Der Ernstfall bleibt aus

10.04.2008, 14:02 Uhr

An den Finanzmärkten stirbt man nur selten an Altersschwäche. Es ist daher zweifellos bemerkenswert, wie lange manche etwa die grossen amerikanischen Investmentbanken wie Goldman Sachs, Morgan Stanley oder JP Morgan jeweils auf eine mindestens 100-jährige Geschichte zurück blicken. Gemäss Sebastian Paris-Horvitz von AXA Investment Managers liegt der Grund dafür unter anderem in der Marktstruktur selbst, die für höhere Markteintrittskosten als in anderen Bereichen sorgt.

Hinzu kommt, dass man diesen grossen Häusern aufgrund ihrer Erfahrung teilweise eher zutraut, solchen finanziellen Turbulenzen besser standhalten zu können. Der Fall von Bear Stearns steht somit symbolisch für die Tragweite der aktuellen Krise. Das 1923 gegründete Kreditinstitut wird es nach der Übernahme durch JP Morgan nicht mehr geben. Trotz eines fast 100-jährigen Erfahrungsschatzes ist die Bank an der Subprime-Krise gescheitert.

Die Opfer der Krise nehmen weiter zu. Deshalb geht es den amerikanischen Behörden nunmehr darum, den Auswirkungen Einhalt zu gebieten. So führt etwa die US-Notenbank mittels einer Vielzahl von Massnahmen dem Markt weiterhin massiv Liquidität zu, um insbesondere die Funktionsfähigkeit des Interbankenmarktes wiederherzustellen. Daneben hat sie den Leitzins von 4,25 % zum Jahresbeginn auf inzwischen 2,25 % gesenkt. Zudem wurde ein Konjunkturprogramm von etwa 1 % des Bruttoinlandsprodukts auf den Weg gebracht.

Reichen diese Massnahmen aus, um das verloren gegangene Vertrauen in die Finanzbranche wiederherzustellen? Wir möchten gerne daran glauben, aber es wäre sicherlich verfrüht, heute schon Aussagen zur Wirksamkeit der diversen Massnahmen zu machen. Der Prozess zur Bereinigung der Bankbilanzen (Reduktion des „leverage effects“), ist bereits weit vorangeschritten. Ein Ende ist aber noch nicht absehbar. Wir gehen davon aus, dass die internationalen Grossbanken weitere Rückstellungen in erheblichem Umfang vornehmen müssen, was deren Kreditkapazitäten deutlich einschränkt. Erschwerend hinzu kommt das aktuell sehr hohe Niveau der Rohstoffpreise, das sich nachteilig auf den Privatkonsum auswirkt.

Rezession in den USA
Es steht ferner zu befürchten, dass die Krise weiter auf die reale Wirtschaft übergreift. Die neuesten Daten aus den USA deuten darauf hin, dass sich das Land in einer Rezession befindet. Sowohl im verarbeitenden Gewerbe als auch im Dienstleistungsbereich zeichnet sich dies ab. Ein weiterer Beleg hierfür ist der Verlust von 100.000 Stellen in der Privatwirtschaft im Monat Februar. Darüber hinaus setzt sich der Korrekturkurs am Immobilienmarkt weiter fort. Kann man nun aus diesen Statistiken ableiten, dass wir uns auf dem Weg in eine tiefe Rezession befinden? Noch ist es für eine fundierte Aussage zu früh. Nach unserer Einschätzung wird es jedoch, insbesondere dank der wirtschaftspolitischen Eingriffe, bei einer leichten Rezession bleiben. Hinzu kommt, dass die US-Wirtschaft auf der Exportseite – begünstigt von dem weiterhin sehr schwachen Dollar – von den nach wie vor recht hohen Wachstumsraten in den Schwellenländern profitiert. Umgekehrt gehört die hohe Nachfrage dieser Länder zu den Treibern, die für hohe Rohstoffpreise sorgen. In Europa lassen sich trotz der Verlangsamung der Wirtschaftsaktivität, die im letzten Sommer begann, einzelne Volkswirtschaften ausmachen, die sich robust zeigen. Als Beispiel sei Deutschland genannt, das weiterhin eine starke Exportleistung verzeichnet. Anlass zur Beunruhigung hingegen besteht vor dem Hintergrund der Wirtschaftsflaute in Italien. Spanien und Irland sehen sich Problemen aufgrund der Korrekturen an den Immobilienmärkten konfrontiert. Hinter der Wachstumsrate, die nach unseren Prognosen für die gesamte Eurozone im Jahr 2008 nur 1,6 % betragen wird, verbergen sich divergierende Wachstumsraten.

