Brauchen Energieversorger neue Geschäftsmodelle?

07.06.2010, 15:05 Uhr

Energieeffizienz gewinnt infolge der Debatte um den Klimawandel an Bedeutung – doch welche Folgen hat dies für die Geschäftsmodelle der Branche? Um dieses Thema geht es im Interview mit Laurent Milliat im neusten SRI-Newsletter von Dexia.




Laurent Milliat,
Nachhaltigkeitsanalyst bei Dexia AM

Was bedeutet Energieeffizienz? Wie würden Sie den Begriff definieren?

Energieeffizienz bedeutet, mit weniger Energie dieselbe Wirkung zu erzielen. Definitionsgemäß lässt sich Energieeffizienz als Quotient aus dem Nutzen und der dafür erforderlichen Energie messen. Bei gleichem Nutzen (Beleuchtung, Heizung, Kühlung etc.) sinkt mit wachsender Energieeffizienz der Energieverbrauch je Gerät. Da wir hier nur den Versorgersektor betrachten, berücksichtigen wir allerdings nicht die Effizienz des gesamten Systems (Energieproduktion, -transport und -verteilung). Das Hauptaugenmerk liegt auf der Nachfrage nach Leistungen von Energieversorgern und nicht, wie sonst meist, auf ihrem Angebot.

Wenn es um Nachhaltigkeitsherausforderungen für Versorger geht, spricht man meist über zwei Umweltthemen: CO2-Emissionen und erneuerbare Energien. Warum ist auch Energieeffizienz für Investoren so wichtig?

Wer in Versorger investiert, kennt meist die beiden ersten Ziele des Energie- und Klimapakets der Europäischen Union: die CO2-Emissionen bis 2020 um 20 % zu senken und den Anteil der erneuerbaren Energien im Energiemix bis 2020 auf 20 % zu erhöhen. Dem dritten Ziel schenken die meisten Anleger jedoch weit weniger Aufmerksamkeit: der Senkung des Energieverbrauchs bis 2020 um 20 % gegenüber einem Szenario, bei dem alles weiterläuft wie bisher.

Für die Regierungen wird dieses weniger beachtete Ziel jedoch immer wichtiger. In der Tat sind die Vorteile einer effizienteren Energienutzung für die Gesellschaft weithin anerkannt. Für einen Energieverbraucher ist die sauberste, sicherste und billigste Energie die, die er nicht verbraucht. Mehr Effizienz hilft, die drei großen Herausforderungen beim Thema Energie zu lösen: Klimawandel, Versorgungssicherheit und bezahlbarer Zugang.

Energieeffizienz löst Umweltprobleme auf regionaler Ebene (durch weniger Luftverschmutzung, Wasserverbrauch und Abraum) sowie im globalen Maßstab (Verlangsamung des Klimawandels). Eine Steigerung der Energieeffizienz bedeutet nicht nur weniger CO2-Emissionen, sondern ist das Wirkungsvollste und Billigste, das Endverbraucher gegen den Klimawandel tun können.

Demnach nimmt das Interesse an Energieeffizienz bei Energieverbrauchern und Politik zu. Doch was bedeutet mehr Effizienz für die europäischen Versorger?

Energieeffizienz ist zweifellos eine Gefahr für ihr herkömmliches Geschäftsmodell. Weniger Energieverbrauch bedeutet weniger Energieabsatz. Das aktuelle wirtschaftliche Umfeld zeigt, wie schlecht eine rückläufige Energienachfrage für Versorger ist.

Das wichtigste Ergebnis unserer Analyse ist aber: In weit entwickelten Regionen wie Europa müssen sich Investoren bei Versorgern darauf einstellen, dass ein niedrigerer Energiebedarf nicht nur konjunkturelle, sondern auch strukturelle Gründe hat, weil Verbraucher und Aufsichtsbehörden nach mehr Energieeffizienz streben. Wenn neue Vorschriften und ein verändertes Marktumfeld zu mehr Effizienz und Einsparungen führen, könnte dies die Rentabilität von Versorgern schwächen.

Ist Energieeffizienz nur eine Bedrohung oder haben Versorger auch neue Chancen?

Die Unternehmen müssen sich an das neue energieeffiziente Umfeld anpassen. Sie dürfen sich nicht auf schrumpfende Märkte beschränken und ihr Leistungsportfolio um neue Wachstumsbereiche erweitern. Dabei haben sie im Wesentlichen drei Möglichkeiten:

- ihr herkömmliches Geschäftsmodell auf Regionen auszudehnen, in denen die Energienachfrage zunimmt; d. h., in Emerging- Market-Länder vorstoßen,

- in Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen investieren, etwa Wind- und Solarstrom (der Bereich, der in den nächsten Jahren am stärksten zum Investitionswachstum beitragen wird),

- Energieeffizienz als neues Geschäftsfeld begreifen: Versorger können die effizientere Nutzung von Energie zum Profitcenter ausbauen. Es liegt in ihrem Interesse, mehr als nur Energie zu erzeugen und zu transportieren; sie können auch energienahe Dienstleistungen anbieten.

Was meinen Sie mit energienahen Dienstleistungen und welche Versorger sind hier gut aufgestellt?

Betrachten wir zwei Beispiele:

- Am britischen Privatkundenmarkt sind Centrica und Scottish & Southern Energy gut positioniert, um Haushalten neue Serviceleistungen zu bieten. Centrica etwa vertreibt über ihr Netz aus 9000 Ingenieuren Pakete aus Energiechecks, Isolierungsarbeiten, energiesparenden Warmwasserbereitern, Mikrokraftwerken und intelligenten Stromzählern.

- Was Gewerbe und Kommunen angeht, werden Veolia Environnement und GDF Suez von ihren großen Energiedienstleistungssparten Dalkia und Cofely profitieren. Kunden mit hohem Energiebedarf wollen ihren Verbrauch optimieren. Ihnen geht es darum, mit der Hilfe von Energiespezialisten wie Veolia und GDF Suez die Kosten zu senken und ihre Umweltbilanzen zu verbessern.

Wie attraktiv sind solche Energieeffizienzdienstleistungen finanziell? Warum sollten sich Investoren mit diesem Thema befassen?

Die Vorteile von Investments in Energieeffizienz-Dienstleistungen liegen auf der Hand. Nehmen wir den umkämpften britischen Privatkundenmarkt: Hier sind Effizienzdienstleistungen ein Mittel zur Kundengewinnung und Kundenbindung. Centrica schätzt die Abwanderungsrate bei Kunden, die neben Energie auch Serviceleistungen in Anspruch nehmen, 30 % niedriger ein als die von Kunden, die nur Energie beziehen. Auch gibt es bei energienahen Dienstleistungen höhere Wachstumsraten und Margen als bei der Energieversorgung.

Da langfristig steigende Energiekosten erwartet werden und neue Effizienzvorschriften das Energiesparen fördern, gehen wir davon aus, dass ein zusätzliches Dienstleistungsangebot ein starker Wettbewerbsvorteil ist. Wir sind davon überzeugt, dass Investoren solche Angebote mit immer höheren Bewertungsaufschlägen honorieren werden. Wir sehen hier noch verstecktes Gewinnpotential. Wer in Versorger investiert, muss sich dessen bewusst sein und sich frühzeitig entsprechend positionieren. (kab)

Alle Artikel anzeigen

Diese Website verwendet Cookies, um Ihnen die bestmögliche Nutzung unserer Website zu ermöglichen.> Datenschutzerklärung