Vietnam überzeugt

Oliver Bell, Portfolio Manager MENA & Frontier Markets, T. Rowe Price
Oliver Bell, Portfolio Manager MENA & Frontier Markets, T. Rowe Price

Die Wirtschaft in Vietnam nimmt Fahrt auf, das Land gewinnt an Attraktivität für Anleger. Lesen sie im aktuellen Fondstrends-Interview, welche Chancen und Herausforderungen Oliver Bell, Portfolio Manager MENA & Frontier Markets bei T. Rowe Price, im Grenzmarkt Vietnam sieht.

09.02.2015, 13:55 Uhr

Redaktion: ist

Herr Bell, warum sind Sie ausgerechnet von Vietnam so überzeugt?
Oliver Bell: Auf meinen Reisen mit dem Grenzmärkte-Team haben mich insbesondere unsere jüngsten Besuche in Vietnam zuversichtlich gestimmt. Nach einer Verlangsamung hat sich die Wirtschaft des Landes nun wieder stabilisiert, wodurch sich die Stimmung unter den Investoren verbessert hat und Geld ins Land zurückfliesst. Dies lässt sich an verschiedenen Indikatoren ablesen, darunter dem wachsenden Vertrauen in die Wirtschaft, der Hochstufung des Fremdwährungsratings sowie der überwältigenden Nachfrage nach den jüngsten Emissionen vietnamesischer Staatsanleihen (die mehr als zehnfach überzeichnet waren). Die offiziellen Prognosen für das reale Bruttoinlandprodukt für 2015 haben sich von den angestrebten 5,8% im Jahr 2014 inzwischen auf 6,2% erhöht. Am wichtigsten aber ist, dass die Regierung und die Zentralbank dieses Mal die richtigen Entscheidungen zu treffen scheinen. Sie handeln technokratischer, indem sie die Banken dazu zwingen, notleidende Kredite richtig zu bilanzieren und zudem Reformen der staatseigenen Betriebe durchsetzen.

Wie beurteilen Sie Chinas Einfluss auf Vietnam?
China hat grossen Einfluss auf zahlreiche Grenzmärkte in Asien, und auch Vietnam ist diesbezüglich keine Ausnahme. Dieser Trend lässt sich wohl als Resultat diverser Einflüsse erklären. Einer davon ist die Tatsache, dass die Kosteninflation in China in der vergangenen Dekade erheblich war, wodurch sich Produktion und Fertigung stärker in die Grenzmärkte verlagert haben. Dennoch bedeutet dies nicht gleich, dass Produktionsstätten in China stillgelegt werden, sondern vielmehr, dass zusätzliche Investitionen an anderen Orten getätigt werden. Dies war hauptsächlich für die Bereiche Textilien/Kleidung und die Endmontage elektronischer Geräten zu beobachten. Die wichtigsten Fertigungszentren befinden sich zwar weiterhin in China, sie werden jedoch von ihren Kunden aktiv ermutigt, zusätzliche Investitionen in Vietnam, Kambodscha und anderen Teilen der Region zu tätigen.

Daraus resultieren Vorteile wie die Diversifikation weg von einer Risikokonzentration in China, geringere Fabrikationskosten (die Löhne sind in Vietnam rund 50 % und in Kambodscha rund 75 % tiefer) sowie potenziell tiefere Unternehmenssteuern. Kambodscha erlässt Herstellern von Kleidungsstücken die Einkommenssteuern für die ersten fünf Jahre, während in Vietnam Hersteller aus Branchen mit einer hohen Wertschöpfung, wie beispielsweise Elektronik und Gesundheitswesen, anstelle der üblichen 22% Unternehmenssteuer nur 10 %, zu entrichten haben.

Welche Bereiche bieten innerhalb von Vietnam die attraktivsten Chancen?
Obschon die Fertigung für die vietnamesische Wirtschaft weiterhin eine wesentliche Rolle spielt, haben wir den Eindruck, dass Vietnam hinsichtlich der Billigproduktion die besten Zeiten hinter sich hat. Aufgrund des hohen Arbeitskräftebedarfs und umweltbezogener Bedenken werden die traditionellen Fertigungssektoren, wie beispielsweise die Textilbranche, vom Staat kaum gefördert.

