13.09.2021, 14:55 Uhr
Die Offenlegung von ESG-Informationen der chinesischen Unternehmen ist häufig unzureichend – gerade was die sozialen Aspekte betrifft. Das muss aber nicht heissen, dass keine soliden Prozesse und Massnahmen...
Mit dem neuen Rekordhoch bei Chinas inländischem Reiseverkehr anlässlich der Feiertage im Mai dürfte das Anlegervertrauen in das Wachstumspotenzial des Reichs der Mitte zurückgekehrt sein. Nicholas Yeo, Head of Equities bei Aberdeen Standard Investments erklärt, was man jetzt als Investor über China wissen sollte.
China hat uns kürzlich eindrucksvoll gezeigt, wie sich die Welt nach der Pandemie gestalten könnte. Die rekordhohen Besucherzahlen und Umsätze während der landesweiten Feiertage Anfang Mai sprechen Bände: 230 Mio. Chinesen begaben sich auf Inlandsreisen – dies ist mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung der Europäischen Union. 44 Mio. chinesische Touristen strömten wieder in die Kinos und verhalfen den heimischen Kinokassen zu einem Erlös von insgesamt 263 Mio. USD.
Zu den zehn beliebtesten Reisezielen zählten der Shanghai Disneyland Park, die Gärten des Neuen Sommerpalastes in Peking sowie das Zuchtzentrum für Pandas in Sichuan. Laut Yeo blieb der Gesamtumsatz von 2021 zwar 23% hinter demjenigen von 2019 zurück, dies sei jedoch zum grossen Teil auf verschiedene Reisevergünstigungen zurückzuführen, um den Umsatz wieder anzukurbeln. Der diesjährige Umsatz stelle mit 17 Mrd. USD eine enorme Verbesserung zum Pandemiejahr 2020 dar. Daher dürften die positiven Zahlen aus dem Tourismusgeschäft ein Barometer für die künftige Wirtschaft sein. Sie sollten wesentlich dazu beitragen, das Vertrauen in die chinesische Wirtschaft nach dem Unterbruch im Frühling wiederherzustellen, so der Investmentexperte.
Die Rückkehr zu einer gewissen Normalität mit Ausnahme des Auslandsreiseverkehrs ist kein Zufall. Wie Yeo ausführt, hatten die Behörden dem Wachstum im Tourismusbereich durch die Intensivierung der Impfbemühungen und die Aufhebung der Reisebeschränkungen im Inland Ende März den Weg geebnet. So sollten bis Juli 40% und bis September zwei Drittel der Bevölkerung Chinas geimpft sein. Das Reich der Mitte habe daher auch den Ausblick für Konsum und Unternehmensgewinne angehoben. Dies stehe in deutlichem Kontrast zur Situation vor wenigen Monaten, als die Behörden die Bürger infolge eines sprunghaften Anstiegs der Covid-19-Infektionszahlen dazu angehalten hatten, während des chinesischen Neujahrsfestes im Februar von Reisen abzusehen.
In diesem Zeitraum kam es zu einer deutlichen Korrektur am Aktienmarkt, da die chinesische Zentralbank als Reaktion auf die Konjunkturerholung von einer lockeren auf eine neutrale Geldpolitik umschwenkte. Die Nutzung konventioneller geldpolitischer Instrumente zur Verringerung der Marktliquidität zum damaligen Zeitpunkt stelle jedoch keine Straffung per se dar, sondern diene dazu, die Geldpolitik wieder etwas neutraler auszurichten. China verfolge nach wie vor eine orthodoxe Geldpolitik – sie fokussiere sich im Gegensatz zu den Industrieländern eher auf die Zinspolitik, weiss Yeo.
Seit Mitte April steigen die Aktienkurse zahlreicher Qualitäts-Konsumgüterunternehmen allmählich wieder. Ermutigend für Anleger sei dabei laut Yeo, dass eine Reihe von Qualitätstiteln nach wie vor um 15-25% günstiger bewertet sei als vor dem chinesischen Neujahrsfest, während sich die Fundamentalfaktoren weitgehend unverändert gestalten. Mit Blick auf die Zukunft spreche vieles für einen positiven Ausblick am Markt für chinesische A-Aktien. So dürfte die Wirtschaft des Landes in diesem Jahr um mehr als 9% wachsen.
Positiv zu bewerten sei auch, dass chinesische Unternehmen den Schwerpunkt auf die Entschuldung legen und versuchen, das finanzielle Risiko zu mindern. Dies stehe im Gegensatz zu zahlreichen im S&P 500 vertretenen Unternehmen, die eher Aktienrückkäufe tätigen würden, die wiederum oftmals durch günstige Kredite finanziert würden. Darüber hinaus seien chinesische A-Aktien auf Basis des Kurs-Buchwert- sowie des Kurs-Gewinn-Verhältnisses mittlerweile beinahe 50% bzw. über 30% günstiger bewertet als S&P-500-Titel.
Zudem überzeuge die strukturelle Wachstumsstory Chinas, so Yeo. Die Urbanisierung und der wachsende Wohlstand der Mittelschicht sollte die Nachfrage nach Premiumgütern und -dienstleistungen langfristig weiter ankurbeln. Branchen wie Gesundheit, Vermögensverwaltung, Versicherungen und Luxusgüter dürften von dieser Entwicklung auch zukünftig profitieren.
Gute Aussichten gebe es auch für die Bereiche Cloud Computing, 5G, Gaming und Lieferdienste, die aufgrund der sich wandelnden Arbeits- und Konsummuster wachsen. Das Gleiche gelte auch für erneuerbare Energien, die von den Massnahmen der Regierung profitieren sollten, meint der Investmentexperte.
Investmentmöglichkeiten gebe es in verschiedenen Branchen. Diese reichen von so unterschiedlichen Firmen wie Autozulieferern und Gewürzproduzenten bis hin zu Herstellern im Bereich erneuerbare Energien und Batterien. Nach Ansicht von Yeo würden Anleger gut daran tun, sich auf Branchenführer mit Wettbewerbsvorteilen zu konzentrieren.
Allerdings sollten Investoren ein besonderes Augenmerk auf die regulatorische Entwicklung in China legen. Nachdem die chinesischen Behörden die Pandemie unter Kontrolle gebracht haben, fokussieren sie sich nun auf das nachhaltige Wachstum der Wirtschaft. Die Behörden nehmen daher verstärkt Branchen unter die Lupe, die schnell gewachsen sind, aber bei denen es aber noch an adäquater Überwachung mangelt. So wurde zum Beispiel jüngst monopolistischen Tendenzen im Bereich Finanztechnologie entgegengewirkt. Betroffene Unternehmen würden dann vorübergehend unter Wert gehandelt. Dies eröffne laut Yeo interessante Einstiegsmöglichkeiten für Investoren.
Es gibt also genug Gründe für Anleger, China wieder positiv einzuschätzen, vorausgesetzt, man geht differenziert vor.