04.12.2024, 10:51 Uhr
«Während die Märkte von einer lockeren Geldpolitik beflügelt werden, drohen politische Umwälzungen in den USA sowie geopolitische Spannungen», schreibt Nicolas Forest, Chief Investment Officer bei Candriam in...
Japan ist zuletzt wieder in eine Rezession geschlittert, was teilweise als Beweis für das Scheitern von «Abenomics» aufgebauscht wurde. Premier Shinzo Abe hat auch prompt die ultimative Vertrauensfrage gestellt und vorgezogene Neuwahlen ausgerufen. Wahrscheinlich ist, dass er das Votum gewinnen wird, während sich die vielzitierte Rezession als statistische Illusion erweisen könnte. Yen-Schwäche und Nippon-Börsenboom dürften à la longue anhalten. Mikio Kumada von LGT Partners erläutert die Hintergründe.
"Ein nordenglischer Politiker soll vor einiger Zeit seinen Eindruck von Japan - dem Land, dass sich seit zwei Jahrzehnten fast chronisch in Rezession befindet - wie folgt kommentiert haben: «Wenn das eine Rezession ist, dann will ich auch eine haben». Gewiss, der Kommentar könnte natürlich eher philosophischer Natur gewesen sein - die Aussagekraft herkömmlicher volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen über den wahren Wohlstand einer Gesellschaft ist schon seit Jahren umstritten. Japans aktuellste Rezession kann aber auch anhand handfester Argumente relativiert werden", erklärt Mikio Kumada, Global Strategist from LGT Capital Partners.
Was ist überhaupt geschehen?
"Offiziell ist der Inselstaat jedenfalls zwischen April und September in einer Rezession gewesen - und Schuld daran soll eine 2012 von der vorherigen Regierung (und heutigen Opposition) ausgehandelte zweistufige Umsatzsteuererhöhung gewesen sein. Der erste Schritt fand im April 2014 mit der Erhöhung des Steuersatzes von 5% auf 8% statt. Der zweite Schritt auf 10% war ursprünglich für Oktober 2015 vorgesehen, wurde aber gleichzeitig mit der überraschenden Ausschreibung der Neuwahlen um 18 Monate verschoben. Hatte der im Vorfeld der ersten Erhöhung vorgezogene Konsum die Konjunktur zunächst belebt, so brach diese unmittelbar danach erwartungskonform stark ein, nämlich um 7.3% (gegenüber Vorquartal, annualisiert). Den meisten Prognosen nach hätte sich das BIP allerdings schon im dritten Quartal wieder erholen sollen. Stattdessen ging es noch einmal um 1.6% zurück. Es folgte ein Analysten-Katzenjammer, dramatische Schlagzeilen («Japan-Kollaps kann Euro-Zone in den Abgrund ziehen» schrieb z.B. «Die Welt») und politisches Theater in Tokio."
Privatkonsum ist im Q3 wieder gestiegen
"Nicht selten offenbaren sich hinter so manchen Berichten allerdings alte Vorurtele und sensationsheischende Oberflächlichkeit. Das fängt schon damit an, dass entgegen des medial verbreiteten Eindrucks der Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) im Q3 keinesfalls vom privaten Konsum verursacht wurde (dieser stieg nämlich um 1.5%, ebenfalls ggü. Vq., annualisiert), sondern vom Abbau der Lagerbestände. Letzteres sagt allerdings nur selten etwas über den allgemeinen Zustand der Wirtschaft aus."
