04.12.2024, 10:51 Uhr
«Während die Märkte von einer lockeren Geldpolitik beflügelt werden, drohen politische Umwälzungen in den USA sowie geopolitische Spannungen», schreibt Nicolas Forest, Chief Investment Officer bei Candriam in...
Spätestens mit dem jüngsten Anstieg der Staatsanleihenrenditen wurde der Finanzjargon-Wortschatz um einen dramatisch klingenden Begriff erweitert: Man spricht von einem "Tantrum" - d.h. einem "Wutausbruch" an den Bondmärkten. Dabei handelt es sich allerdings um nichts weiter als die typische Überreaktion auf eine willkommene Normalisierung der sehr tiefen Inflationserwartungen im Anschluss an den Beginn eines neuen "quantitativen Lockerungsprogramms, erklärt Mikio Kumada von LGT.
"Mitte April kam es an den Staatsanleihenmärkten zu einem rasanten Anstieg der langfristigen Renditen. Die Entwicklungen im deutschen und französischen Markt waren besonders volatil: In nur zehn Tagen schnellten die zehnjährigen Renditen von Rekordtiefs bei 0.05% bzw. 0.33% auf knapp 0.8% bzw. 1.1% hinauf. Auch in Japan, den USA oder Grossbritannien kletterten die zehnjährigen Renditen im relevanten Zeitraum um 20, 50 bzw. 60 Basispunkte höher. Die Turbulenzen waren also imposant genug, um von den üblichen "Marktschreiern" prompt mit der erwähnten eigenen Wortkreation "geehrt" zu werden.
Einen tieferen Grund zur Sorge bietet die Episode jedoch kaum. Im Gegenteil: Eigentlich ist diese Entwicklung nur die Folge eines grundsätzlich willkommenen Anstiegs der tiefen Inflationserwartungen, kombiniert mit einer längst überfälligen "Bereinigung" übertrieben einseitiger Marktpositionen (z.B. zugunsten deutscher oder französischer Bonds). Ökonomisch gesehen passt sie zudem zu unserem globalen Hauptszenario, das von einem einigermassen passablen oder sogar verbesserten Wirtschaftswachstum ausgeht - fortan vielleicht mit etwas mehr Inflation.
Europäische Geldpolitik beeinflusst die Inflationserwartungen
Mit den Inflationserwartungen geht es seit knapp drei Jahren fast überall bergab (nur Japan stellt hier die Ausnahme dar). Zwischen Januar und März wurde jedoch ein Boden gefunden. Genau in dieser Zeit hatte schliesslich die Europäische Zentralbank ihr erstes ordentliches (d.h. Staatsanleihen einschliessendes) Programm der "quantitativen Lockerung" (QE) angekündigt (22. Januar) bzw. lanciert (5. März). Kurz nach diesen wichtigen geldpolitischen Ereignissen wurden im Rohölmarkt die bisherigen zyklischen Tiefstpreise markiert (29. Januar und 18. März). Seitdem steigen die messbaren Inflationserwartungen weltweit wieder etwas an.
Die meisten Bondmärkte haben auch relativ zeitnah auf diese subtilen Verschiebungen reagiert. In Japan steigen die Renditen schliesslich schon seit Januar, in den USA und Grossbritannien seit Februar und in Italien, Spanien und Portugal seit März. In den Euro-Kernstaaten (inklusive Frankreich) wurde die Stabilisierung der Inflationserwartungen aber offenbar erst kürzlich, ab Mitte April, so richtig registriert. Diese Verzögerung war insofern "technischer" Natur, als dass die meisten EZB-Anleihenkäufe in den besonders vertrauenswürdig geltenden Euro-Kernmärkten stattfinden. In ihrer Suche vermeintlich "sicheren" Renditen hatten sich zu viele Anleger zu einseitig in diesen Segmenten positioniert - einmal mehr hatte sich damit die älteste Finanzmarktsünde der Welt offenbart. Inzwischen wurde dieses Ungleichgewicht allerdings weitgehend korrigiert (vgl. Grafik 1, PDF, Seite 2).
Finanzielle "Repression" bleibt in Europa und Japan dominierende Kraft
Gleichzeitig sollten wir auch die übergeordnete Gesamtsituation im Auge behalten. Überall dort, wo QE-Programme weiter laufen, dürften die Staatsrenditen mittelfristig weiter "künstlich" tief bleiben. Es ist schliesslich implizit im Sinne des Erfinders, dass die Realzinsen möglichst lange extrem tief oder sogar negativ bleiben. Nur so können die in fast allen Volkswirtschaften hohen Schuldenlasten trag- und abtragfähiger gemacht werden. In den letzten Jahren haben wir - zuerst in den USA und Grossbritannien und dann auch in Japan - immer wieder erlebt, dass die Renditen um den Zeitpunkt des Beginns eines QE-Programms zunächst den Inflationserwartungen nach oben folgten - a la Longue neigten sie aber wieder südwärts. Die jüngsten Bondturbulenzen bieten daher grundsätzlich durchaus eine Gelegenheit für Zukäufe langfristiger Staatsanleihen - allerdings nur im Rahmen unserer aufgrund der sehr tiefen Renditen nach wie vor deutlichen Untergewichtung der Anlageklasse insgesamt.
Euroland: Leicht verzögerte Reaktion auf Anstieg der Inflationserwartungen
Nach einer langen Talfahrt setzte in der Zeit zwischen Januar bis März 2015 weltweit eine Stabilisierung bzw. ein Anstieg der marktbasierten Inflationserwartungen ein, wie die erste Grafik (siehe PDF, Seite 2) aufzeigt. In Eurokernländern wie Deutschland oder Frankreich sanken die Bondrenditen aber trotzdem bis zum "Tantrum" vom 17. April geradlinig weiter. Insofern stellt der plötzliche Zinsanstieg nur eine fundamental begründete und aufgrund der sehr tiefen Erwartungen willkommene Normalisierung des Inflationsausblicks dar.
In QE-Ländern dürften die Renditen auch bei steigenden Inflationserwartungen mittelfristig weiter sinken
Auch in Japan fand mit der de facto QE-Ankündigung im Herbst 2012 sofort eine Normalisierung der Inflationserwartungen (von negativ auf positiv) statt, wie die zweite Grafik (siehe PDF, Seite 2) zeigt. Aber erst nach Beginn der QE-Käufe (April 2013) schnellten auch die Renditen entsprechend abrupt nach oben - ähnlich wie kürzlich in Europa. Danach ging es allerdings wieder südwärts, obwohl die Inflationserwartungen weiter stiegen. Die dritte Grafik illustriert, dass alle echten QE-Programme (rötliche Kreise) die Renditen zunächst höher getrieben haben. Mittel- bis längerfristig ging es mit den Renditen aber dennoch wieder bergab, primär aufgrund der QE-Käufe. Ab August 2012 kam mit der beginnenden Ölpreisbaisse aber auch ein wichtiger neuer "deflationärer" Faktor hinzu."