07.11.2024, 09:46 Uhr
Nach den Abflüssen im Vorjahr hat die Bank Vontobel in den ersten neun Monaten 2,6 Milliarden Franken Neugeld bekommen. Das Plus resultiert dabei aus dem Geschäft mit Privaten.
Warum die meisten Notenbanken noch nicht an der Zinsschraube drehen, analysiert Christophe Bernard, Chefstratege von Vontobel.
Vor fast zehn Jahren, im August 2007, sah sich die Europäische Zentralbank (EZB) gezwungen, die Finanzmärkte mit massiven Liquiditätsspritzen zu versorgen. Grund dafür waren die Spannungen, welche die Schliessung der von BNP Paribas verwalteten Geldmarktfonds ausgelöst hatte. Einen Monat zuvor waren zwei Hedgefonds von Bear Stearns infolge ihres Engagements in amerikanischen Subprime-Hypotheken kollabiert. Dies waren die Vorboten der grossen Finanzkrise, die kurz danach ausbrach. Die weltweit bedeutendsten Zentralbanken haben darauf mit einer Lockerung der geldpolitischen Zügel reagiert, die bezüglich Umfang, Reichweite und Dauer beispiellos war und nach wie vor ist. Das weltweite Wachstum hat sich beschleunigt, die Deflationsängste sind geschwunden und die Arbeitslosenrate hat in vielen Industrieländern einen zyklischen Tiefstand erreicht. Dennoch bleiben die Zentralbanken auffallend vorsichtig
Die US-Notenbank (Fed) hat wenn auch im Schneckentempo an der Zinsschraube zu drehen begonnen. Bei den meisten anderen Währungshütern jedoch liegt eine geldpolitische Normalisierung in weiter Ferne. Für ihr Zögern gibt es gemäss Christophe Bernard, Chefstratege von Vontobel, verschiedene Gründe.
Zentralbanken lagen bei Inflationsprognosen daneben
Die Prognosen und Modelle der Zentralbanken sind von der Wirklichkeit auf die Probe gestellt worden. Dies gilt in erster Linie für die Inflationsschätzungen, die regelmässig zu hoch ausfielen. Insbesondere die Vertreter der japanischen Notenbanken mussten die Meldung, die Deflation sei besiegt, mehrfach zurücknehmen. Gleichzeitig zeigte sich das Fed frustriert darüber, dass sein 2-Prozent-Zielwert für die Kerninflation trotz eines florierenden Arbeitsmarkts nicht erreicht wurde. In Europa versäumt EZB-Präsident Mario Draghi keine Gelegenheit, auf die fehlende Kerninflation hinzuweisen.
Dass alle mit ihren Teuerungsprognosen falsch lagen, ist laut Bernard strukturellen Trends zuzuschreiben. Hierzu gehören beispielsweise die Digitalisierung der Wirtschaft, die weltweite Nutzung günstiger Arbeitskräfte oder technologische Revolutionen wie neue Wege der Schieferölförderung. Der aus diesen Entwicklungen resultierende Abwärtsdruck auf die Preise liess die bewährten Zentralbankmodelle (teilweise) hinfällig werden. Tatsächlich ist es berechtigt, den sakrosankten Inflationszielwert von 2 Prozent infrage zu stellen. Die Ausrichtung auf Inflationsziele ist unter Umständen ein mängelbehaftetes Konzept, das zu einer dauerhaft lockeren Geldpolitik und potenziell gefährlicher Fehlallokation von Kapital führt.
Straffung der Geldpolitik ist eine knifflige Sache
Ein weiteres Problem sieht Bernard in der zunehmende Bedeutung der Zentralbanken als «Kreditgeber der letzten Instanz». Die Entscheidungsträger schreckten naturgemäss davor zurück, den Fehler einer zu frühen geldpolitischen Straffung zu begehen. Dies war beispielsweise 2011 der Fall, als die EZB eine Zinsanhebung umgehend rückgängig machen musste, oder 2013, als schon nur die Andeutung einer möglichen Reduktion der Anleihenkäufe durch das Fed die Obligationenkurse sinken liess. Als gebrannte Kinder gehen die Notenbanken nun lieber auf Nummer sicher auch weil in absehbarer Zeit keine hohe Teuerung droht.
Die Finanzmärkte profitieren natürlich von der nicht vollumfänglich durch Fundamentaldaten gerechtfertigten Liquiditätsschwemme. Die Kehrseite davon ist, dass der übermässige Anstieg der Anlagepreise das Renditepotenzial begrenzt. Noch schlimmer ist jedoch, dass dadurch die Märkte anfälliger für eine unerwartete geldpolitische Straffung oder eine abrupte Konjunkturabkühlung werden.
Auch Regierungen kommen immer wieder gerne an den reich gedeckten Tisch der Zentralbanken, wie Bernard weiter schreibt. Sie profitieren dank der niedrigen Zinsen von einer günstigeren Schuldenfinanzierung. Vor diesem Hintergrund könnten sich Regierungen versucht sehen, unpopuläre, aber notwendige Reformen hinauszuzögern oder zu verwässern. Dies lässt sich in Frankreich und Italien beobachten. Damit stellt sich die wichtige Frage nach der manchmal hart erkämpften Unabhängigkeit der Zentralbanken. Wäre die EZB beispielsweise bereit, die geldpolitischen Zügel auch dann zu straffen, wenn sie wüsste, dass sie damit populistischen Kräften Auftrieb verleiht, die den Euro bekämpfen? Wir bezweifeln es.
Nicht zögern, Gewinne mitzunehmen
Zusammenfassend sind für Bernard die Anreize für die Zentralbanken gering, ihre Geldpolitik an die verbesserten wirtschaftlichen Fundamentaldaten anzupassen. Dies bedeutet, dass die geldpolitische Normalisierung langsam erfolgen und die reichliche Liquidität die Anlagepreise weiter in die Höhe treiben wird. Dies stellt die Anleger vor eine echte Herausforderung, müssen sie doch aus zwei Übeln wählen: Entweder sie folgen blind der Masse und kaufen zu hohen Preisen oder sie richten sich äusserst defensiv aus und entscheiden sich für flüssige Mittel. Nach Ansicht von Bernard besteht indes Spielraum für einen ausgewogenen Ansatz: In einem ersten Schritt stehen solide Bewertungskriterien bei den Portfoliopositionen im Vordergrund. In einem zweiten Schritt empfehlen sich Gewinnmitnahmen, sobald die Kursziele erreicht sind selbst auf die Gefahr hin, dass ein frühzeitiger Verkauf zu Frustration führt. Leider sind die Zentralbanken laut Bernard nicht bereit, die hohe Liquidität einzudämmen. Womit sie implizit die Entstehung von Kursblasen tolerieren. Leider dürften sie ihre Haltung kaum bald ändern ob es uns gefällt oder nicht.