Konjunkturprogramme entfalten nur langsam Wirkung

30.06.2009, 09:35 Uhr

Normale fiskal- und geldpolitische Multiplikatoren greifen in dieser «Bilanzrezession» nicht. Sowohl Unternehmen als auch Verbraucher dürfen jetzt keine weiteren Schulden machen, sondern müssen zuerst Schulden abbauen und ihre Bilanzen sanieren. Das sind Einschätzungen von John Greenwood, dem Chefökonomen von Invesco.

«Obwohl der dramatische Einbruch der weltweiten Wirtschaftsleistung im vierten Quartal 2008 und den ersten drei Monaten des Jahres 2009 überstanden zu sein scheint, ist die Weltwirtschaft noch weit von einer Normalisierung entfernt», schreibt John Greenwood, Chefvolkswirt von Invesco in seinem aktuellen vierteljährlichen Wirtschaftsausblick.

Hin- und hergerissen zwischen dem Einbruch der Wirtschaftsleistung, sinkenden Umsätzen und Erträgen auf der einen und massiven geld- und fiskalpolitischen Anreizen auf der anderen Seite spiegeln die Aktienmärkte die aktuellen Schwierigkeiten der Konjunkturbeobachter wider. Der Chefvolkswirt von Invesco, John Greenwood, rechnet nicht mit einem baldigen Ende dieses Dilemmas, da die Regeln, die in «normalen» Rezessionen gelten, im aktuellen Abschwung ausser Kraft gesetzt zu sein scheinen.

Nach zehn Jahren exzessiver Verschuldung sehen sich Verbraucher wie auch Unternehmen gezwungen, zuerst Schulden abzubauen und ihre Bilanzen in Ordnung zu bringen, anstatt neue Schulden aufzuhäufen. Dadurch, so Greenwood, greifen die normalen fiskal- und geldpolitischen Multiplikatoren in dieser «Bilanzrezession» nicht. Im Bemühen um die Wiederherstellung des Vertrauens der Verbraucher und Unternehmen in die jeweilige Wirtschaft haben Regierungen in aller Welt unkonventionelle Massnahmen der geldpolitischen Lockerung («Quantitative Easing») ergriffen und Pläne für die Lösung des Problems der toxischen Papiere in den Bankbilanzen vorgelegt. Mit Kapitalspritzen und teilweisen oder temporären Verstaatlichungen können die Regierungen den Banken helfen, ihre Bilanzen zu reparieren – «sie können aber – abgesehen von einem universalen Schuldenerlass – wenig tun, um die Haushalte bei der Bilanzgesundung zu unterstützen», so Greenwood in seiner jüngsten vierteljährlichen Wirtschaftsprognose.

Aus diesem Grund geht der Chefvolkswirt von Invesco von einem im Vergleich mit «normaleren» Rezessionen der Nachkriegszeit langen und tiefen Abschwung aus. Seiner Meinung nach werden die meisten grossen Volkswirtschaften im Jahr 2009 negative Wachstumsraten verzeichnen oder bestenfalls stagnieren. Mit Blick auf das kommende Jahr hält er eine moderate Erholung für möglich, rechnet jedoch mit einer darüber hinaus andauernden Schwächephase. Vor dem Hintergrund der stark rückläufigen Rohstoffnachfrage, des Produktionsrückgangs und des geringeren Ertragswachstums geht Greenwood von kontinuierlich sinkenden Inflationsraten aus, die in einigen Ländern noch im Jahr 2009 in einer Deflation münden dürften.

Nach Einschätzung von John Greenwood hat sich der starke Rückgang der Wirtschaftsleistung in den USA, wo das reale BIP im vierten Quartal 2008 um annualisierte 6,2% einbrach, im ersten Quartal 2009 fortgesetzt. Nach etwas geringeren Schrumpfungsraten im zweiten und dritten Quartal hält er eine Rückkehr zu einem leicht positiven Wachstum im vierten Quartal für möglich. Laut seiner Prognose wird das US-BIP-Wachstum im Jahr 2010 bei 0,9% liegen. In der Eurozone rechnet Greenwood in diesem Jahr mit einem negativen BIP-Wachstum von -3,1%, gefolgt von einer Erholung auf +1,3% im Jahr 2010. Greenwoods Prognose für die britische Wirtschaft geht von einem negativen Wachstum von -3,0% im Jahr 2009 aus und sieht bis über das Jahr 2010 hinaus keine Anzeichen für eine Erholung.

Negatives BIP-Wachstum im ostasiatischen Raum

Greenwood glaubt nicht, dass die staatlichen Konjunkturprogramme die Auswirkungen des globalen Abschwungs auf die exportabhängigen asiatischen Volkswirtschaften abmildern können. Für das Jahr 2009 erwartet Greenwood im gesamten ostasiatischen Raum deutlich negative reale BIP-Wachstumsraten und eine stark rückläufige Teuerung. Einzig China und Indien werden seiner Meinung nach in diesem Jahr ein positives reales BIP-Wachstum verzeichnen. Derweil hat der aktuelle Abschwung die japanische Wirtschaft härter getroffen als fast alle anderen grossen globalen Volkswirtschaften, was vor allem an der starken Exportabhängigkeit des Landes, der bereits schwachen Binnenkonjunktur und der Aufwertung des Yen liegt. Greenwood zu Folge wird Japan «kaum eine eigenständige, nachhaltige Wachstumsdynamik entfalten, solange das Land so abhängig von der externen Nachfrage ist. »

Ausblick für Lateinamerika getrübt

Angesichts der stark rückläufigen Rohstoffpreise und der schwächeren Exportnachfrage ist Greenwoods Ausblick für Lateinamerika im Jahr 2009 ebenfalls eingetrübt. Obwohl die Region mit einer besseren Leistungsbilanz in diese Krise gegangen ist, haben die lateinamerikanischen Märkte unter erheblichen Portfolioabflüssen gelitten. Für das Jahr 2009 rechnet Greenwood mit schwächeren Wachstums- und Inflationsraten in dieser Region.

«Die Verwerfungen der globalen Kreditkrise in den vergangenen 18 Monaten zeigen, dass wir eine deutlich bessere Steuerung der globalen Geld- und Kreditzyklen brauchen», betont Greenwood. „Die nötigen geldpolitischen und regulatorischen Anpassungen werden jedoch derzeit gegenüber drastischen geld- und fiskalpolitischen Anreizprogrammen vernachlässigt, mit denen die akuten Auswirkungen der Krise bekämpft werden sollen.“ Greenwood zu Folge stellt sich jetzt vor allem die Frage, «ob die aggressiven Konjunkturprogramme die Volkswirtschaften wieder auf einen stabilen und nachhaltigen Wachstumspfad lenken können, ohne neue Probleme in Form von Inflations- und Abwertungsdruck zu schaffen.»

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