Reallöhne erstmals deutlich gestiegen
"Dazu kommt, dass die Reallöhne ausgerechnet im Q3 erstmals seit Beginn der als «Abenomics» bekannten Wirtschaftspolitik einen ordentlichen realen Anstieg verbuchten (0.7% gegenüber Vorquartal, bzw. rund 2.8% auf annualisierter Basis). Diese Entwicklung ist nicht nur untypisch für eine Rezession - sie könnte sogar einen lehrbuchmässigen Erfolgsausweis für die Regierung darstellen. Die Priorität einer Reflationsstrategie liegt natürlich zunächst im nominalen Bereich, während reale, d.h. auf Produktivitätsgewinnen basierende Fortschritte selbst im Idealfall nur mit einiger Verzögerung eintreten können. Und genau das scheint im Bereich der Einkommen zuletzt stattgefunden zu haben: Nachdem sich das nominale Lohnwachstum schon seit einigen Quartalen eindrücklich beschleunigt, folgen jetzt die ersten realen Zugewinne." (siehe PDF, Seite 2)
Pyrrhus-Sieg für die Gegner des Reflationskurses
"Es gibt auch weitere Entwicklungen, die untypisch sind für eine Rezession. Können wir wirklich von einer Rezession sprechen, wenn Reallöhne, Privatkonsum und Unternehmensgewinne steigen, die Arbeitslosigkeit sinkt und die Börse boomt? Können wir von einem Scheitern von «Abenomics» sprechen, wenn die erklärten inflationären Zwischenziele der Strategie in greifbare Nähe rücken? Wohl kaum. Wahrscheinlicher ist, dass Shinzo Abe möglicherweise ein gutes Gespür dafür entwickelt hat, wie er aus Schein-Niederlagen politisches Kapital schlagen kann - um die Gegner seines reflationären Reformkurses innerhalb der eigenen Partei und der mächtigen Ministerialbürokratie nach den Wahlen am 14. Dezember weiter ins Abseits stellen zu können."
Gesamtentlohnung erstmals signifikant gestiegen
"Die Reallöhne sind im Q3 erstmals seit Beginn von «Abenomics» im April 2013 deutlich gestiegen, wie die nachfolgende Grafik zeigt. Ausgerechnet im vermeintlich «rezessiven» Q3 haben die realen Löhne also endlich einmal mit den bereits seit einiger Zeit robust wachsenden Nominallöhnen mitgezogen (siehe PDF, Seite 2). Dies ist einerseits untypisch für eine Rezession. Anderseits sollte eine erfolgreiche Reflationspolitik genau solche Entwicklungen herbeiführen. Zuerst steigen die Inflationserwartungen und die nominalen Grössen, dann folgen die realen Löhne. Das ist insofern logisch, weil reales Wachstum letztlich nur über Produktivitätsgewinne erzielt werden kann. Die reale Wirtschaft braucht also selbst im Idealfall einfach eine gewisse Zeit, bis sie sich auf das neue, inflationäre Umfeld angepasst hat. Zu beachten ist auch, dass für Japan die Wende der Nominallöhne kurz- bis mittelfristig auch wichtiger ist, als die reale Entwicklung. Auf realer Ebene konnte Japan in den letzten Jahrzehnten mit den anderen Industrieländern gut mithalten. Problematisch war hingegen die nominale Entwicklung - und diese verbessert sich inzwischen stetig. Die Daten sind übrigens Teil der vom «Economic and Social Reseach Institute» des Kabinettamts erstellten BIP-Rechnung. Also solche unterscheiden sie sich von den in den Medien öfter zitierten Einkommensstatistiken des japanischen Arbeits- und Wohlfahrtsministeriums."
"Arbeitslosigkeit sinkt tendenziell noch weiter Die Arbeitslosenrate befindet sich indessen weiterhin auf langjährigen Tiefständen (siehe PDF, Seite 2). Seit Anfang Jahr schwankt sie zwischen 3.5% und 3.8% und betrug im September nur 3.6%. Nun ist es auch im demographisch schrumpfenden Japan so, dass die Arbeitslosigkeit vor und während grösserer Rezessionen steigt. Es gibt auch in Japan inzwischen ein Heer von Leih- und Kurzzeitarbeitern, die schnell auf die Strasse gesetzt werden können. Das war während der Finanzkrisen und/oder Rezessionen von 2008/2009, 2001/2002 sowie 1997/1998 der Fall, wie aus nachfolgender Grafik ersichtlich ist. Wenn Japan zwischen April und September tatsächlich in einer Rezession war, dann dürfte sie doch sehr seicht gewesen sein."
LGT Beacon: "Japans seltsame Rezession" PDF