Wenn Social Media die Aktienmärkte verändert

Soziale Medien verändern auch das Anlegerverhalten von professionellen Anlegern (Bild: Shutterstock / PeopleImages)
Soziale Medien verändern auch das Anlegerverhalten von professionellen Anlegern (Bild: Shutterstock / PeopleImages)

Die Zeiten, in denen Aktienkurse ausschliesslich von Bilanzen und Gewinnprognosen bestimmt wurden, scheinen vorbei. Soziale Medien, Trading-Apps und Finfluencer haben eine neue Dynamik geschaffen, die fundamental orientierte Investoren vor erhebliche Herausforderungen stellt.

17.12.2025, 08:14 Uhr

Redaktion: asc

Der Fall GameStop im Jahr 2021 gilt als Paradebeispiel: Innerhalb weniger Tage schoss der Kurs um mehr als 1'000 Prozent in die Höhe – ohne dass sich am Geschäftsmodell des Unternehmens irgendetwas geändert hätte. Privatanleger, koordiniert über Plattformen wie Reddit und ausgestattet mit provisionsfreien Trading-Apps, lösten einen Kaufrausch aus, der die Märkte wochenlang verzerrte. 2024 wiederholte sich das Szenario: Ein einziger Beitrag des unter dem Namen «Roaring Kitty» bekannten Traders genügte, um die Kurse von GameStop und AMC erneut in die Höhe zu treiben und mehrere Handelsunterbrechungen auszulösen.

Finfluencer als neue Marktmacht

Eine zentrale Rolle in dieser neuen Börsenwelt spielen sogenannte Finfluencer – Finanz-Influencer, die auf Plattformen wie YouTube, TikTok, Instagram oder Reddit Anlageempfehlungen und Marktkommentare verbreiten. Mit teilweise Millionen von Followern können einzelne Persönlichkeiten erheblichen Einfluss auf Kursbewegungen ausüben. Der Fall «Roaring Kitty» zeigt exemplarisch, wie ein einzelner Finfluencer mit einem Beitrag ganze Märkte in Bewegung setzen kann. Diese neuen Meinungsführer erreichen insbesondere junge Privatanleger, die ihre Anlageentscheidungen zunehmend auf Basis von Social-Media-Inhalten treffen – oft ohne traditionelle Finanzberatung oder vertiefte Fundamentalanalyse.

Eine neue Realität für Investoren

David Goodman, Fondsmanager im Global-Equities-Team bei Liontrust, sieht darin einen fundamentalen Wandel. «Der durch soziale Medien getriebene Aktienkauf ist mittlerweile eine Kraft, die die Performance eines fundamentalen Anlegers erheblich beeinflussen kann», erklärt er. Besonders problematisch sei dies für Investoren ohne klaren Prozess, mit dieser Dynamik umzugehen. Goodman erinnert dabei an eine alte Börsenweisheit: «Wie Keynes warnte, kann der Markt länger irrational bleiben, als Anleger zahlungsfähig bleiben können. Im Zeitalter der sozialen Medien ist das aktueller denn je.»

Die Mechanik dahinter hat sich in den vergangenen Jahren verfestigt: Ein viraler Beitrag auf Reddit oder TikTok erreicht binnen Minuten Millionen potenzieller Käufer. Optionsgeschäfte und das Eindecken von Leerverkäufen verstärken die Kursbewegungen zusätzlich. Bemerkenswert ist laut Goodman, dass auch professionelle Anleger ihre Strategie angepasst haben: Statt sich von spekulativen Rallys fernzuhalten, surfen viele nun bewusst auf der Welle mit. Dies verlängere die Aufschwünge – und erhöhe die Kosten für jene, die an der Seitenlinie verharren.

Das Dilemma der Fundamentalanalyse

Traditionell bewerten Investoren Aktien anhand künftiger Cashflows. Dieser Ansatz bleibt wichtig, ist aber nicht mehr allein massgeblich. Eine 2021 in der Fachzeitschrift «Economics Letters» veröffentlichte Studie kam zu dem Schluss, dass Meme-Perioden anhaltende Preis- und Volumeneffekte zeigen, die mit dem Hype in sozialen Medien zusammenhängen. Rallys dauern oft weit über den anfänglichen Anstieg hinaus an.

Die Konsequenzen reichen über einzelne Titel hinaus: Wenn stark gehandelte Meme-Aktien in Indizes enthalten sind, treiben ihre überhöhten Kurse die Vergleichsmassstäbe nach oben. Anleger, die solche Titel meiden, riskieren eine unterdurchschnittliche Performance – selbst wenn ihre fundamentale Analyse korrekt ist.

Die Verbindung zweier Welten

Goodman plädiert für einen integrierten Ansatz. «Fundamentaldaten zeigen, was ein Unternehmen wert ist. Technische Faktoren bestätigen, ob der Markt dieser Einschätzung zustimmt», führt er aus. «Das eine ohne das andere ist unvollständig.» Dabei gehe es bei der technischen Analyse nicht darum, die Zukunft vorherzusagen, sondern die Gegenwart zu messen: Trends, Momentum und Marktbeteiligung zeigten, wie der Markt aktuell abstimme.

Für aktive Vermögensverwalter ergeben sich daraus sowohl Risiken als auch Chancen. Wer ausschliesslich auf die Rückkehr der Kurse zu fundamentalen Werten wartet, muss unter Umständen zusehen, wie überhöhte Bewertungen Wochen, Monate oder gar Jahre Bestand haben. Andererseits schaffen die Rallys Liquidität, um Positionen bei Stärke abzubauen.

«Die Antwort liegt nicht in der Vorhersage, sondern im Prozess», fasst Goodman zusammen. Meme-Aktien seien keine vorübergehende Erscheinung, sondern spiegelten dauerhafte Veränderungen in der Informationsverbreitung und im Anlegerverhalten wider. Erfolgreich seien letztlich jene Investoren, die einem wiederholbaren Prozess folgten – einem Prozess, der misst, steuert und sich anpasst, sobald sich eine enstsprechende Dynamik entwickelt.

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