22.11.2024, 13:09 Uhr
Die Kerninflation in Japan lag im Oktober bei 2,3 Prozent, das ist etwas weniger als noch im September. Aber minimal mehr als erwartet worden war.
Die Finanzmärkte unterschätzen nach wie vor die Bedeutung des Naturkapitals zur Erreichung der Klimaziele. Irene Lauro, Ökonomin von Schroders, zeigt auf, wie wichtig eine Neuorientierung ist und welchen Beitrag die Finanzindustrie sowie die Investoren leisten können.
Je mehr sich die Klimakrise verschärft, umso höhere Aufmerksamkeit schenken die Finanzmärkte den Risiken und Chancen der Energiewende. Im Vordergrund stehen die Dekarbonisierung der Produktionsprozesse sowie die Förderung der Energieeffizienz. "Doch dabei wird die fundamentale Rolle unterschätzt, die der Naturschutz im Wettlauf in Richtung "Nettonull" spielt", stellt Irene Lauro, Ökonomin von Schroder, in einem Paper fest. Das Naturkapital sei für die Weltwirtschaft ein wichtiger Aktivposten. Nach Angaben des Weltwirtschaftsforums hänge mehr als die Hälfte des globalen Bruttoinlandprodukts (BIP) von natürlichen Ressourcen ab.
Die Natur spielt eine wichtige Rolle bei der Steigerung des menschlichen Wohlstands, da gesunde Ökosysteme und die biologische Vielfalt uns grundlegende Vorteile bieten. Diese nutzen wir zum Beispiel mittels Bereitstellung von Dienstleistungen in Bezug auf Nahrung, Wasser und Holz, mittels Regulierungsmassnahmen, die Klima, Überschwemmungen, Boden, Krankheiten, Abfälle und Wasserqualität beeinflussen sowie mittels kulturellen Leistungen, die der Erholung, der Ästhetik und der Spiritualität dienen.
Gmäss Lauro schätzt eine aktuelle Studie, dass die weltweiten Ökosystemleistungen im Jahr 2011 insgesamt 125 Bio. US-Dollar erbrachten, also mehr als das Anderthalbfache des weltweiten BIP (75 Bio. Dollar). Unsere Volkswirtschaften sind in die Natur eingebettet, und die Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung hängt unmittelbar vom Schutz der natürlichen Ökosysteme ab. Doch bisher haben sich Wirtschaftswissenschaftler, politische Entscheidungsträger und Finanzmärkte nur auf die Messung der Wirtschaftsleistung konzentriert und dabei die Kosten der Produktion zulasten der Umwelt unterschätzt.
Leider wurde das Konzept des Naturkapitals über die Jahrhunderte unserer Wirtschaftstätigkeit nicht systematisch in die Entscheidungsprozesse oder in Wirtschaftsindikatoren wie das BIP einbezogen. Die Länder sind im Laufe der Jahrhunderte gewachsen und haben sich entwickelt, während sie gleichzeitig das Naturkapital aushöhlten. Aber dies wurde in keiner Kennzahl für die Wirtschaftsleistung berücksichtigt. Das BIP lässt das Naturkapital ausser Acht und berücksichtigt nicht die Schäden, die der Umwelt durch die menschlichen Aktivitäten zugefügt werden. Um eine nachhaltigere Zukunft zu erreichen, sollte das Wirtschaftswachstum jedoch zunehmen, ohne die Umwelt zu schädigen.
"Der Finanzsektor als Schnittstelle für die Kapitalallokation sollte eine Schlüsselrolle bei der Förderung der Nachhaltigkeit spielen", schlägt Lauro vor. Finanzinstitute könnten durch die Dekarbonisierung ihrer Portfolios und die Umlenkung von Investitionen in Lösungen zur Bewältigung des Klimawandels zum Aufbau ökologischer Widerstandsfähigkeit beitragen. Daher sollten sie die Ökonomie der biologischen Vielfalt in ihre Transaktionen einbeziehen.
Dies bedeutet, dass es wichtig sein wird, die Wirtschaftsleistung durch die Linse des Naturkapitals zu beurteilen, da es angesichts des engen Zusammenhangs zwischen Klimawandel und Umwelt wesentlich ist, über die gängige BIP-Definition hinauszugehen, um eine nachhaltigere Entwicklung zu gewährleisten. Lauros Ausführungen gehen einen Schritt in diese Richtung, indem sie sich auf die Ökosysteme der Wälder konzentrieren, die grösste terrestrische Kohlenstoffsenke und eine wichtige naturbasierte Lösung für die Klimakrise.
