Corona-Pandemie: Wirtschaftsaufschwung auf fragilem Fundament

Die Impfstoffe gegen Covid-19 erhellen zwar die Perspektiven für den Aufschwung, doch vieles bleibt ungewiss. (Bild: Shutterstock.com/zef art)
Die Impfstoffe gegen Covid-19 erhellen zwar die Perspektiven für den Aufschwung, doch vieles bleibt ungewiss. (Bild: Shutterstock.com/zef art)

Die zweite Pandemie-Welle belastet die Gesundheitssysteme und macht die wiedergewonnene Mobilität in der gesamten nördlichen Hemisphäre zunichte. Laut Marc-Antoine Collard von Rothschild & Co AM haben sich die Aussichten zwar verbessert, die Perspektiven seien jedoch nach wie vor ausserordentlich ungewiss und bergen Risiken.

11.12.2020, 15:22 Uhr

Redaktion: rem

Erneute Virusausbrüche in vielen Ländern und die Wiedereinführung von Beschränkungen haben das Tempo des weltweiten Konjunkturaufschwungs nach dem Produktionsrückgang in der ersten Jahreshälfte 2020 gebremst. "Das Vertrauen ist nach wie vor nicht gefestigt, und weitere Einschnitte könnten die bereits von der Corona-Krise verursachten Schäden noch vergrössern. Dagegen haben die Fortschritte bei Impfstoffen und Behandlungen sowie das Wahlergebnis in den USA das Vertrauen der Investoren gestärkt, sodass es zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie nun Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt", sagt Marc-Antoine Collard, Chief Economist und Director of Economic Research bei Rothschild & Co Asset Management.

Die Bekämpfung der Pandemie werde die Wirtschaft noch einige Monate lang beschäftigen. Die zweite Infektionswelle belaste nun die Gesundheitssysteme und mache die wiedergewonnene Mobilität in der gesamten nördlichen Hemisphäre zunichte, was wahrscheinlich zu weiteren kurzfristigen Produktionsrückgängen, insbesondere in Europa, führen werde.

Europa – Google Mobilitätsindex*

Das Verbraucher- und Geschäftsvertrauen ist insbesondere im Dienstleistungssektor zurückgegangen. Der Beschäftigungseinbruch hat sich teilweise umgekehrt, aber eine grosse Anzahl von Menschen ist nach wie vor unterbeschäftigt. Die meisten Unternehmen haben den Schock überstanden, wenn auch oft finanziell geschwächt. Unternehmen in den am stärksten von den anhaltenden Restriktionen betroffenen Sektoren werden nach Meinung Collards möglicherweise ohne zusätzliche Unterstützung nicht mehr lange überleben, was das Risiko weiterer Arbeitsplatzverluste und Insolvenzen erhöht, die die Wirtschaft belasten werden.

Impfstoffe stärken Vertrauen in Aufschwung

Trotz kurzfristiger Turbulenzen haben sich die wirtschaftlichen Aussichten jedoch verbessert, da erfolgreiche Impfstoffversuche das Vertrauen stärken, dass Viruseindämmung nicht mehr notwendigerweise mit Mobilitätseinschränkungen einhergeht. Anfang nächsten Jahres könnten mehrere Impfstoffe zur Verfügung stehen. Die britischen Aufsichtsbehörden haben dem US-Pharmariesen Pfizer und seinem deutschen Partner Biontech bereits eine Notfallzulassung erteilt, womit Grossbritannien die erste westliche Nation ist, die einen Impfstoff gegen Covid-19 zugelassen hat. Es wird erwartet, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten entsprechend zunehmen werden.

USA: Covid-19

Dennoch bleiben Tempo und Ausmass der für das kommende Jahr erwarteten Wachstumsbeschleunigung ungewiss angesichts der erheblichen Entwicklungs- und logistischen Herausforderungen bei der weltweiten Bereitstellung eines Impfstoffs. Um die Wechselwirkung zwischen dem Virus und der Wirtschaftstätigkeit vollständig zu durchbrechen, müssen schätzungsweise etwa 60% der Weltbevölkerung geimpft werden. "Da bei vielen Impfstoffen, die derzeit entwickelt werden, zwei Dosen erforderlich sind und es an weltweiter Kooperation mangelt, wird eine Massenimpfung nur schrittweise erfolgen und eine vollständige Normalisierung der Mobilität und der grenzüberschreitenden Bewegungen für mindestens ein weiteres Jahr verhindert", meint Collard.

Darüber hinaus dürfte die Finanzpolitik im Jahr 2021, nachdem sie 2020 für kräftigen Aufwind sorgte, ein Hemmschuh sein – auch wenn sie die erwartete Wachstumsbelebung nur teilweise aufheben wird, da die allmähliche Einführung von Impfstoffen Mobilität und Aktivität fördert.