Vielmehr favorisiert die Regierung heute Branchen mit hoher Wertschöpfung wie Elektrik und Elektronik, Gesundheitswesen, Bildungswesen sowie umweltschonende und energieeffiziente Technologien. Unternehmen aus diesen Sektoren werden Steuervergünstigungen gewährt, was eine zunehmende Verschiebung der vietnamesischen Exporte weg von billig produzierten Gütern hin zu teurerer Elektronik zur Folge hat. So haben Mobiltelefone Textilien neuerdings als wichtigstes vietnamesisches Exportgut überflügelt.

Vietnam setzt sich zudem stark für den Abschluss von Freihandelsabkommen ein. Zurzeit befindet sich das Land kurz vor dem Abschluss der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union und mit Südkorea, seinem zweit- bzw. viertgrössten Handelspartner. Angestrebt wurde ein Abschluss der Verhandlungen bis Ende 2014. Diese Tatsache dürfte ausländische Direktinvestitionen weiter beflügeln, den Aufbau neuer Lieferkettennetzwerke ermöglichen und Vietnam wettbewerbsfähiger machen werden.

Vietnam kämpft mit seinem maroden Bankensystem. Ist eine Stabilisierung in Sicht?
Der Bankensektor ist heute stark fragmentiert – staatliche Banken haben einen Marktanteil von 40 % – und nur eine einzige Bank verfügt über einen Marktanteil im zweistelligen Prozentbereich. Es ist indes ermutigend zu sehen, dass die Banken langsam anerkennen, dass sie notleidende Kredite in ihren Portfolios halten. Dies wiederum bedeutet, dass die Rückstellungen für Forderungsausfälle kurzfristig höher ausfallen werden. Durch Research und in Gesprächen mit Bankenvertretern haben wir zwar festgestellt, dass sich das zugrundeliegende Wachstum angesichts der sich erholenden Wirtschaft zu beschleunigen beginnt. Diese Tatsache wird jedoch durch die aktuell hohen Rückstellungen verschleiert und wird sich in den nächsten Jahren deshalb nicht in einem starken Gewinnwachstum äussern. Im Allgemeinen erachten wir den Finanzsektor aber als gute Investitionsgelegenheit. Investitionen in diese Branche können in gewisser Hinsicht als Investitionen mit einem starken Hebel verstanden werden, die an eine zugrundeliegende Volkswirtschaft geknüpft sind. Ein Bankensystem, das innerhalb einer wachsenden Volkswirtschaft operiert und faule Kredite begrenzt, dürfte ein guter Ausgangspunkt für gewinnträchtige Investitionen in den Bankensektor sein. In Vietnam und anderen Grenzmärkten Asiens sehen wir zahlreiche solcher Beispiele.

Welche Risiken sehen Sie in Vietnam?
Natürlich gibt es auch Herausforderungen, mit denen sich Vietnam und andere Regionen der Grossregion Mekong auseinandersetzen müssen. Dies sowohl damit die derzeit hohen ausländischen Direktinvestitionen weiterhin fliessen, als auch um Investitionen in die Aktienmärkte zu fördern. Zu den Herausforderungen zählen:

  • Abbau der Restriktionen hinsichtlich Liquidität/ausländischem Eigentum
  • Restrukturierung grosser, staatlich kontrollierter Unternehmen
  • Mangelhafte Infrastruktur (z. B. Strassen, Eisenbahn, Häfen, Energieversorgung)
  • Unterentwickelte lokale Lieferketten und ineffiziente Logistik
  • Steigende Kosten – gilt vor allem für Vietnam, das auf der Wertschöpfungskette immer höher steigt
  • Geringere Arbeitseffizienz – viele Unternehmen berichten, dass die geringere Produktivität in Südostasien die tieferen Lohnkosten teilweise wieder ausgleicht
  • Sprachliche Hürden
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