investrends.ch-Umfrage: Fed-Politik führt zu einer Stagflation

Der globale Konfliktcocktail produziert gleichzeitig Wachstums- und Inflationsrisiken. (Bild: Shutterstock.com/Dmitry Demidovich)
Der globale Konfliktcocktail produziert gleichzeitig Wachstums- und Inflationsrisiken. (Bild: Shutterstock.com/Dmitry Demidovich)

Die US-Notenbank hat zu einem Hochseilakt angesetzt, um die bedrohliche Inflation mit Zinserhöhungen zu bändigen und gleichzeitig die Wirtschaft nicht abzuwürgen. Welches wirtschaftliche Szenario ist zu erwarten? Eine klare Mehrheit der Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer geht davon aus, dass diese Operation in eine Stagflation in den USA mündet.

31.05.2022, 17:05 Uhr

Redaktion: rem

Die US-Notenbank Fed hatte ihren Leitzins auf der jüngsten Sitzung um 0,5 Prozentpunkte auf 0,75 bis 1,0% angehoben. Es war die zweite Erhöhung des Leitzinses seit Beginn der Corona-Pandemie – und der erste Anstieg um 0,5 Prozentpunkte seit 22 Jahren. Die Fed hatte seitdem ihre Zinsen immer nur um 0,25 Punkte angehoben. Und die US-Notenbank hat weitere grössere Zinserhöhungsschritte in Aussicht gestellt.

Die meisten Teilnehmer des geldpolitischen Ausschusses (FOMC) waren der Ansicht, dass eine "Erhöhung des Zinsniveaus um jeweils 0,50 Prozentpunkte bei den nächsten Sitzungen wahrscheinlich angemessen wäre", heisst es im kürzlich veröffentlichten Protokoll zur letzten Sitzung des FOMC am 3. bis 4. Mai.

Der Grund für das entschlossene Handeln ist die sehr hohe Inflation. Die Jahresrate hatte im April bei 8,3% gelegen. Angestrebt wird von der Fed eine Rate von 2%. Die Inflation wurde auch durch die Störung von Lieferketten und höhere Energiekosten angeheizt. Dazu trug der Krieg in der Ukraine und die Null-Covid-Politik in China bei.

Jetzt versucht die Fed, die stärkste Inflationsphase seit 40 Jahren zu bewältigen, ohne die Wirtschaft in eine Rezession zu treiben. Laut dem Protokoll könnte aber eine restriktive Geldpolitik notwendig werden. Diese hänge aber vom wirtschaftlichen Ausblick ab. Und eine restriktive Geldpolitik würde die Konjunktur dämpfen, um die Inflation zu verringern. Im Protokoll wird auf den Arbeitsmarkt verwiesen, wo das Angebot weiterhin grösser sei als die Nachfrage.

Wachstums- und Inflationsrisiken gleichzeitig

Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock sagt, nun komme im gegenwärtigen schwierigen Umfeld noch hinzu, dass der globale Konfliktcocktail Wachstums- und Inflationsrisiken gleichzeitig produziere. Diese stagflationäre Gemengelage vollziehe sich in den grossen Wirtschaftsblöcken der Welt zwar zeitgleich, aber in unterschiedlich ausgeprägtem Masse und interessanterweise aus völlig unterschiedlichen Gründen, so Lück. So ergäben sich Wachstumsängste in den USA vor allem aus der Befürchtung, die Fed könne die Zinsen bis zu einem Niveau anheben, bei dem die gesamtwirtschaftliche Nachfrage abgewürgt wird.

Yoram Lustig, Head of Multi-Asset Solutions, EMEA, bei T. Rowe Price meint, die galoppierende Inflation greife um sich und erweise sich hartnäckiger als erwartet. Das Ende der ultralockeren Geldpolitik und der grauenvolle Krieg in der Ukraine trübe das Klima an den Anlagemärkten und schüre Angst vor einer wirtschaftlichen Abschwächung. Selbst eine Rezession werde nicht ausgeschlossen und zunehmend als möglich erachtet.

Drei Einflussfaktoren geben Hinweise auf eine Rezession

Lustigs Antwort auf die Frage, ob die Furcht gerechtfertigt sei: "Wir haben drei Einflussfaktoren analysiert, die in der Vergangenheit glaubhafte Hinweise auf eine Rezession in den USA abgegeben und auch auf die übrige Welt ausgestrahlt haben: Ein steigender Ölpreis, Zinserhöhungen der US-Notenbank und eine invers gewordene US-Zinskurve, will heissen, die kurzen Sätze sind höher als die langen."

Fast jeder US-Rezession seit Mitte der 1970er Jahre sei ein kräftiger Ölpreisanstieg vorausgegangen, stellt er fest. Steige der Preis, schlage das auf die Inflation durch, zwinge die Notenbanken zu höheren Zinsen, was wiederum die Konjunktur bremse, ja sogar abwürgen könne. Seit 1976 folgte in fünf von sechs Fällen einem boomenden Ölpreis eine US-Rezession.

Zweitens würge eine Notenbank selbstverständlich nicht vorsätzlich einen Wirtschaftsaufschwung ab. Ziel sei eine weiche Landung, eine allmähliche Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit, die helfe, die Teuerung einzudämmen und gleichzeitig eine Überhitzung am Arbeitsmarkt abzukühlen. In Wirklichkeit ist nach Meinung des Experten ein Soft Landing aber schwer zu erreichen, nicht zuletzt, weil die Geldpolitik nur eine von vielen Faktoren sei, welche die Wirtschaft beeinflusst. Seine Beobachtung: Seit 1976 ist es der US-Notenbank Fed nur zweimal gelungen, die Teuerung ohne nachfolgende Rezession zu bändigen – 1983 und 1994.

Und drittens ist eine sich stark abflachende bis invers werdende Zinsstrukturkurve (Rendite 10-jähriger US-Treasuries minus der Rendite 2-jähriger Staatspapiere) der klassische Vorbote einer Rezession in den USA, wie der Head of Multi-Asset Solutions weiter erklärt. Wenn die US-Notenbank die (kurzen) Zinsen aggressiv erhöht, mildert das zwar die Teuerungsgefahr, steigert aber im Umkehrschluss die Gefahr eines Wirtschaftseinbruchs. "Eine inverse Zinsstrukturkurve gibt aber nicht nur die Markterwartungen wieder – sie kann auch ganz real zu einer Rezession beitragen. Banken müssen für die kurzfristige Geldaufnahme mehr bezahlen als sie für die langfristige Ausleihe einnehmen. Das schmälert das Kreditwachstum und schadet wiederum der Wirtschaft", so Lustig. In allen der sechs US-Rezessionen seit 1976 habe sich eine inverse Zinsstruktur als verlässliches Warnsignal erwiesen.

In der investrends.ch-Umfrage, die danach fragt, welches wirtschaftliche Szenario in den USA im Zeitraum bis Ende 2023 zu erwarten sein wird, votierten 28,8% für eine Rezession (Abschwung). Eine klare Mehrheit von 47,5% erwartet, dass die USA auf eine Stagflation (Stagnation und Inflation) zusteuert und gerade mal 23,7% glauben, dass die Vereinigten Staaten trotz der massiven geldpolitischen Massnahmen ein moderates BIP-Wachstum halten können.

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