Der US-Zyklus geht in die Verlängerung

Tilmann Galler, Globaler Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management.
Tilmann Galler, Globaler Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management.

Der Zyklus in Übersee neigt sich in seinem achten Jahr langsam dem Ende zu, doch ganz fertig scheint er noch nicht zu sein, sagt Tilmann Galler, Globaler Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management.

14.09.2016, 16:31 Uhr

Redaktion: jog

Ein Fussballspiel, das in die Verlängerung geht, ist ein heikles Unterfangen: Alle Spieler sind bereits abgekämpft und der Trainer muss entscheiden, ob eher Sturm oder Verteidigung durch Auswechslung gestärkt werden. Immer wieder passiert es, dass ein Spiel in den letzten Minuten kippt. Im Zweifel wussten es "80 Millionen Bundestrainer" dann sowieso wieder besser.

Kommt ein Konjunkturzyklus in eine späte Phase, ist dies ebenfalls herausfordernd für die "Aufstellung" im Portfolio. Zu Beginn des Zyklus ist es mit der Asset Allokation noch einfach: Wenn Aktien günstig sind und das Wirtschaftswachstum anzieht, bietet sich eine Übergewichtung von Aktien an. Während der Zyklus reift, gilt es die Märkte zu beobachten und einzuschätzen, wie sich die Dynamik entwickelt. In Märkten, die vor einem Markteinbruch überhitzen, liegt intuitiv die Übergewichtung von Aktien und Rohstoffen nahe, während sich in einem Zyklus, der sich langsam in Richtung Rezession bewegt, eher Unternehmensanleihen anbieten. Nicht ganz unwichtig ist natürlich auch, die Bewertungen heranzuziehen: Sind einzelne Anlageklassen in dieser späten Phase eher teuer oder nach wie vor fair bewertet?

Die gute Nachricht ist, dass der aktuelle US-Zyklus, auch wenn er inzwischen tatsächlich in seinem achten Jahr ist, in die Verlängerung zu gehen scheint. Im letzten Jahr schwächte sich zwar das Wachstum ab, die Zunahme des Arbeitskräfteangebots beschleunigte sich jedoch. Dies führte zu einem viel langsameren Abbau der Arbeitslosigkeit als in der früheren Phase des Zyklus.

Einschätzung des Arbeitsmarkts verbessert
Der August-Arbeitsmarktreport brachte dafür einen eindeutigen Beleg: Der Stellenaufbau zeigte sich mit 151'000 neuen Jobs eher am unteren Ende der Erwartungen und das Wachstum des Durchschnittsverdiensts in der Produktion lag bei moderaten 0,2 Prozent. Als wichtigster Aspekt des Reports ist die Arbeitslosenrate zu nennen, die zwar nicht gefallen ist, aber mit 4,9 Prozent auf Juli-Niveau liegt – und damit unverändert seit Januar ist.

Dies ist einerseits durch die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums bedingt, die bei annualisiert 1,2 Prozent zum Ende des 2. Quartals im Vergleich zu durchschnittlich 2,1 Prozent während der Expansionsphase des Zyklus liegt. Das scheint die Beschäftigungsnachfrage begrenzt zu haben. Zudem hat sich das Arbeitskräfteangebot gesteigert: Im letzten Jahr stieg der Anteil der arbeitsfähigen Bevölkerung zwischen 16 und 64 um 0,6 Prozent, während die Quote der Arbeitskräfte um 1,5 Prozent wuchs. Dies mag durch den Rückgang derjenigen, die Erwerbsunfähigkeitsleistungen ("disability benefits") beantragt haben, verursacht sein: Die Zahl fiel um 70'000 im Jahresvergleich per Ende Juli, statt um 100'000 anzusteigen, was angesichts des Bevölkerungswachstums zu erwarten gewesen wäre. Nach einem explosiven Wachstum in der letzten Dekade gab es in den vergangenen zwei Jahren ein härteres Vorgehen gegen diejenigen, die diese Leistungen ohne stichhaltigen Grund beantragten. Das führte dazu, dass viele Arbeitskräfte zurück auf den Arbeitsmarkt gekommen sind.

So hat sich gemäss dem Conference Board die Einschätzung des Arbeitsmarktes verbessert und die Reallöhne sind gestiegen – beide Faktoren scheinen das Arbeitskräfteangebot zu beflügeln, so dass die Arbeitslosigkeit im letzten Jahr um nur 0,2 Prozent zurückging.

In den letzten 40 Jahren lag der niedrigste jemals gemessene Wert der Arbeitslosigkeit bei 3,8 Prozent, ein Niveau, das in den ersten Monaten des Jahres 2000 kurz gestreift wurde. Vor einem Jahr sah es noch so aus, als könne diese Marke Ende nächsten Jahres erreicht werden und wir würden inzwischen einen Anstieg der Lohninflation erleben. Nun haben wir scheinbar etwas Zeit gewonnen. Die Frage bleibt aber: Wo wird die weitere Entwicklung hinführen?

Nimmt das US-Wirtschaftswachstum noch einmal Fahrt auf?
Hinsichtlich der Wachstumsentwicklung der US-Wirtschaft ist eine erneute Beschleunigung wahrscheinlich. Die Konsumausgaben scheinen im 3. Quartal ein Plus von 3 Prozent zu erreichen und die aktuellen Daten für das Wachstum der Investitionsausgaben stimmen zuversichtlich. Noch wichtiger ist, dass die Einbrüche des letzten Jahres – der Rückgang der Energie-Infrastrukturausgaben und eine Verlangsamung des Inventarausbaus – nun hinter uns liegen. Wenn es keine neuen Schocks gibt, könnte die Wirtschaft leicht auf ein Wachstumsniveau von 2 bis 3 Prozent ansteigen.

Dem Arbeitsmarkt hat kurzfristig die positivere Einschätzung und die schärfere Vorgehensweise gegen Leistungsempfänger geholfen, als langfristiger Effekt sollte das langsamere Wachstum der Arbeitskräfte zwischen 16 und 64 Jahren wirksam werden. Die wahrscheinlichste Entwicklung ist nun, dass die Arbeitslosenquote ihren stetigen Rückgang wieder aufnimmt und sich in der Folge der Inflationsdruck aufbaut.

Anleger sollten sich breit und global diversifiziert aufstellen
Dies ist nur einer der Gründe, warum die US-Notenbank (Fed) gut beraten wäre, den Prozess der Zinsnormalisierung wieder zu starten, wenn nächste Woche das nächste Treffen stattfindet. Es ist auch ein Grund, warum Anleger sich für mögliches höheres Wachstum, höhere Inflation, höhere Zinsen und letzten Endes eine Rezession in den USA positionieren sollten.

Um also wieder auf die eingangs aufgeführte Analogie zum Fussball zurückzukommen: Auch, wenn die USA sich auf eine "Verlängerung" hin bewegt, gibt es wenig Gründe, sich zurückzulehnen. Aber mit einer aktiv gemanagten, flexiblen Allokation in offensive und defensive Bereiche, verbunden mit einer global diversifizierten "Aufstellung", lässt sich auch diese herausfordernde Phase meistern.

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