Weshalb politische Börsen kurze Beine haben

US-Notenbankchef Jerome Powell ist für die Börse wichtiger als der US-Präsident. (Bild: Wikipedia)
US-Notenbankchef Jerome Powell ist für die Börse wichtiger als der US-Präsident. (Bild: Wikipedia)

Verständlich, dass sich Anleger nach einer spektakulären Wahl Gedanken über die Folgen für ihr Portfolio machen. Der deutsche Fondsriese DWS warnt vor überstürztem Handeln: "Wir würden davon abraten, langfristige Investitionen auf die Ergebnisse und Geschehnisse im unmittelbaren Umfeld einer Wahl zu stützen."

10.11.2020, 16:50 Uhr

Redaktion: hf

Auch nach dem Wahlsiegs Joe Bidens bleibt vieles in der Schwebe, hält DWS-Chefanlagestratege Stefan Kreuzkamp fest. Als Punkt eins seiner Strategieeinschätzung nennet er: Wie wird Bidens Kabinett aussehen? Auf welche Parteiflügel wird er wie stark Rücksicht nehmen oder nehmen müssen? Welche Prioritäten und Realisierungschancen haben seine Vorhaben? Eine Menge Fragen. Zwar hat der zukünftige US-Präsident seine vier Kernthemen bereits genannt: Kampf gegen Covid-19, Belebung der Wirtschaft, Klimawandel und Gleichstellung der Rassen. Doch welche wirtschaftsrelevanten Konsequenzen sich daraus ergeben, muss sich erst noch zeigen.

Punkt zwei: Inwieweit beeinflussen politische Prioritäten überhaupt wirtschaftliche Kernzahlen? Wirkt sich, auf der makroökonomischen Ebene, ein massives Stimulusprogramm positiv auf den Dollar aus, da sich die Wachstumsaussichten verbessern? Oder negativ, da die höhere Staatsverschuldung im Vordergrund steht? Und auf mikroökonomischer Ebene stellt sich die Frage, inwieweit sich die Ertragsaussichten einzelner Sektoren durch politische Bevorzugung überhaupt verbessern.

Was politisch favorisiert wird, muss nicht erfolgreich sein

Nehmen wir die letzte Wahl, spinnt Kreuzkamp den Faden weiter: Die 2016 von Trump favorisierten Sektoren Stahl, Öl, Kohle oder Hotels und Immobilien haben sich sogar überwiegend schlechter als die Gesamtwirtschaft geschlagen. "Letztlich sind politische Rahmenbedingungen nur ein Faktor von vielen, welche die Wirtschaftsperspektiven einer Branche bestimmen, ja, vielleicht ein kleinerer als man denkt. Trumps breit angelegte Senkung der Unternehmensgewinne stellt da sicherlich eine Ausnahme dar.

Was ihn zu Punkt drei bringt: Wenn die Politik nur einer von vielen Faktoren für die Gewinnaussichten der Unternehmen ist, dann gelte sie erst recht für die Bewertung an der Börse. Trumps Unterstützung der Ölwirtschaft beispielsweise hat dem Aktienmarkt angesichts globaler Überkapazitäten wenig geholfen. Dazu gesellen sich die Unsicherheiten rund um eine Wahl: Inwieweit hatte die Börse einen Sieg Bidens und eine geteilte politische Führung - der US-Senat bleibt in republikanischer Hand - bereits eingepreist?

Viel Interpretationsspielraum

Allein der volatile Handel im Umfeld der Wahl lasse viel Interpretationsspielraum. Galt vielen ein enger, angreifbarer Wahlausgang bis vor kurzem noch als schlechtestes Szenario für die Börse, drehte sich diese Haltung im Handumdrehen in ein Idealszenario: Ein gemässigter demokratischer Präsident, den ein republikanischer Senat in die Schranken weist, sollte er die Verschuldung allzu stark ausweiten oder die Trump'schen Steuerkürzungen rückgängig machen.

All das unterstreicht nach Auffassung von DWS die Empfehlung, längerfristige Anlageentscheidungen nicht allein auf Basis politischer Erwägungen zu treffen - zumal, wenn der politische Ausblick noch so vage ist wie heute.

Erfahrene Anlegerinnen und Anleger werden Kreuzkamp zustimmen. Politische Börsen haben kurze Beine, wie ein oft zitierter, deswegen aber nicht unwahrer Börsenspruch lautet. Mittel- bis längerfristig überwiegen marktbestimmende Faktoren, auf welche die Regierung nur wenig Einfluss hat. Laut DWS ist das auf absehbare Sicht weitere Verlauf der Covid-19-Pandemie, wie die stark kurstreibende Nachricht zum Impfstoff zu Beginn der Woche gezeigt hat.

Notenbanken halten am Zepter fest

Mittelfristig bleibt die Zentralbankpolitik marktdominant. Die Notenbank, nicht nur in den USA, würde weiterhin versuchen, die Märkte mit niedrigen Zinsen und gegebenenfalls anderen Mitteln zu unterstützen. Allerdings werde die Börse schwerlich von beiden Seiten Hilfe bekommen können, schränkt der DWS-Stratege zurecht ein, weil die Zentralbanken ihre Unterstützung abhängig vom Fortschritt bei der Pandemiebekämpfung machen werden.

Kreuzkamps Fazit: "Auf Zwölfmonatssicht bleiben wir somit vorerst weiterhin moderat positiv auf die Aktienmärkte gestimmt, rechnen mit einem Fortbestand des Niedrigzinsumfelds und sehen keine nachhaltige Dollarabschwächung gegenüber dem Euro."

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