07.11.2024, 09:46 Uhr
Nach den Abflüssen im Vorjahr hat die Bank Vontobel in den ersten neun Monaten 2,6 Milliarden Franken Neugeld bekommen. Das Plus resultiert dabei aus dem Geschäft mit Privaten.
Seit der Finanzkrise 2008 hinken europäische Aktien den US-Aktien hinterher. Verschiedene Indikatoren deuten laut den Experten von Vontobel AM darauf hin, dass mit dem Erstarken von Europa die Erträge steigen werden. Dafür spreche unter anderem, dass sich der MSCI Europe Index aus schneller wachsenden Unternehmen von höherer Qualität zusammensetze und der Markt relativ attraktiv bewertet sei.
Europäische Aktien hinken seit der globalen Finanzkrise US-Aktien deutlich hinterher. Nun gebe es verschiedene Gründe, die für eine künftige Verbesserung der relativen Performance von Europa sprechen, wie die beiden Portfolio Manager und Senior Research Analysten Daniel Kranson und Markus Hansen von Vontobel Asset Management feststellen. Von der globalen Finanzkrise bis Ende 2019 (vor der Pandemie) beruhte die europäische Minderrendite überwiegend auf einem niedrigeren Ertragswachstum. Während die Erträge im S&P 500 um 58.8% zulegten, büssten sie im MSCI Europe Index 22.5% ein. Dadurch lasse sich zum grossen Teil die relative Underperformance erklären, auch wenn die Bewertungen ebenfalls eine Rolle spielten. So entwickelten sich die Kennzahlen im Hinblick auf den S&P 500 mit 32% nur geringfügig besser als in Europa (25%), wobei auch die Ausgangsbasis bereits höher war, so die Analysten.
Ihrer Ansicht nach dürfte sich das künftige Ertragswachstum in Europa weiter verbessern. Der MSCI Europe Index sehe heute wesentlich anders aus als noch vor der globalen Finanzkrise. Die Abhängigkeit von Banken und dem Energie- und Grundstoffsektor sei geringer, dafür hätten Unternehmen aus der Technologie- und Gesundheitsbranche mit höherem und konsistenterem Wachstum mehr Einfluss.
"Die Anleger setzen zunehmend auf qualitativ höherwertige Unternehmen und beschleunigtes Ertragswachstum, daher sollte der Bewertungsabschlag gegenüber US-Aktien künftig niedriger ausfallen. Darüber hinaus dürften makroökonomische Reformen und die Vorreiterrolle im Nachhaltigkeitsbereich – die sich zunehmend in den Kursen widerspiegeln dürften – zu einer besseren Performance und Bewertung europäischer Unternehmen führen", sagen Kranson und Hansen.
Die Gründe für die Wachstumsaussichten von europäische Aktien orten und kommentieren sie in folgenden fünf Punkten:
1. Ein wiedererstarkendes Europa
Die letzten Jahre haben möglicherweise die Voraussetzungen für eine bessere europäische Zukunft geschaffen. Mit dem Austritt der Briten musste sich die EU nach mehr als 60 Jahren ihrer Entwicklung einige grundlegende Fragen stellen, was neue Ideen dahingehend beflügelte, wie neues Vertrauen in die EU geschaffen werden könne.
Zwar hat die Covid-19-Krise die Region in humanitärer und wirtschaftlicher Hinsicht auf die Probe gestellt, beschleunigte aber auch ihr Wiedererstarken. Dieses Mal hat die EU erkannt, dass es notwendig ist, wirksame geld- und fiskalpolitische Massnahmen zu verknüpfen. In den vergangenen zwölf Monaten ist "Next Generation EU" (NGEU) entstanden, der erste EU-weite über Anleihen finanzierte Wiederaufbaufonds, der eine Ausweitung der Ausgaben zum Zwecke der Konjunkturerholung und Krisenbewältigung vorsieht.
Dieses dringend benötigte Programm ist nicht nur ambitioniert, sondern für die EU auch etwas ganz Neues. Ziel ist es, die Wirtschaft zu beleben, die Anlagetätigkeit bezüglich neuer Technologien und erneuerbarer Energien zu fördern und das Vertrauen in den europäischen Binnenmarkt zu wecken.