Wälder erbringen zahlreiche Ökosystemleistungen, wie z. B. Kohlenstoffspeicherung, Erosionsschutz, Verschmutzungsbekämpfung, Lebensraum für die biologische Vielfalt und Wasseraufbereitung. Der wertvolle Wert dieser Leistungen muss jedoch noch in Finanztransaktionen einbezogen werden. Folgende zwei Beispiele sollen verdeutlichen, was wir mit unseren derzeitigen Massstäben übersehen:
1. Nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums sind die nationalen Wälder die wichtigste Wasserquelle in den USA und versorgen 180 Mio. Amerikaner in 68'000 Gemeinden mit Trinkwasser.
2. Mangrovenwälder verringern die jährlichen Überschwemmungen weltweit um mehr als 39%, was jährlich mehr als 18 Mio. Menschen zugute kommt, wobei Vietnam, Indien, Bangladesch, China und die Philippinen den grössten Nutzen haben. Mangroven verringern die jährlichen Sachschäden um mehr als 16%, mit einem jährlichen Wert von mehr als 82 Mrd. Dollar.
Eine aktuelle Studie zeigt, dass Massnahmen zur Erhöhung der Kohlenstoffbindung durch Erhaltung, Wiederherstellung und verbesserte Bewirtschaftungspraktiken in Wäldern, Feuchtgebieten und Graslandbiomen (sogenannte natürliche Klimalösungen, NCS) bis zu 37% der Emissionsreduktionen liefern können, die bis 2030 erforderlich sind, um den globalen Temperaturanstieg unter 2°C zu halten.
Angesichts der grundlegenden Rolle, die Wälder bei der Bekämpfung eines drängenden Problems wie der globalen Erwärmung spielen, ist es wichtig zu verstehen, welche Länder die grössten Kohlenstoffsenken darstellen, erklärt die Ökonomin. Und, was aus der Sicht eines Investors noch wichtiger ist, welche Länder wachsen und gleichzeitig ihre Wälder schützen, anstatt sie zu zerstören. Wälder bedecken etwa 30% der weltweiten Landfläche. Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) zeigen, dass die verbleibende Waldfläche, d.h. die Fläche, die nicht abgeholzt wird, in den letzten Jahrzehnten weltweit als bedeutende Kohlenstoffsenke fungiert hat. Im Jahr 2020 absorbierten die Wälder 2,6 Gigatonnen CO2, ein Drittel des CO2, das bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe freigesetzt wird.
Die grössten Kohlenstoffsenken befanden sich in den letzten 30 Jahren in Russland, den USA und China. Deren Wälder absorbierten 636, 454 bzw. 448 Tonnen CO2 pro Jahr. Seit 1990 hat die Welt jedoch mehr als 400 Millionen Hektar Wald durch Umwandlung in andere Landnutzungen verloren. Infolgedessen hat sich die Menge der Emissionen, die Wälder absorbieren können, in den letzten drei Jahrzehnten aufgrund der umfangreichen Abholzung um ein Viertel verringert.
Lauro stellt fest: "Wenn Wälder gerodet oder verbrannt werden, wird gespeicherter Kohlenstoff in die Atmosphäre freigesetzt, hauptsächlich in Form von Kohlendioxid, wodurch die Entwaldung nach der Verbrennung fossiler Brennstoffe zur zweitgrössten anthropogenen Quelle von Kohlendioxid in der Atmosphäre wird." Es werde geschätzt, dass die Kohlenstoffemissionen aus Entwaldung und Waldschädigung etwa 20% der weltweiten anthropogenen CO2-Emissionen ausmachen.
Wegen der Abholzung flossen im Zeitraum von 1990 bis 2020 durchschnittlich 3,7 Gt CO2 pro Jahr in die Atmosphäre, wobei Brasilien das Land mit den höchsten geschätzten Emissionen aus der Entwaldung ist (1,2 Gt CO2 pro Jahr). Indonesien ist ein weiteres Land, dessen Wirtschaftswachstum mit einer Verschlechterung der Umweltsituation einhergeht. Die Wälder des Landes haben in den letzten 30 Jahren 380 Mio. t CO2 pro Jahr emittiert. Das entspricht der Menge, die Grossbritannien jährlich durch die Verbrennung von Kohle, Erdgas, Öl und anderen Brennstoffen, einschliesslich Industrieabfällen und nicht erneuerbaren Siedlungsabfällen, ausstösst.