Wirtschaftspolitik
Die amerikanischen Behörden haben alle Hebel in Bewegung gesetzt und einen beeindruckenden Massnahmenkatalog verabschiedet, um eine länger anhaltende Abwärtsspirale zu verhindern.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Massnahmen ausreichen werden. Wir denken, diese Fragen bejahen zu können. Alles wird unternommen, um das Schlimmste zu verhindern, also eine Entwicklung vom Ausmass der Weltwirtschaftskrise von 1929 oder der Deflation in Japan Ende der 1990er Jahre.

In Europa ist die Ausgangslage etwas anders, insbesondere in der Eurozone. Die Europäische Zentralbank stellt ein rückläufiges Wirtschaftswachstum fest, erwartet aber keine Rezession. Stattdessen befürchtet sie, dass die Inflationsprognosen durch die Verteuerung der Rohstoffpreise gefährdet sind. Dennoch gehen wir weiterhin davon aus, dass die EZB aufgrund des Finanzierungsbedarfs und angesichts der rückläufigen Wirtschaftsentwicklung sowie einer Stabilisierung der Rohstoffpreise, gegen Ende des Frühjahrs bzw. in den Sommer hinein eine Zinssenkung vornehmen wird.

Hoffen auf den Aufschwung
Trotz massiver Liquiditätsspritzen durch die US-Notenbank und die grossen europäischen Notenbanken erwarten wir kurzfristig ein Anhalten des Liquiditätsdrucks. Dies wird etwa durch den Anstieg des Ted Spread zum Ausdruck gebracht, der noch immer bei über 150 Basispunkten liegt – ein Beleg für die Verschlechterung der Bankbilanzen und den illiquiden Charakter diverser Aktivposten. In der Tat präsentiert sich die Rechnung immer saftiger. Die westlichen Grossbanken mussten bislang Rückstellungen bzw. Verluste in Höhe von mehr als 200 Mrd. EUR ausweisen. Dieser Prozess der Bilanzbereinigungen dürfte sich fortsetzen, denn nach unserer Einschätzung könnten die Gesamtabschreibungen doppelt so hoch ausfallen.

Der Markt hat bereits zahlreiche schlechte Nachrichten eingepreist, was sich an der attraktiven Bewertung mancher Wertpapiere – wie etwa Schuldpapiere oder Aktien – ablesen lässt. Dennoch schätzen wir die Unsicherheitsfaktoren unverändert hoch ein. Dies gilt insbesondere für die Auswirkungen der Krise auf die Realwirtschaft. Angesichts der aktuellen Krise erscheinen die Prognosen für die Unternehmensgewinne nach wie vor allzu optimistisch. Für die im S&P 500 gelisteten Unternehmen wird ein Gewinnzuwachs um mehr als 14 % erwartet, was wir für unrealistisch halten. Wir sehen vielmehr die Gefahr rückläufiger Gewinne dies- und auch jenseits des Atlantik.

Demnach bevorzugen wir eine vorsichtige Strategie, raten weiterhin zu einer Untergewichtung von Aktien in den Portfolios und beziehen eine defensive Haltung hinsichtlich dieser Anlageklasse. Entsprechend stufen wir auch unsere Empfehlung in Bezug auf Werte der Eurozone von „neutral“ auf „untergewichten“ zurück, da der starke Euro hier besonders negativ zu Buche schlägt.

Es empfiehlt sich, die Märkte aufmerksam zu verfolgen, anstatt blind an einer konservativen Investmentstrategie festzuhalten, auch wenn diese sich bislang als erfolgreich erwiesen hat. Die massive Liquidität, die dem Markt zugeführt wurde, kann sich nämlich innerhalb kurzer Zeit den Weg zum Markt bahnen, sobald sich erste Anzeichen einer Beruhigung der Situation am Bankenmarkt und einer Stabilisierung der Wirtschaft bemerkbar machen. Assets, die über eine besonders attraktive Bewertung verfügen, wie Unternehmensanleihen und Aktien, dürften die ersten sein, denen Indizien für eine Verbesserung der Marktlage zugute kommen könnten. Allerdings gehen wir davon aus, dass wir uns noch etwas in Geduld üben müssen.

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