RNA-basierte Arzneien: "Moderna war erst der Anfang"

Den kommerziellen Durchbruch schaffte die mRNA-Technologie mit der Entwicklung und Marktzulassung von COVID-19-Impfstoffen. (Bild: Shutterstock.com/Viacheslav Lopatin)
Den kommerziellen Durchbruch schaffte die mRNA-Technologie mit der Entwicklung und Marktzulassung von COVID-19-Impfstoffen. (Bild: Shutterstock.com/Viacheslav Lopatin)

RNA-basierte Arzneien werden in den nächsten Jahren die gentherapeutische Behandlung von immer mehr Krankheiten revolutionieren. Das Einsatzspektrum werde auf Krankheiten erweitert, von denen eine grössere Patientenzahl betroffen ist. "Im Erfolgsfall erzielen innovative Produkte Milliardeneinnahmen", sagt Daniel Koller von BB Biotech.

31.08.2022, 14:31 Uhr

Redaktion: hf

Für die Aktie von BB Biotechs Portfoliogesellschaft Alnylam war es der grösste Kurssprung seit dem Börsengang im Juni 2004. Der Börsenwert schnellte um 60% auf eine neue Rekordmarke hoch als Reaktion auf die Bekanntgabe von vielversprechenden klinischen Resultaten.

"Es handelt sich um eine zulassungsrelevante Studie mit dem Wirkstoff Patisiran für die Behandlung von Patienten, die an ATTR Amyloidose mit Kardiomyopathie leiden", erklärt Daniel Koller, Leiter des Investment-Teams der Beteiligungsgesellschaft BB Biotech von Bellevue Asset Management. "Bei dieser seltenen genetischen Erkrankung führt die Ansammlung von sich krankhaft veränderten Amyloidproteinen zu irreparablen Schäden in Organen und Geweben wie im Herz und im Nervensystem. Die Lebenserwartung eines Patienten vom Zeitpunkt der Diagnose liegt im Schnitt bei unter fünf Jahren."

Kursrakete Alnylam

Alnylam plant, nach der Präsentation der detaillierten Daten auf einer Fachkonferenz im September den Zulassungsantrag bis zum Jahresende in dieser Indikation einzureichen.

Die Euphorie der Finanzmärkte nährt sich aus der Erwartung, erläutert Koller, dass Patisiran in dieser Indikation jährliche Spitzenumsätze im Milliardenbereich erzielen könne. Patisiran ist seit vier Jahren unter dem Produktnamen Onpattro bereits zur Behandlung von ATTR Amyloidose mit Polyneuropathie zugelassen. 2021 erzielte das Unternehmen damit einen Umsatz von 475 Mio. US-Dollar. Während an dieser Krankheit weltweit 50'000 Menschen leiden, könnte Onpattro als Therapie gegen ATTR Amyloidose mit Kardiomyopathie für 300'000 Patienten in Frage kommen.

Worum es geht

"Aktuell gilt Alnylam innerhalb der Biotechbranche als einer der aussichtsreichsten Übernahmekandidaten", betont Daniel Koller. Die Gesellschaft hat vier zugelassene Produkte auf dem Markt und wird bis 2023 wichtige klinische Daten bei fünf klinischen Kandidaten präsentieren, darunter Phase-III-Daten für Fitusiran. Dieses Präparat wird zusammen mit dem Pharmakonzern Sanofi zur Behandlung von Hämophilie entwickelt.

Der aus Käufersicht grösste Wert ergebe sich jedoch daraus, dass Alnylam Vorreiter und führendes Unternehmen in der sogenannten Small Interfering RNA (siRNA)-Technologie sei. Bei diesem therapeutischen Ansatz werden doppelsträngige RNA-Moleküle benutzt, um die Funktion von spezifischen Proteinen stillzulegen, die als Auslöser von bestimmten Krankheiten identifiziert wurden. "Vereinfacht ausgedrückt wird die Boten-RNA (mRNA), also die genetische Vorstufe, die krankheitsauslösende Proteine codiert, wirksam abgeschaltet und so die Herstellung dieser Proteine verhindert."

Die RNAi (RNA-Interferenz) ist ein natürlicher zellulärer Prozess der Genabschaltung. siRNA ist ein Teilbereich davon. Bei der Antisense-Technologie wiederum werden einzelsträngige kurzkettige Nukleinsäuren, sogenannte Antisense-Oligonukleotide, verwendet, um krankheitsrelevante Proteine zu identifizieren und auszuschalten.

Durchbruch mit Covid-19-Impfung

Zu den Pionieren zählt auf diesem Gebiet die US-Biotechfirma Ionis Pharma – wie Koller erklärt, ausführt, seit Jahren eine Kernbeteiligung im Portfolio von BB Biotech. Beim Einsatz der sogenannten Boten-RNA, kurz mRNA, geht es im Gegensatz darum, gewisse Proteine gezielt zu produzieren.

Den grossen kommerziellen Durchbruch schaffte die mRNA-Technologie mit der Entwicklung und Marktzulassung von COVID-19-Impfstoffen im Zeitraum von weniger als einem Jahr. Dabei wird das Immunsystem darauf trainiert, virale Proteine zu erkennen und körpereigene Schutzmassnahmen einzuleiten. Die zwei von Moderna und Pfizer/Biontech entwickelten COVID-19-Vakzine haben sich als die führenden Impfstoffe bei der Eindämmung der Corona-Pandemie etabliert.

BB Biotech habe bereits frühzeitig das medizinische Potenzial der RNA-Technologien erkannt, betont der Chef des Investmentmanagements. Vier Firmen mit RNA-Fokus, darunter die Kernbeteiligungen Moderna und Ionis, stellen aktuell rund 25% des Beteiligungsportfolios dar. Die teils zweistelligen Kursgewinne der Titel dieser Unternehmen als Reaktion auf den Durchbruch bei Alnylam verhalfen auch der Aktie von BB Biotech zu einem Kursgewinn von 10% in diesem Zeitraum.

RNA-Technologie tritt in neue Phase

Ausser Alnylam verzeichnete die Beteiligung Wave Life Sciences Kursgewinne von 50%. Auslöser dafür war die Ankündigung, im nächsten Jahr mit den klinischen Studien für einen Wirkstoff im Verfahren der Genomeditierung zu beginnen.

Auf Sicht der nächsten Jahre erwartet BB Biotech bei den RNA-basierten Arzneien den Übergang in eine neue Marktphase. Immer vorausgesetzt, dass sich die Erfolge in klinischen Spätphasen fortsetzen, werde sich das Einsatzspektrum auf Krankheiten erweitern, von denen eine grössere Patientenzahl betroffen ist. Dazu zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen, Krebs oder Organfibrosen. "Im Erfolgsfall erzielen innovative Produkte Milliardeneinnahmen", ist Daniel Koller überzeugt.

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