Die Luftfahrtindustrie steht vor ihrer grössten Herausforderung

Während der Corona-Krise auf dem Flugplatz Dübendorf parkierte Flugzeuge der Swiss-, Helvetic- und Edelweiss-Flotte. (Bild: Shutterstock.com/Niklas Presch)
Während der Corona-Krise auf dem Flugplatz Dübendorf parkierte Flugzeuge der Swiss-, Helvetic- und Edelweiss-Flotte. (Bild: Shutterstock.com/Niklas Presch)

Die globale Luftfahrtindustrie ist von der Covid-19-Krise massiv betroffen. So ist der MSCI World Airlines USD-Index seit Jahresbeginn um sagenhafte 47,4% gefallen. Wie das M&G Investments Equity Team analysiert, sprechen trotzdem verschiedene Gründe für die Aviatik-Branche.

29.06.2020, 16:21 Uhr

Redaktion: rem

Im gleichen Zeitraum verzeichnete der MSCI World Index (USD) ein Minus von 2,3% und liegt damit im historischen Vergleich auf dem Niveau der beiden Finanzkrisen in den Jahren 2001 und 2008. "Es wäre jedoch falsch, die Luftfahrtindustrie aus einer Anlegeroptik bis auf weiteres abzuschreiben, zumal sich in den kommenden Wochen zeigen wird, wie die Branche in Corona-Zeiten den operativen Flugbetrieb ausgestaltet und wie sich darauffolgend die Geschäftszahlen entwickeln werden", meint das M&G Investments Equity Team.

Die Luftfahrtindustrie war bereits vor der Corona-Krise ein knallhartes Geschäft. Selbst vor Covid-19 konnte die Branche nach Angaben des Internationalen Luftverkehrsverbandes (IATA) mit 298 angeschlossenen Fluglinien von 2015 bis 2018 – einem Zeitraum also, der von Branchenbeobachtern aufgrund der Gesamterträge im Umfang von rund 3 Bio. Dollar als relativ ertragsstark bezeichnet wird – "lediglich" 135 Mrd. Dollar an Nettoeinnahmen erzielen. Das entspricht einem durchschnittlichen Nettogewinn pro Fluggast von 8,53 Dollar. Dieser durchschnittliche Nettogewinn fällt laut den Experten von M&G Investments mit 4,65 Dollar sogar noch einmal deutlich geringer aus, wenn der Berechnungszeitraum auf Mitte der 2000er Jahre erstreckt wird und damit die Ertragsausfälle resultierend aus der globalen Finanzkrise von 2008 inkludiert wären.

Verschiedene Gründe sprechen für die Aviatik-Branche

Die Ausgangslage erscheine auf den ersten Blick zugegebenermassen ungünstig. Dennoch sei darauf hingewiesen, dass die Luftfahrtindustrie in der Vergangenheit bereits verschiedentlich bewiesen hat, dass sie Krisen zu meistern mag. Zudem bestehen unter den einzelnen Fluggesellschaften grosse Unterschiede hinsichtlich ihrer Ertragskraft. So hätten beispielsweise von den 25 grössten börsennotierten Fluggesellschaften, die gemeinsam etwa 60% der gesamten Branchenerträge generieren, im Zeitraum von 2014 bis 2018 lediglich ein Viertel die Nettomargen der Branche deutlich übertroffen, rechnen die Aktienexperten vor. Dabei handle es sich in der Regel um Fluggesellschaften, die mit überdurchschnittlichen Margen und einer im Vergleich mit ihren Mitbewerbern höheren Liquidität zu überzeugen vermögen. In diesen Reihen werden denn auch die Gewinner in einem Post-Covid-Umfeld zu finden sein.

Die grössten Chancen für eine baldige – wenn auch moderate – Erholung auf der Ertragsseite dürften sich dabei wohl denjenigen Fluggesellschaften eröffnen, die ein grosses Streckennetz im eigenen Land bedienen, da die Covid-Beschränkungen im Inland schneller gelockert werden und in diesem Geschäftsbereich tendenziell höhere Margen erzielt werden als im Ausland. Ein erster Test, der diese These bestätigen könnte, werde die Normalisierung des Inlandsreiseverkehrs in wichtigen Märkten wie China, Japan und Australien sein. Beispielsweise hat Neuseeland unlängst seine Covid-Warnung auf Stufe 1 gesenkt, was die Wiederaufnahme von Inlandsreisen ermöglicht. Auch in China zeichnet sich eine Erholung des Inlandsreiseverkehrs, wobei das Volumen im Juni im Jahresvergleich noch um 44% gesunken ist, gegenüber einem Minus von 65% im Mai respektive einem Minus von 90% im Februar 2020.

Fastlane für Geschäftsreisende im Gespräch

Die grössere Bewährungsprobe wird zweifelsfrei der Zeitpunkt der Wiederaufnahme von Quarantäne-freien Reisen sein. So diskutieren Australien und Neuseeland offenbar über einen Trans-Tasman-Korridor, der im Juli 2020 eröffnet werden soll. Auch Singapur und China haben sich darauf verständigt, eine "Überholspur" für Geschäftsreisende einzurichten. Allerding sind damit strenge Auflagen für die Reisenden verbunden, darunter Reise-Anträge, obligatorische Covid-Tests am Start und am Zielort (mit entsprechender Kostenfolge für die Reisenden), keine Anreise zu den Flughäfen mit öffentlichen Verkehrsmitteln und – zumindest vorerst – Flugreisen beschränkt auf sechs chinesische Städte.

Darum prüfe wer sich binde

"Allen Widrigkeiten zum Trotz sind Anleger angehalten, genau hinzuschauen und verschiedene Investitionsfaktoren zu berücksichtigen. Fluggesellschaften, die mit einer überalterten Flotte oder unerwünschten, weil kostenintensiven Flugzeugtypen operieren, müssen in Verbindung mit hohen Investitionsausgaben erhebliche Liquiditätsprobleme und betriebliche Ineffizienzen vergegenwärtigen", analysiert das M&G Investments Equity Team.

Fluggesellschaften, die in erheblichem Masse auf den Frachttransport setzen und deshalb auch über eine entsprechende Flotte verfügen, profitieren derzeit von günstigen Marktbedingungen und sind in der Lage, dringend benötigte Erträge aus dem Frachtgeschäft zu generieren. Auch in Bezug auf staatlich gewährte Hilfspakete gelte eine differenzierte Betrachtungsweise. Begrüssenswert sei beispielsweise Japans "Go To-Kampagne" im Umfang von 15 Mrd. Dollar zur Förderung des Inlandsreiseverkehrs. Vorsicht sei in Bezug auf staatliche Kreditlinien und/oder gelockerte Eigenkapitalbedingungen für Fluggesellschaften angebracht. "Klar ist, dass sowohl die Zinslast auf Kredite als auch die direkte Kapitalbeteiligung von Regierungen künftige Aktionärsrenditen negativ belasten könnten", geben die Experten zu bedenken. Auch tiefere Kerosinpreise für Düsenflugzeuge sind nur bedingt hilfreich, variiere ihr Nutzen doch stark aufgrund unterschiedlicher Absicherungs- und Zuschlagsregeln enorm. Zudem würden historisch tiefe Treibstoffpreise zu unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen führen.

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