Konjunkturprogramme und Schuldenquoten

"In den USA sind die fiskalischen Prognosen immer noch unsicher, und der Schock durch das Auslaufen der Notprogramme Ende Dezember wird mit ziemlicher Sicherheit das für das erste Quartal 2021 geplante – aber noch nicht beschlossene – Konjunkturpaket übertreffen", sagt Collard. Die ehemalige Fed-Vorsitzende Janet Yellen wurde vom künftigen Präsidenten Joe Biden als Finanzministerin nominiert, was bedeutet, dass diese mächtige Kabinettsposition mit einer starken Verfechterin weiterer Konjunkturprogramme besetzt wird. Der Senat zögert jedoch nach wie vor, einem weiteren grossen Paket zuzustimmen, obwohl Vertreter der US-Notenbank weiterhin betonen, dass die kurzfristigen Abwärtsrisiken die Notwendigkeit zusätzlicher Massnahmen verstärken.

In China setzt sich die Erholung fast V-förmig fort. Die Behörden werden sich wahrscheinlich wieder verstärkt auf den Schuldenüberhang des Landes und die finanzielle Stabilität konzentrieren. Derweil sehen sich einige Schwellenländer mit Einschränkungen der Finanzstabilität konfrontiert, die sie zu mehr Haushaltsdisziplin zwingen könnten.

Die Schuldenquote der Eurozone wird sich 2021 aufgrund der Aufhebung der Notfallmassnahmen im Zusammenhang mit der Pandemie voraussichtlich verringern. Im vergangenen Sommer einigte sich der Europäische Rat auf ein Finanzpaket, nämlich die 750 Mrd. Euro umfassende EU-Aufbau- und Resilienzfazilität (NGEU/RRF), in der Hoffnung, dass sich dies positiv auf die Wirtschaft auswirken würde, auch wenn sich die Auswirkungen über mehrere Jahre erstrecken werden.

Gibt es grundlegende Veränderungen mit Joe Biden?

Der Sieg von Joe Biden bei den US-Präsidentschaftswahlen könnte der Beginn einer grundlegenden Veränderung in der Haltung Amerikas gegenüber der Welt sein. Biden hat versprochen, einige der umstritteneren Massnahmen seines Vorgängers Trump rückgängig zu machen, darunter auch die zum Klimawandel. Ebenso strebt er die Umsetzung eines ehrgeizigen neuen grünen Abkommens an.

USA: Bidens Wirtschaftsplan

Es wird erwartet, dass Biden Trumps konsequente Haltung gegenüber China in Bezug auf den Handel, den Diebstahl geistigen Eigentums und Handelspraktiken fortsetzen wird. Sein Ansatz werde sich jedoch eher darauf konzentrieren, Verbündete zu kooptieren, anstatt sie zu schikanieren, wie es Trumps Methode war, erwartet Collard. Was den Iran betrifft, so hat Biden versprochen, dass das Land den Sanktionen entgehen kann, wenn es sich an den multinationalen Atomdeal hält, den er mit Obama begleitet hatte, der aber von Trump verworfen wurde.

Die Umsetzung der aussenpolitischen Vision des Biden-Teams werde jedoch nicht einfach sein, da die amerikanischen Verbündeten in den letzten vier Jahren eine willkürliche aussenpolitische Strategie der USA ertrugen, die traditionelle Allianzen untergrub. Beim Umweltschutz wird sich Biden einem geteilten Kongress gegenübersehen, der es ihm wahrscheinlich nicht erlauben werde, Milliarden für grüne Technologien und Infrastrukturen auszugeben. "Das Risiko, dass Hoffnungen enttäuscht werden, ist daher gross", meint Collard.

Erholung auf unsicherem Fundament

Obwohl die weltweite Erholung nur teilweise und uneinheitlich verläuft, haben sich die Aussichten auf einen möglichen Weg aus der Krise insgesamt verbessert. Und es gibt ermutigende Nachrichten über wirksame Impfstoffe. Die Perspektiven sind jedoch nach wie vor ausserordentlich ungewiss und bergen Risiken. Eine schnellere Herdenimmunität würde die Unsicherheit verringern, was in Verbindung mit den hohen Sparquoten der Privathaushalte in vielen Ländern den Weg zu einer stärkeren Erholung dank einer nachhaltigeren Belebung der Investitionen und Konsumausgaben weisen würde. Die Bankeinlagen der Privathaushalte sind schneller gewachsen als in den vergangenen Jahren.

Nach Schätzungen der OECD sind diese Einlagenüberschüsse im Verhältnis zum privaten Konsum zwar relativ gering, doch sind sowohl die Einlagen der privaten Haushalte als auch der Konsum im Verhältnis zum BIP hoch, was potenziell auf einen erheblichen Einfluss auf die Gesamtnachfrage hindeutet. "Andererseits könnte das Wachstum schwächer ausfallen, sollten sich die Virusausbrüche weiter verstärken oder sich die Herausforderungen bei der Gewährleistung eines flächendeckenden Einsatzes eines Impfstoffs als grösser als derzeit erwartet erweisen", sagt Collard und fügt an: "Darüber hinaus bieten hohe Sparquoten zwar Spielraum zur Finanzierung zusätzlicher Ausgaben, ein erheblicher Teil der erhöhten Sparquote stammt jedoch von einkommensstarken Haushalten mit einer geringeren Konsumneigung. Umfrageergebnisse deuten darauf hin, dass das vorsorgliche Sparen erhöht bleiben könnte, sollten die Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt weiterhin verhalten ausfallen."

Welt-BIP und Europa-BIP in der Corona-Krise

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