13.09.2021, 14:55 Uhr
Die Offenlegung von ESG-Informationen der chinesischen Unternehmen ist häufig unzureichend – gerade was die sozialen Aspekte betrifft. Das muss aber nicht heissen, dass keine soliden Prozesse und Massnahmen...
Der legendäre Johan Cruyff, einer der erfolgreichsten Fussballer des letzten Jahrhunderts, hat überaus überzeugende Strategien und Techniken im Sport angewandt. Erfahren Sie hier von Ben Ritchie, Head of European Equities, Aberdeen Standard Investments, was das mit guten Investments zu tun hat.
"Fussball spielen ist sehr simpel, aber simplen Fussball zu spielen, ist das Schwierigste überhaupt", sagte Johan Cruyff einmal. Das Pendant dazu aus der Finanzwelt stammt von einem der erfolgreichsten Investoren aller Zeiten, Warren Buffett:«Investieren ist simpel, aber nicht einfach."
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht ersichtlich sein mag, haben der "Weise von Omaha" und "El Salvador" (der Erlöser), so wie ihn seine Fans nannten, laut Ben Ritchie vieles gemeinsam – Integrität, Authentizität und eine lange Liste von Erfolgen. Buffett‘s Aussprüche werden vielen Anlegern geläufig sein. Hier soll es kurz vor der Fußball-Europameisterschaft um Johan Cruyff’s Strategien gehen. Schliesslich genoss er nicht nur als aktiver Spieler auf dem Platz den Ruf eines Fussballgotts. Sein Verdienst war es ausserdem, dass er FC Barcelona zu einer der Top-Adressen im europäischen Vereinsfussball machte.
Jeder erfolgreiche Trainer muss die richtigen Grundlagen schaffen. Eine von Cruyffs grössten Leistungen beim FC Barcelona war, dass er die Trainingsakademie und die Nachwuchsarbeit des Vereins radikal erneuerte, so der Investmentexperte. Unter seiner Leitung änderte der Verein seinen Ansatz: Anstatt Spieler aufgrund ihrer Größe und Physis auszuwählen, standen fortan die technischen Fähigkeiten im Vordergrund. Lionel Messi ist ein Produkt dieses Wandels, und dies legte den Grundstein für den flexiblen, variablen Offensivfussball, der die folgenden 30 Jahre prägte, meint Ritchie. Auf ähnliche Weise schaffen nach Ansicht von Ritchie Vermögensverwalter Grundlagen, die es ihnen ermöglichen, bei unterschiedlichsten Marktzyklen gute Ergebnisse zu erzielen. Das technische Grundgerüst sollte aus robusten Anlageprozessen und einem wirksamen Risikorahmen bestehen. Auf dieser Basis können gute Anlageideen entstehen und Talente gefördert werden.
In der Vermögensverwaltung – wie im Fussball – werden die Beurteilungszeiträume von Jahr zu Jahr kürzer. Die Märkte sind immer besessener von den Gewinnen des nächsten Quartals. Der Fokus hat sich von langfristigem Wachstum auf kurzfristige Erträge verschoben. Eine solche kurzfristige Handlungsweise stehe dem Investmenterfolg häufig im Wege, weiss Ritchie. Es habe sich immer wieder gezeigt, dass eine langfristige Herangehensweise oft erfolgreicher sei. Ritchie zieht auch hier die Parallele zu Johan Cruyff, der das offenbar ähnlich sah. Sein FC Barcelona wurde dreimal hintereinander (1991 bis 1993) mit weitgehend derselben Mannschaft spanischer Meister. Er wurde nicht hektisch und tätigte keine Panikkäufe, als die Dinge nicht gut liefen, und verpflichtete auch keine sogenannten "Jahrhunderttalente» nach nur einem guten Spiel. Was Vermögensverwalter daraus lernen können? Die Fähigkeit, sich selbst treu zu bleiben, zahle sich aus und zeuge von besonderem Können, so Ritchie.
Ein weiterer Aspekt eines erfolgreichen Managements ist die Bereitschaft, konträre Ansichten und Meinungen zu entwickeln, Risiken mit Augenmass einzugehen und Dinge zu tun, die der Konkurrenz möglicherweise abwegig erscheinen. Dies kann in der Finanzwelt laut Ritchie bedeuten, stark von der Benchmark abzuweichen oder die eigenen besten Ideen mit reichlich Kapital umzusetzen. Mitunter erfordere dies auch Mut, um etwas, das der Markt als "Signal» bewertet, als "Lärm» einzustufen.
