26.11.2024, 14:35 Uhr
Die Grossbank UBS will ihr derzeitiges Wertpapier-Joint-Venture in China vollständig übernehmen. Der Prozess, die Beteiligung an «UBS Securities» auf 100 Prozent zu erhöhen, sei im Gange, hiess es auf Anfrage der...
In diesem Jahr war der chilenische Aktienmarkt weltweit einer der dynamischsten: Allein im zweiten und dritten Quartal betrug die absolute Wertentwicklung 34 Prozent ein Riesenerfolg verglichen mit dem Wert von 6 Prozent in den Global Emerging Markets. Über die Chancen in Chile äussert sich Maarten-Jan Bakkum, Global Emerging Markets (GEM)-Stratege bei ING Investment Management, Den Haag, in seiner Markteinschätzung.
Der chilenische Markt profitierte vom beschleunigten Wachstum der Binnennachfrage, dem stärkeren Peso, der Wahl des Wirtschaftshelden Sebastián Piñera zum Staatspräsidenten und vor allem vom starken Privatanlegerinteresse an Aktien und Aktienfonds. Vor rund vier Wochen endete die Outperformance chilenischer Aktien im Vergleich zu den Global Emerging Markets (GEM) dann allerdings. Die weltweiten Kapitalströme legten an Tempo zu. Dabei konnte Chile, als weitgehend binnenwirtschaftlich getriebene Volkswirtschaft, nicht mit den grösseren Emerging Markets Schritt halten, die in erster Linie vom globalen Geldfluss angetrieben werden.
Inlandsnachfrage nach Aktien ist massgebend
Hauptsächlich wegen der hohen Bewertungen waren ausländische Investoren kaum an der diesjährigen Rally am chilenischen Aktienmarkt beteiligt. Denn schliesslich boten sich interessante – und weitaus preisgünstigere – Anlagemöglichkeiten in anderen Ländern des EM-Universums mit steigender Binnennachfrage. Das für die nächsten zwölf Monate erwartete Kurs-Gewinn-Verhältnis von 18 (gegenüber dem GEM-Durchschnitt von 11) ist für die meisten ausländischen Investoren eine zu grosse Differenz. Infolge der hohen Bewertungsaufschläge wird der chilenische Markt daher bis auf weiteres von der Inlandsnachfrage nach Aktien abhängen.
Bei starken Aktienmärkten, die von steigender Risikofreude und positiven Kapitalströmen angetrieben werden, dürfte Chile hinter dem Durchschnitt zurückbleiben. Dieses Umfeld wird voraussichtlich während der nächsten Quartale anhalten. Eine Trendwende ist wohl erst dann zu erwarten, wenn die weltweiten Kapitalströme schwächer werden und die Risikoscheu abnimmt. Das wäre vor allem in Krisenzeiten der Fall. In solchen Phasen profitiert Chile von den defensiven Merkmalen seiner Volkswirtschaft.
Anlageinvestitionen in den Bergbausektor
Die chilenische Binnennachfrage wuchs im zweiten Quartal dieses Jahres um 19 %. Der Privatkonsum legte um 11 % zu und Anlageinvestitionen stiegen um 29 Prozent. Mit diesen Zahlen ist Chile in diesem Jahr eine der wachstumsstärksten EM-Volkswirtschaften. Und eine langsamere Gangart ist noch nicht abzusehen. Die Wiederaufbautätigkeit in den vom Erdbeben im Februar heimgesuchten Gebieten hat einen wichtigen Beitrag zu den hohen Zuwachsraten bei chilenischen Anlageinvestitionen geleistet. Aber wichtiger noch ist der Bergbausektor, auf den rund 80 Prozent aller für die nächsten Jahre geplanten Investitionen entfallen.
