07.11.2024, 09:46 Uhr
Nach den Abflüssen im Vorjahr hat die Bank Vontobel in den ersten neun Monaten 2,6 Milliarden Franken Neugeld bekommen. Das Plus resultiert dabei aus dem Geschäft mit Privaten.
Wachstum und Inflation – gepaart mit schrittweiser geldpolitischer Straffung – dürften im Jahr 2022 eine sanfte Landung hinlegen, meint Christel Rendu de Lint von Vontobel. Der Aufwärtstrend bei Aktien werde wahrscheinlich anhalten, jedoch abflachen. Anleger sollten jedoch auf einen Anstieg der Volatilität vorbereitet sein.
Nach der extremen Mobilisierung von Liquidität durch Staaten und Zentralbanken während der Pandemie haben die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte eine der spektakulärsten Phasen von Abschwung und anschliessender Erholung in der Geschichte erlebt. "Wie bei jedem natürlichen Zyklus verlangsamt sich das Wachstum nun wieder und wird sich wahrscheinlich wieder seinem langfristigen Potenzial annähern", sagt Christel Rendu de Lint, Deputy Head of Investments bei Vontobel.
Der rasche und ausgeprägte Inflationsanstieg hat sich laut der Expertin als notwendiges Übel dieses beschleunigten Zyklus erwiesen. Diese Entwicklung hat nicht nur die Erwartungen der meisten Marktteilnehmer, sondern auch jene der Zentralbanken übertroffen. Erschwert wurde diese Situation durch beträchtliche Lieferkettenprobleme und einen steilen Anstieg der Rohstoffpreise. Dieser wird mit einem Ungleichgewicht zwischen Angebots- und Nachfragefaktoren in Verbindung gebracht.
"Mit nachlassendem Wachstum und einer allmählichen Lösung der Lieferkettenprobleme dürfte die Inflation mittelfristig zurückgehen und Zweitrundeneffekte wie Lohndruck unter Kontrolle halten", erwartet Rendu de Lint. In diesem Szenario dürfte es keine Auswirkungen auf das Wachstum geben, da das Verbraucherverhalten sich nur ändern würde, wenn die Inflation anhält. Daher seien die Befürchtungen des Marktes bezüglich eines Stagflations-Szenarios wie in den 1970er Jahren unbegründet. "Wir werden zwar eine Phase mit Inflation über ihrem langfristigen Niveau und einer Wachstumsabschwächung erleben, aber die Löhne sind nicht länger an die Inflation gekoppelt. Auch sind die Zentralbanken unabhängiger und glaubwürdiger als damals", blickt die Expertin ins kommende Jahr.
Wie Rendu de Lint weiter ausführt, werden in der Tat die Zentralbanken durch eine kontrollierte und umsichtige Vorgehensweise bei Anleihenkäufen und Zinssätzen eine zentrale Rolle dabei spielen, dass die Wirtschaft eine sanfte Landung ohne ein abruptes Ende des Wachstums hinlegen wird. Für die Zentralbanken werde es ein Drahtseilakt werden. Sie müssen die Bedenken des Marktes hinsichtlich der Sorglosigkeit im Zusammenhang mit der Inflation zerstreuen und gleichzeitig das Wachstum fördern. Auch dürfe nicht vergessen werden, dass die Zinsen wieder auf fast null gesunken sind. Dadurch bleibe den Zentralbanken wenig Handlungsspielraum, wenn das Wachstum einbrechen sollte – ganz zu schweigen von den aufgrund der massiven Ausweitung der fiskalpolitischen Massnahmen im letzten Jahr überstrapazierten Staatshaushalte.
Die amerikanische Federal Reserve ist laut dem Experten unter den Zentralbanken wahrscheinlich am besten für diesen Balanceakt aufgestellt. Sie verfügt über ein Doppelmandat, das neben der Inflation auch das Wachstum (bzw. die Beschäftigung) berücksichtigt. Andere Zentralbanken dagegen fungierten als reine Währungshüter. Es sei bemerkenswert, dass es den Zentralbanken bislang gelungen ist, den Finanzmärkten nicht nur das Tapering, sondern auch mögliche Zinsanhebungen fast ohne Schocks an den Finanzmärkten und insbesondere bei Aktien zu vermitteln. Dies stehe in deutlichem Gegensatz zum schmerzhaften "Taper Tantrum" im Jahr 2013: Obwohl Zinsanhebungen nicht konkret zur Debatte standen, gerieten die Märkte seinerzeit aufgrund der blossen Möglichkeit von Zinsanpassungen ins Taumeln.
"Trotz der Möglichkeit einer sanften Landung steht uns ein erhöhtes Volatilitätsniveau bevor. Dieses wird sich im Laufe des nächsten Jahres nachteilig auf risikoreiche Anlagen auswirken, da die Entwicklung der Inflation und des Wachstums beträchtliche Unsicherheiten beinhaltet. Die Zuversicht der Anleger könnte daher auf die Probe gestellt werden", meint Rendu de Lint. Darüber hinaus bleibe das Risiko eines zwar unwahrscheinlichen, aber folgenschweren geldpolitischen Fehlers der Zentralbanken bestehen, falls diese beim Thema Inflation die Nerven verlieren.
Aktien sollten diese Volatilitätsschübe jedoch gut verkraften können und behalten ihren positiven, wenn auch weniger steilen Aufwärtstrend bei. Der Grund hierfür sind die in diesem Quartal veröffentlichten hervorragenden Unternehmensergebnisse, die ein Zeichen für die Robustheit der Unternehmensbilanzen in den Industrieländern sind. Im Vergleich mit europäischen Aktien erschienen US-Aktien in der "Post-Peak"-Phase aufgrund ihres höheren erwarteten Ertragswachstums, ihrer geringeren Zyklizität und ihrer historischer Outperformance besonders attraktiv. Anleger sollten aber in jedem Fall ihre Portfolios auf ihre Risikobereitschaft abstimmen, um Kurzschlussreaktionen zu vermeiden.