Aktien – zu früh, um defensiv zu sein

Es ist schwierig, die Zukunft vorauszusagen. Darum sollten Anleger das Spektrum der Wahrscheinlichkeiten in Betracht ziehen. (Bild: Shutterstock.com/Phongphan)
Es ist schwierig, die Zukunft vorauszusagen. Darum sollten Anleger das Spektrum der Wahrscheinlichkeiten in Betracht ziehen. (Bild: Shutterstock.com/Phongphan)

Es sei an der Zeit, langsamer zu fahren, aber nicht zu langsam, meint Johanna Kyrklund von Schroders. Wie im Actionfilm Speed aus den 1990er-Jahren sollte man aktuell an den Börsenplätzen den Fuss nicht zu sehr vom Gas nehmen.

23.06.2021, 16:49 Uhr

Redaktion: vik/rem

Als Autofahrer muss man laut Johanna Kyrklund, CIO von Schroders, nicht nur die Geschwindigkeitsbegrenzung einhalten, sondern auch das gesamte Geschehen um sich herum im Auge behalten. Nur weil man 100 km/h fahren darf, heisse das noch lange nicht, dass man das auch tun sollte. Ähnlich verhalte es sich bei der Geldanlage. Man darf nach Ansicht Kyrklunds Bewertungen nicht aus den Augen verlieren, muss aber auch das generelle Marktgeschehen im Blickwinkel behalten.

"Die momentanen Aktienbewertungen deuten darauf hin, dass die Märkte an Fahrt verlieren werden. Aber man kann das Tempo nicht zu stark drosseln, da es an defensiveren Optionen mangelt", stellt die Schroders Expertin fest. Diese Situation erinnere an den Film "Speed" von 1994. In dem Kassenschlager wirken Keanu Reeves und Sandra Bullock mit, die sich in einem Bus befinden, dessen Geschwindigkeit nicht unter 80 km/h fallen darf. Fällt das Tempo, explodiert der Bus. "Anleger sind zwar nicht mit einem Feuerball konfrontiert, aber diejenigen, die zu langsam fahren, könnten im übertragenen Sinne potenzielle Anlagerenditen in Brand setzen", so der CIO. Es sei nicht zu leugnen, dass die Aktienmärkte teuer sind (vgl. Tabelle).

"Es gibt kaum defensive Vermögenswerte, die man ins Visier nehmen könnte. Bargeld bringt buchstäblich nichts. Staatsanleihen sind auch nicht viel besser. Die Zeiten, in denen man für US-Treasuries oder Gilts einen Kupon von 5% bekam, gehören der Vergangenheit an", stellt Kyrklund fest.

Doch nur weil die Marktbewertungen teuer seien, heisse das nicht, dass sie nicht weiter steigen können, wie die folgende Tabelle zeigt. Den Moment zu bestimmen, wann der Markt seinen Höchststand erreicht hat, sei nicht nur unmöglich, sondern könne auch sehr schmerzhaft sein.

Es ist ihrer Einschätzung nach zwar nicht an der Zeit, Aktien zu verkaufen, aber es ist wahrscheinlich der Moment gekommen, die Begeisterung zu drosseln, da das Spiel seinem Ende zugehe. Statt den Fokus nur auf Aktien zu legen, sei vielmehr eine dynamischere Strategie wie der Multi-Asset-Ansatz gefragt.

"Wie ein Multi-Asset-Ansatz in Zeiten mangelnder Alternativen zu Aktien helfen kann, liegt in seinem Vorteil begründet, schnell und taktisch auf ein verändertes Marktumfeld reagieren zu können", so die Expertin. Werden beispielsweise Anleihen abverkauft, ergeben sich daraus unter Umständen plötzlich interessante Möglichkeiten. Sollte es andererseits unerwartet schlechte Nachrichten im Hinblick auf das Coronavirus geben, müsse man schnell reagieren.

Spektrum der Wahrscheinlichkeiten bewerten

Niemand könne die Zukunft voraussagen, aber als Anleger müsse das Spektrum der Wahrscheinlichkeiten bewertet werden. Klar sei, dass sich die Abwägung der Wahrscheinlichkeiten verglichen zum November verändert habe, als die positiven Nachrichten über den Impfstoff gemeldet wurden. Sowohl der MSCI World als auch der S&P 500 seien seitdem um 20% gestiegen. Das Aufwärtspotenzial dürfte deshalb geschrumpft sein, und das Abwärtspotenzial gleichzeitig zugenommen haben. Die Chancen seien jetzt nicht so attraktiv, aber es sei zu früh, um übermässig defensiv zu sein. Es stehe keine Rezession bevor, man müsse investiert bleiben und könne nicht auf Barbeständen sitzen.

"In meinen jüngsten Berichten seit den Meldungen über die Impfstoffe im November habe ich Substanzwerte, Banken und Japan als Bereiche ausgesondert, die ich in den Aktienmärkten bevorzuge. Mit den Substanzwerten und Banken bin ich zufrieden, aber mit Japan hat es nicht so gut geklappt. Dort sind die Infektionszahlen unerwartet wieder angestiegen", so Kyrklund.

Die "Reopening Trades" haben nach ihrer Beobachtung mittlerweile einen grossen Satz nach vorne gemacht und Anleger beurteilen die Märkte nun differenzierter. Die Volatilität nehme zu, was ein Hinweis dafür sei, dass der aktuelle Marktzyklus alt werde.

In einer solchen Phase sei es am besten, nicht drastische Massnahmen, wie Keanu und Sandra in "Speed", zu ergreifen, sondern stattdessen langsamer zu fahren.

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