Johan Cruyff würde das wohl auch so sehen, davon ist Ritchie überzeugt. Als das 4-4-2 im Fussball praktisch das Mass aller Dinge war, stellte er auf 3-4-3 um – eine Aufstellung, die eher auf Offensive als auf Defensive ausgerichtet war. Englands verlässlichen Torjäger Gary Lineker stellte er zudem auf der Außenbahn auf. Die Fachwelt schrie auf – der Entschluss erschien lächerlich. Doch die Ergebnisse sprachen für sich: Schliesslich bereitete Lineker so das erste Tor im Finale des Europapokals der Pokalsieger 1989 vor.
Europa sei ein tiefer und vielfältiger Markt. Er biete ein breites Spektrum von strukturellen Themen, die von der Vorreiterrolle beim "verantwortungsbewussten Kapitalismus" und beim Thema ESG bis hin zur Digitalisierung der Industrie reichen. Mit Blick auf das alte Narrativ, dass Europa ein günstiger Markt sei, der vor strukturellen Herausforderungen stehe, wende sich das Blatt nun, weiss Ritchie. Aktive Vermögensverwalter sollten die Möglichkeit nutzen, sich die Rosinen, also die guten Unternehmen des Kontinents, herauszupicken. Das wahre Können bestehe jedoch darin, sie zu einem schlüssigen, schlagkräftigen Ganzen zusammenzufügen, wie eben ein gutes Fussballteam.
Doch man könne Cruyff auch widersprechen. Denn er vermied es, seine Verteidiger und Torhüter zu trainieren – einer seiner berühmten Aussprüche war, dass er lieber 5:4 als 1:0 gewinnt. Für Zuschauer mag dies zwar unterhaltsam sein, doch für viele Anleger dürfte dies nervenaufreibend sein. Denn robuste, zuverlässige Anlagen sollten den Kern eines Portfolios bilden. Das kann mitunter bedeuten, dass man in Unternehmen mit eher wenig Wachstumspotenzial, aber auch weniger volatilen Erträgen investiert. Sicher, übertragen auf den Fussball, sind von solchen "Spielern» nicht viele Tore zu erwarten, doch sie werden wohl auch nicht viele Gegentore zulassen. Basiskonsumgüterwerte wie Nestlé oder qualitativ hochwertige Pharmaunternehmen wie Novo Nordisk passen laut des Investmentexperten in dieses Profil.
Diese defensiven Positionen könne man durch ein Mittelfeld aus kreativen, innovativen Akteuren ergänzen. Von denen hat nach Ritchie Europa viele zu bieten. Zum Beispiel das dänische Unternehmen Ørsted, einen Betreiber von Offshore-Windparks, oder Knorr-Bremse, ein Anbieter von umweltfreundlichen Technologien für den Verkehrssektor. Dassault und Nemetschek wiederum sind aktiv in der Digitalisierung der Industrie. Die Liste liesse sich beliebig fortführen.
Nun zum Stürmer. Eine Position mit veränderlichem Profil, die häufig missverstanden wird. Voraussetzungen für den Erfolg seien hierbei Vielseitigkeit und ein guter Torriecher. Gute Beispiele seien Spaniens Fernando Torres oder aktuell Polens Robert Lewandowski. Auch hier zieht Ritchie Parallelen. In Europa gebe es viele Unternehmen mit ähnlichen Eigenschaften: Sie seien noch ziemlich jung, aber wachstumsstark und jagen ihren grossen Rivalen Marktanteile ab. Beispiele hierfür seien im Technologiesektor zu finden, darunter Adyen, ein Anbieter von digitalen Zahlungslösungen für Unternehmen, oder auch Prosus, eine Beteiligungsgesellschaft, die in Internet-Unternehmen investiert.
So könne ein Portfolio nach Art von Johan Cruyff aussehen. So kurz vor Beginn des Turniers sollte man ihn zum Schluss vielleicht noch einmal zu Wort kommen lassen: "Technik bedeutet nicht, den Ball tausendmal hochhalten zu können. Dann kannst Du zum Zirkus gehen. Technik bedeutet, mit einer Berührung zu passen, mit dem richtigen Tempo, in den richtigen Fuss Deines Mitspielers." Die richtige Balance eben.