Ein Blick auf die Entwicklung des Kupferpreises erklärt nicht nur das hohe Investitionswachstum, sondern auch die hohen Zuwachsraten beim Konsum in Chile (siehe Grafik oben). Kupfer macht 54 Prozent der chilenischen Exporte aus. Ein hoher Spot-Preis bedeutet höhere Einkünfte für die Kupferindustrie und nicht zuletzt den Staatshaushalt, da Codelco, der weltgrösste Kupferhersteller, dem chilenischen Staat gehört. Gleichzeitig besteht dadurch auch mehr Spielraum für Lohn- und Investitionswachstum im Bergbausektor, das wiederum die Tätigkeit in den Sektoren Bau, Produktion und Einzelhandel befeuert. Ein hoher Kupferpreis stärkt zudem den Peso. Das kurbelt wiederum die Inlandsnachfrage an, da die Einfuhrkosten sinken.
Alles in allem reagiert die chilenische Wirtschaft sehr empfindlich auf Schwankungen des Kupferpreises. Maarten-Jan Bakkum geht davon aus, dass das anhaltende Wachstum von Infrastruktur- und Wohnungsbauinvestitionen im gesamten EM-Universum den Kupferpreis weiter stützen wird. Das Wachstum der Binnennachfrage in Chile könnte daher in den nächsten Jahren über seinem Langzeitdurchschnitt verharren oder sogar in den zweistelligen Bereich steigen.
Chilenischen Zentralbank zur Intervention bereit
Der Peso dürfte also seinen Höhenflug fortsetzen, dafür sorgen die Entwicklung am Kupfermarkt und die trüben Aussichten des US-Dollar. Seit Juni hat der Peso um über 10 Prozent gegenüber dem Dollar zulegt; damit ist die chilenische Währung eine der dynamischsten der Welt. Das erklärt weitgehend die Outperformance des chilenischen Aktienmarktes. Der reale handelsgewichtete Wechselkurs ist wiederum auf Höchststände geklettert.
Die Gespräche von ING mit Regierungsvertretern und Ökonomen in Santiago drehten sich daher grösstenteils um die gegenwärtige Peso-Stärke. Allgemein besteht der Konsens, dass die Zentralbank nicht zögern wird, mit aller Entschlossenheit am Devisenmarkt zu intervenieren, falls die Währung ihrer Meinung nach zu stark aufwertet. Denn schliesslich wären alle Exporte Chiles (ausserhalb des Bergbaus sowie der Zellstoff- und Papierindustrie) ernsthaft vom starken Peso betroffen. Die meisten Gesprächspartner waren dabei überzeugt, dass der Punkt, an dem die Zentralbank eingreift, bald erreicht sein wird.
Das starke Interesse der Zentralbank, eine übermässige Stärkung des Peso zu verhindern, dürfte eine weitere Wertsteigerung der Währung vorerst begrenzen. Doch bei den Kapitalflüssen nach Chile handelt es sich hauptsächlich um ausländische Direktinvestitionen, die somit nicht spekulativer Art sind. Auch die Gründe für eine Aufwertung der EM-Währungen auf breiter Front - trübe Konjunkturaussichten in der entwickelten Welt, aggressive Währungspolitik in den USA und anderen Industrieländern - werden nicht so bald verschwinden. Daher wird der Peso wohl langfristig seinen Höhenflug fortsetzen.
Gute Nachbarschaft ist entscheidend
Die Regierung wird andere Wege finden müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit des chilenischen Exportsektors zu verbessern. Weitreichende Reformen des Arbeitsmarktes könnten zwar wirksam sein, sind aber auch ein politisch sensibles Thema und haben keinen besonderen Stellenwert auf Piñeras Agenda. Der GEM-Stratege von ING erhofft sich mehr von Veränderungen im chilenischen Energiesektor.
Seit 2004, als Argentinien unter dem jüngst verstorbenen Präsident Kirchner seine Ausfuhren von billigem Erdgas nach Chile drosselte, sind die Energiepreise in Chile deutlich höher als in den meisten anderen Schwellenländern. Das Land importiert Erdöl und Flüssigerdgas nunmehr zu hohen Preisen. Und dies, obwohl alle drei Nachbarländer Chiles (Argentinien, Bolivien und Peru) in grossem Umfang Erdgas erzeugen und die notwendige Pipeline-Infrastruktur zum Teil schon besteht. Tatsächlich sind die schwierigen bilateralen Beziehungen zu seinen Nachbarn der eigentliche Grund, warum Chile teureres Gas und Erdöl aus anderen Ländern importiert.
