed ihre Zinsanhebungen langsamer angehen wird. Natürlich besteht das Risiko, dass die hohe Inflation sich 2022 als dauerhafter erweisen könnte. Wir sehen dies jedoch statt als Basisszenario eher als Risiko an, das es zu überwachen gilt."
Die Zentralbanken der Industrieländer fahren ihre geldpolitischen Impulse allmählich zurück. Die Finanzierungsbedingungen dürften laut dem Experten jedoch auf absehbare Zeit akkommodierend bleiben. "Tapering" bedeute lediglich, dass die Fed ihre Anleihenankäufe reduziert. Sie werde die geldpolitische Lockerung durch die Ankäufe also fortsetzen, das Tempo aber jeden Monat verlangsamen. Die realen Zinssätze in den Industrieländern werden wahrscheinlich im Jahresverlauf 2022 steigen, wenn sich die Inflation verlangsamt und die Zinsanhebungen beginnen. "Allerdings werden wir voraussichtlich bis Ende 2022 oder 2023 warten müssen, bis die Realrenditen von US-Treasuries in den positiven Bereich steigen werden. Unterdessen heben die Zentralbanken der Schwellenländer die Zinsen deutlich schneller an und erhöhen dadurch die Zinsdifferenz zugunsten von EM-Anleihen", sagt de Sousa.
Im Januar vor einem Jahr prognostizierte Vontobel, dass 2021 das Jahr der Outperformance von Schwellenländer-Hochzinsanleihen sein würde. Dabei gingen die Experten davon aus, dass die Spreads von Hochzinsanleihen sich gegenüber Investment-Grade-Titeln verengen würden. In der ersten Jahreshälfte sei dies auch der Fall gewesen. Seit Ende August schnitten Hochzinsanlagen jedoch schlechter ab. Zu diesem Zeitpunkt habe die Risikobereitschaft der Anleger aufgrund von mehreren Faktoren zu sinken begonnen: das Auftreten neuer Varianten des Coronavirus, dann die hartnäckig hohe Inflation, geringere Wachstumserwartungen und Ausfälle im chinesischen Immobiliensektor.
Trotz des Rückschlags in den letzten drei Monaten schnitt das Hochzinssegment laut de Sousa im bisherigen Jahresverlauf sowohl bei Staats- als auch Unternehmensanleihen der Schwellenländer besser ab. Allerdings fielen die Renditen auf Benchmark-Ebene mit -2,1% beim Teilindex für hochverzinsliche Schwellenländer-Staatsanleihen eher enttäuschend aus (IG: -3,6%). Hochverzinsliche Schwellenländer-Unternehmensanleihen erzielten mit 2,2% bessere Renditen (IG: -0,4%).
Es sei schwierig, genau zu sagen, wann sich die Stimmung gegenüber Hochzinsanleihen verbessern werde. Allerdings gebe es gute Gründe für die Annahme, dass dies eher früher als später der Fall sein werde. Zunächst liegen die Spreads von Schwellenländer-Hochzinsanleihen deutlich über ihrem Durchschnittsniveau. Bei US-Hochzinsanleihen und EM-Investment-Grade-Anleihen hingegen nähern sie sich ihren historischen Tiefs.
"Anders als von einigen Märkten eingepreist, befindet sich die Weltwirtschaft noch nicht in einer typischen spätzyklischen Dynamik, in welcher die Zentralbanken die Wirtschaft durch Zinsanhebungen und eine Straffung der geldpolitischen Bedingungen in eine Rezession 'treiben'. Im Gegenteil: Die Weltwirtschaft wird auch 2022 deutlich über dem Potenzial wachsen, wenngleich sich das Wachstum nun von einem sehr hohen Niveau im zweiten Quartal 2021 in Richtung Potenzialwachstum abgeschwächt hat. Auch die Inflation wird sich voraussichtlich wieder den Zielwerten der Zentralbanken annähern. Kurz gesagt: Das Risiko restriktiver globaler Finanzierungsbedingungen, die Emittenten von Hochzinsanleihen eine Refinanzierung erschweren würden, erscheint derzeit und in den kommenden Quartalen gering", meint der Emerging-Markets-Stratege.
Aus Top-down-Sicht seien Schwellenländer-Unternehmensanleihen nach wie vor gut positioniert, um positive Renditen zu erwirtschaften, da ihre Benchmark (4,63 Jahre) im Vergleich zur Benchmark für Staatsanleihen in Hartwährung (7,91 Jahre) eine kürzere Duration aufweist. Eine kürzere Duration bedeute eine geringere Preissensitivität gegenüber Zinsänderungen. Dadurch erkläre sich die Outperformance von Schwellenländer-Unternehmensanleihen gegenüber Staatsanleihen in Hartwährung seit Jahresbeginn zumindest teilweise (+0,7% ggü. -2,7%).
Die eigentliche Herausforderung für den Ausblick zu Schwellenländer -Unternehmensanleihen ist laut de Sousa der chinesische Immobiliensektor, der seit Ende Mai um fast 25% eingebrochen ist. Nach einem solchen Ausverkauf stelle sich nicht mehr die Frage, ob es in diesem Sektor zu vielen weiteren Ausfällen kommen wird, denn das sei durchaus wahrscheinlich. Das Problem bestehe vielmehr darin, dass es bei vielen soliden Immobilienunternehmen, deren Anleihen notleidend sind, wahrscheinlich nicht zu einem Ausfall kommen werde. In vielen anderen Fällen würden Anleihen zu Kursen gehandelt, die aufgrund von Zwangsveräusserungen unter dem erwarteten Erholungswert liegen. "Wir sind folglich der Auffassung, dass der chinesische Immobiliensektor Chancen für aktive Anleger bietet, die über ausreichende Ressourcen verfügen, um die Wahrscheinlichkeit von Ausfällen und die geschätzten Erholungswerte der einzelnen Unternehmen zu beurteilen", so der Portfolio Manager.
Für EM-Anleihen in Lokalwährung sei das Jahr 2021 ausgesprochen schwierig gewesen. So gab die Benchmark für Lokalwährungsanleihen (GBI-EM GD) seit Jahresbeginn um 10% nach. Belastet wurde sie durch den erstarkenden US-Dollar und die Zinsanhebungen in den Schwellenländern. In einigen Fällen erhöhten die Zentralbanken die Zinsen aggressiv, um die Inflation zu bekämpfen. Mittlerweile stünden die Sterne günstig dafür, dass sich die Anlageklasse 2022 besser entwickelt. Noch sei es nicht so weit, aber die Experten von Vontobel erwarten, dass sich das Blatt innerhalb weniger Monate wenden wird. Warum?
Der Ausblick der Vontobel-Experten für 2022 ist also positiv. Sie seien sich mit anderen Marktkommentatoren weitgehend einig, worin die grössten Herausforderungen für die Wirtschaft und somit auch für das Schwellenländer-Anleihensegment im Jahresverlauf bestehen werden. Ihres Erachtens sind diese Herausforderungen jedoch überschaubar, und in jedem Sektor von Schwellenländer-Anleihen böten sich Chancen für aktive Anleger. "Günstige Bewertungen bedeuten, dass sich festverzinsliche Anlagen der Schwellenländer, insbesondere das Hochzinssegment, deutlich erholen werden, sobald sich die Unsicherheit gelegt hat", zieht Carlos de Sousa Fazit.