Einige Industrieländer wie Kanada, Australien und die USA sind gewachsen und haben gleichzeitig ihre Wälder abgeholzt. Wegen umfangreicher Abholzungen haben sich einige Wälder sogar in Nettoemittenten von Kohlendioxid verwandelt, anstatt als Senke zu dienen, die das Treibhausgas absorbiert. So setzten die Wälder in Brasilien, Indonesien, Kanada und Argentinien in den letzten 10 Jahren mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre frei als sie speichern, was zu einer Beschleunigung der Klimakrise beiträgt.
Entwaldung erfolgt weitgehend zur Gewinnung von Landwirtschaftsflächen. Eine aktuelle Studie zeigt, dass zwischen 2010 und 2014 60% des Verlusts an Tropenwald auf die Nutzung der Fläche für die Produktion von Rinderfleisch und Ölsaaten zurückzuführen ist. Insbesondere die Ausdehnung der Weideflächen für die Rinderhaltung war für mehr als 2,1 Millionen Hektar pro Jahr verantwortlich. Das entspricht etwa der Hälfte der Fläche der Niederlande.
Gemäss Lauro zeigt die Studie, dass ein erheblicher Teil dieser Emissionen auf den internationalen Konsumbedarf zurückzuführen ist. Fast 40% der produktionsbedingten Emissionen können den Exporten zugeschrieben werden. Dies ist wesentlich höher als der Anteil der Emissionen aus fossilen Brennstoffen, die in den Handelsgütern enthalten sind (23 bis 26%). Ausserdem geht aus der Studie hervor, dass die in den Importen enthaltenen Entwaldungsemissionen 17 bis 31% der nationalen landwirtschaftlichen Emissionen ausmachen, aber in den Emissionskonten der Länder noch nicht berücksichtigt sind.
"Die Risiken und Chancen, die sich aus dem Kampf gegen den Klimawandel ergeben, stehen ganz oben auf der Agenda der Investoren", prognostiziert das Paper. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) weist darauf hin, dass die globalen Klimaschutzziele ohne die Einbeziehung der Wälder nicht erreicht werden können. Die Bekämpfung der Bodendegradation und die Wiederherstellung der Waldökosysteme sind daher der Schlüssel zur Verringerung der Treibhausgasemissionen - eine dringende Priorität im Kampf gegen die globale Erwärmung.
Finanzinstitute könnten daher schon bald den Übergangsrisiken ausgesetzt sein, die sich aus politischen Massnahmen zum Schutz der natürlichen Umwelt und zur Verringerung der Erschöpfung natürlicher Ressourcen ergeben. Die Anleger könnten bald damit beginnen, die Risiken zu berücksichtigen, die sich aus der Kreditvergabe an oder der Investition in Unternehmen ergeben, die mit einer nicht nachhaltigen Produktion von Rohstoffen verbunden sind, die zur Abholzung von Wäldern führen.
Schliesslich werden sich auch neue Investitionsmöglichkeiten ergeben, wenn Länder und Unternehmen dabei unterstützt werden, ein nachhaltigeres Wachstum zu erzielen. Das WEF hat laut Lauro kürzlich festgestellt, dass die Umstellung von drei grossen Wirtschaftssektoren (Lebensmittel, Land- und Meeresnutzung, Rohstoffgewinnung und Energie sowie Infrastruktur) auf "naturfreundliche" Wege bis 2030 ein Wirtschaftswachstum von 10 Bio. Dollar und 395 Mio. Arbeitsplätze schaffen könnte. Die jährlichen Gesamtinvestitionen, die erforderlich sind, um alle Chancen in den drei Sektoren zu nutzen, werden auf etwa 2,7 Bio. Dollar geschätzt.
Lauro zieht folgendes Fazit: Die Einbeziehung des Naturkapitals in unsere Transaktionen wird ein grundlegender Pfeiler auf unserem Weg zu einer nachhaltigeren Wirtschaft sein. In unserem Wettlauf in Richtung Nettonull sollten die Unternehmen beginnen, die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf die natürliche Umwelt zu berücksichtigen. Schon in den letzten Jahren leisteten die Investoren Rekordengagements in Nachhaltigkeitsfragen , und es werden noch mehr Massnahmen ergriffen werden, um die Risiken im Zusammenhang mit der Nutzung des Naturkapitals vollständig zu verstehen.