In diesem Zusammenhang sollte man insbesondere das chilenisch-bolivianische Verhältnis im Auge behalten. Jedenfalls scheinen die beiden Präsidenten, Piñera und Morales, gut miteinander auszukommen. Während der Rettungsaktion für die 33 Bergleute in der Atacama-Wüste stand Morales neben Piñera, um den einzigen Bolivianer unter den Geretteten willkommen zu heissen. Einige Chilenen meinen, dass dies der Beginn einer allmählichen Verbesserung in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern sein könnte. Nachdem Bolivien im Salpeterkrieg (1879-1884) grosse Teile seines Territoriums und den Zugang zum Pazifik an Chile verloren hatte, war das Verhältnis von erheblicher Spannung geprägt.
Wachstum hängt von Energie ab
Sollte Bolivien bei den Verhandlungen um einen erneuten Zugang zum Pazifik der Durchbruch gelingen, könnte dies für Chile der Auslöser für ein besseres Verhältnis zu all seinen Nachbarstaaten sein. Dies könnte einer Normalisierung der Handelsbeziehungen und direkten Exporten von Erdgas aus Bolivien, Argentinien und Peru den Weg ebnen. Für chilenische Unternehmen würde dies einen Rückgang der Energiekosten und für die Exporteure eine deutliche Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit bedeuten. Konkrete Ergebnisse sind in den nächsten Jahren aber wohl nicht zu erwarten. Uns geht es darum, klarzustellen, welche Bedeutung die Aussenpolitik in dieser Region hat und dass Präsident Piñera unter Umständen wirklich ein Durchbruch gelingen könnte. Längerfristig hängt die Wachstumsentwicklung Chiles entscheidend von der Energiefrage ab.
Vorläufig dürfte das chilenische BIP-Wachstum die durchschnittliche Wachstumsrate der letzten zehn Jahre von 4 Prozent weit übersteigen und sogar das Wachstumsziel (von 6 Prozent) der neuen Regierung übertreffen. Nur im Verlauf von 2011, wenn sich weniger günstige Basiseffekte belastend auswirken und sich die in diesem Jahr vorgenommene geringfügige geldpolitische Straffung bemerkbar macht, mag das BIP-Wachstum unter 6 Prozent fallen. Insgesamt prognostizieren wir ein BIP-Wachstum von 5,5 Prozent für 2011.
Angesichts seines soliden wirtschaftlichen Fundaments und seiner Sensitivität gegenüber einem Anstieg der EM-Anlageinvestitionen wird Chile unserer Einschätzung nach in den nächsten Jahren eine der stärksten Schwellenländervolkswirtschaften sein. So könnte das Wachstum der Binnennachfrage immer wieder für positive Überraschungen sorgen und gut und gerne im zweistelligen Bereich verharren. Zwar bereitet der starke Peso wegen des geldpolitischen Risikos auf kurze Sicht Sorge. Mittel- und langfristig steht eine aufwertende Währung jedoch für überlegenes Wachstum und herausragende Anlagechancen.
Strukturelle Kraft und ein starkes Wachstum der Binnennachfrage sind indes keine Garantie für eine gute Performance des Aktienmarktes. Derzeit bieten sich einheimischen institutionellen Investoren sowie ausländischen Kapitalanlegern interessante Chancen an attraktiver bepreisten Märkten. Nur in Zeiten weltweit steigender Risikoaversion hat der chilenische Markt gute Chancen, die GEMs zu übertreffen. Dann könnte der chilenische Aktienmarkt in gewissem Masse von Aktienverkäufen auf globaler Ebene und zunehmendem inländischem Anlegerinteresse profitieren. Mit einem solchen Umfeld ist in den kommenden Quartalen jedoch nicht zu rechnen.
Die jüngste Reise der GEM-Strategen von ING nach Chile habe wiederum bestätigt, dass das Land aus Makrosicht wahrscheinlich das am besten geführte Schwellenland ist. (kab)