2. Performanceverbesserung nach Value-Rally
Derzeit befinden wir uns mitten in einer Value-Rally. Die Überrendite der Value-Aktien lässt sich durchaus mit dem Value-Boom in den USA nach der globalen Finanzkrise vergleichen, als sich die lokale Wirtschaft und die dortigen Märkte erholten. Mit dem wiedererstarkenden Vertrauen und der Beruhigung politisch extremer Entwicklungen dürfte die "Friedensdividende" einer Vielzahl von Unternehmen in ganz Europa Auftrieb geben, sofern die USA als Richtschnur dienen können, wo sich das Jahrzehnt nach der Finanzkrise als die Zeit der Wachstumstitel erwies. Europa hat keine lange Value-Rally nötig, um seine relative Performance zu verbessern.
3. Freigiebigkeit der USA wird abnehmen
Mit der Erholung nach der Pandemie, den massiven Anreizen und hohen Ausgaben kommen die USA wieder auf Touren. Europa erscheint da mit seinem Wiederaufbaufonds und den Negativzinsen regelrecht zurückhaltend. Dies sollte kurzfristig dazu führen, dass die US-Wirtschaft besser dasteht. Die US-Ausgaben dürften aber auch europäischen Unternehmen zugutekommen, da viele an ein globales Wachstum gebunden sind. Zu beachten ist aber auch, dass dies nicht von Dauer sein wird.
In den USA herrscht nicht immer politische Einigkeit und Kritiker bemängeln die Verschuldung im Verhältnis zum BIP, die aktuell über dem bisherigen Rekordniveau nach dem Zweiten Weltkrieg liegt. Eine Steuerreform, einschliesslich höherer Körperschaftsteuern, wird daher immer wahrscheinlicher. Bei den kurzfristigen Ausgaben zum Zwecke der Erholung nach der Pandemie und zur Infrastrukturbelebung wird es wohl bleiben. In der Zukunft werden die USA nicht so freigiebig sein. Sie werden sich wieder mehr zurücknehmen, sodass der Rest der Welt dagegen an Attraktivität gewinnt.
4. Inflation wirkt sich positiv aus
Die Zeiten der niedrigen Inflation, die seit der globalen Finanzkrise viele europäische Länder belastet hatte, könnten nun vorbei sein. Davon betroffen waren nicht nur Rohstoffhersteller, sondern auch eine Vielzahl europäischer Unternehmen. In Europa sind viele geschichtsträchtige Marken angesiedelt, die bei steigenden Kosten die Preissetzungsmacht haben. Reguläre Preissteigerungen lassen seit der Finanzkrise auf sich warten. Für diejenigen, die steigende Kosten an den Verbraucher weitergeben können, wenn auch nur in geringem Umfang, wäre eine neuerliche Inflation durchaus positiv für das Geschäft.
5. Europa als Vorreiter im Nachhaltigkeitsbereich
Welche Fortschritte Europa im Nachhaltigkeitsbereich gemacht hat, zeigt sich an externen Ratings und dem Anlegerinteresse in verschiedenen Regionen. Dies ist wichtig, da Unternehmen, die noch nicht wissen, wie sie mit Themen umgehen, die über die reine Finanzproblematik hinausgehen, letztlich ihre Investitionen erhöhen und Geschäftsprozesse ausbauen müssen. Zudem nehmen auch Anleger in anderen Regionen nicht mehr nur die Finanzkennzahlen in den Blick. Die Benotung der Nachhaltigkeit wird sich daher zunehmend in den Bewertungen niederschlagen. Was die attraktiveren Bewertungen Europas gegenüber den USA betrifft, ist ausserdem anzumerken, dass die US-Gewinnprognosen noch nicht die Kosten für die Anpassung an eine Senkung der CO2-Emissionen berücksichtigen.
"Die Probleme, die in den letzten zehn Jahren die Entwicklung Europas beeinträchtigten, dürften in Zukunft an Bedeutung verlieren. Unseres Erachtens ist der Index aus schneller wachsenden Unternehmen von höherer Qualität zusammengesetzt und der Markt relativ attraktiv bewertet. Anleger, die sich die letzten zwölf Jahre ansehen und zu dem Schluss kommen, dass die Zukunft der unmittelbaren Vergangenheit gleichen dürfte, würden mit Europa in gewisser Weise eine Gegenwette eingehen – also auf die USA setzen. Blickt man aber weiter in die Vergangenheit und bedenkt man die fundamentalen Veränderungen, die in Europa in jüngster Zeit stattgefunden haben, und das zunehmende Anlegerinteresse für Nachhaltigkeitsfaktoren, lässt sich feststellen, dass europäische Aktien Wachstumspotential aufweisen", fassen Kranson und Hansen zusammen.