"Börsen sind kurzfristig emotional, langfristig rational"

Anleger entscheiden zuweilen zu emotional über Kauf oder Verkauf von Aktien. (Bild: Shutterstock.com/Rawpixel)
Anleger entscheiden zuweilen zu emotional über Kauf oder Verkauf von Aktien. (Bild: Shutterstock.com/Rawpixel)

Kurzfristig werden die Börsen durch Emotionen getrieben, langfristig sind sie aber ein gutes Abbild der wirtschaftlichen Zyklen. Thomas Stucki von der St.Galler Kantonalbank kommentiert, wie dies in den letzten Wochen und Monaten ausgeprägt zu beobachten war.

25.11.2020, 15:58 Uhr

Redaktion: rem

"Die Anlegerinnen und Anleger sind seltsame Geschöpfe. Getrieben durch Ängste und Hoffnungen treffen sie ihre Entscheidungen über Kauf oder Verkauf. Begründet werden diese Entscheidungen aber mit fundamentalen Analysen und Prognosen über den Lauf der Wirtschaft und der Unternehmen, die oft durch neue Informationen über den Haufen geworfen werden. Ihnen ein unvernünftiges Handeln zu unterstellen, wäre aber zu einfach", sagt Thomas Stucki, der CIO der St. Galler Kantonalbank.

Als ein gutes Beispiel für die kurzfristige Emotionalität im Handeln der Investoren betrachtet Stucki die Börsenreaktion auf die Meldung von Pfizer und Biontech über die hohe Wirksamkeit ihres Corona-Impfstoffs. Die Kurse an der Börse sind in die Höhe geschnellt, als sei die Corona-Pandemie vorbei. Dabei muss der Impfstoff zuerst zugelassen, produziert und die Impfung organisiert werden; und der Impfstoff muss seine Wirksamkeit in der Breite erst noch beweisen. "Bis genügend Leute geimpft sind, um zur Normalität zurückzukehren, wird es mindestens wieder Sommer", meint er.

Ausschläge bei einzelnen Aktien

Besonders gesucht waren Aktien aus der Reisebranche wie der Online-Anbieter Expedia, der 24% zulegte. Dabei werde es noch lange dauern, bis die Reisetätigkeit wieder das Niveau von vor der Corona-Krise erreichen wird, so Stucki. Verkauft wurden dagegen die Aktien von Zoom, die 17% verloren. Dabei werden die Leute morgen noch nicht physisch an Sitzungen und Veranstaltungen teilnehmen. Umgekehrt war es Ende Oktober, als viele europäische Länder als Reaktion auf die zweite Corona-Welle neue Lockdowns anordneten. Die Angst vor einem erneuten wirtschaftlichen Einbruch wie im April und Mai liess die Aktienkurse in den Keller purzeln.

Besonders unter die Räder gerieten die Aktien der deutschen Automobilhersteller. Die Aktie von Volkswagen verlor in dieser Woche 10%, die Aktie von BMW 8%. "Dabei hängt das Gedeihen der Autofirmen nicht von den Verkäufen eines Monats ab. Zudem beschränken sich die aktuellen Lockdowns vor allem auf Europa. In Nordamerika und in Asien gibt es nur lokale Einschränkungen und in dem für die hochpreisigen Autos wichtigen Markt in China nimmt die Konsumneigung wieder spürbar zu", kommentiert der CIO der St. Galler Kantonalbank die Reaktionen der Anleger.

Der Trend ist dein Freund

Wie Stucki weiter ausführt, überlagern die kurzfristigen Marktbewegungen den mittel- und langfristigen Trend an den Börsen. Dass die Börsenindizes trotz wirtschaftlichem Corona-Einbruch wieder auf den Niveaus von Anfang Jahr sind, mache Sinn. Die Weltwirtschaft werde sich in den nächsten Jahren erholen, unterstützt von einer über Jahre anhaltenden expansiven Geldpolitik der Zentralbanken und einem lockeren Ausgabeverhalten der staatlichen Organe. Davon würden nicht alle Firmen und Sektoren gleich profitieren. Die Wirtschaft als Ganzes werde aber solide wachsen. Die Gewinne der Unternehmen und damit auch die Dividenden werden wieder sprudeln.

"Wie sollen sich die Anlegerinnen und Anleger angesichts dieser Spannung zwischen Emotionalität und Rationalität verhalten", fragt Stucki und fügt die Antwort an: "Man darf das erste nicht ignorieren, muss sich aber am zweiten orientieren. Das bedeutet, dass der gut diversifizierte Kern eines Aktienportfolios möglichst unangetastet bleibt und über die Höhen und Tiefen der Kursschwankungen gehalten werden soll. Kurzfristige emotionale Ausbrüche kann man dazu nutzen, mit einem Teil des Portfolios opportunistisch zu reagieren. Starke Kurseinbrüche können zu Zukäufen genutzt werden. Bei ausserordentlichen Kursausschlägen nach oben kann ein Teil des Gewinnes abgeschöpft werden. Diese Strategie hat sich in diesem Jahr bestens bewährt."

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