Warum sich US-Aktien doch lohnen

Cormac Weldon, Fondsmanager bei Artemis, über die US-Wirtschaft und welche Investmentthemen und Sektoren er für besonders vielversprechend hält.

02.12.2014, 08:49 Uhr

Redaktion: dab

"Durch den tragischen Wahnsinn der Sub-Prime-Krise wurden die Vereinigten Staaten zuallererst in die Rezession katapultiert. Aus dieser fanden sie dann aber auch als erstes Land wieder heraus. Mittlerweile ist die US-Wirtschaft die wachstumsstärkste unter den Industrieländern. Ausschlaggebend hierfür ist nicht die gestiegene heimische Öl- und Gasproduktion, obwohl diese durchaus deutlich zu Buche schlägt. Während 2012 Erdöl noch mehr als 77 % der US-Importe ausmachte, ist der Anteil mittlerweile rückläufig und wird auch noch weiter sinken. Unterdessen machen sich langsam die niedrigeren Benzinkosten deutlich bemerkbar. Wenn die Preise ein weiteres Jahr auf ihrem niedrigen Niveau bleiben, werden die US-Verbraucher pro Kopf 500 Dollar mehr im Portemonnaie haben.

Das ist aber nur ein Bonus obendrauf. Die US-Wirtschaft befindet sich vor allem aufgrund ihres zugrundeliegenden Trends im Aufwind: Die US-Bevölkerung wächst weiter, die Qualifikationen der Arbeitskräfte verbessern sich nach und nach, und das physische und intellektuelle Kapital der USA erhöht sich sowohl quantitativ als auch qualitativ. Der weltweit grösste Supercomputer mag in China stehen, die in ihm verbauten Chips sind aber komplett amerikanisch. Wir werden sehen, ob der IWF mit seiner Prognose Recht behält und die US-Wirtschaft nächstes Jahr abermals um über 3 % zulegt. Dies wäre alles andere als eine astronomische Wachstumsrate, aber auch kein schlechtes Ergebnis, und im Vergleich zur Eurozone wäre es sogar richtig gut.

Noch dazu ist das Wachstum geografisch diversifiziert. In North Dakota boomt die Förderung von Schieferöl. Das Boeing-Werk in Seattle kann sich vor Neuaufträgen kaum retten. Im Silicon Valley sitzt Apple und verkauft so viele iPhones wie das Unternehmen nur herstellen kann. In New York gibt es – vor allem wegen der Technologiebranche – mehr Jobs als je zuvor. Allein Google beschäftigt dort über 4.000 Mitarbeiter.

Und was ist mit der Angst vor höheren Zinsen? Glaubt man der Median-Prognose der Mitglieder des Offenmarktausschusses der Fed (wo die Zinsentscheidungen fallen) so wird die Fed Funds Rate bis Ende 2015 bei 1,25 % bis 1,5 % liegen. Händler sehen das anders. Sie setzen darauf, dass der Leitzins bis dahin nur auf 0,5 % steigt. Wir werden die Entwicklung natürlich mit Argusaugen verfolgen, doch zumindest momentan gehören wir ganz klar zu denen, die mit niedrigeren Zinsen über einen längeren Zeitraum rechnen. Ein höheres Zinsniveau in den USA würde jedenfalls tendenziell für zunehmende Kapitalzuflüsse sorgen, sodass der Wert des US-Dollar gegenüber anderen Währungen steigen würde. Die Wettbewerbsfähigkeit der USA würde hierdurch wahrscheinlich kaum Schaden nehmen, denn selbst nach ihrem jüngsten Hoch ist die Währung immer noch billiger als vor zehn Jahren.

Insgesamt finden Anleger also einen recht freundlichen Ausblick vor. Die Unternehmensgewinne wachsen weiterhin ordentlich; Artemis erwartet durchschnittlich 6 % pro Jahr. Das ist zwar nicht sensationell, aber alles andere als schlecht. Noch dazu bietet eine so grosse Volkswirtschaft wie die der USA unweigerlich zahlreiche Chancen für Anleger. Stellt sich die Frage, welche? Von den verschiedenen Investmentthemen und Sektoren halten wir vier für besonders vielversprechend:

  • Erstens, das Kabelfernsehen: Aufgrund von Bedenken bezüglich weiterer Regulierungsmassnahmen wurde der Sektor in jüngster Zeit durch eine Verkaufswelle schwer in Mitleidenschaft gezogen. Präsident Obama hat unlängst für grosses Entsetzen gesorgt, als er neue Massnahmen zum Schutz der sogenannten Netzneutralität forderte. Die Aufsichtsbehörde – die Federal Communications Commission – wird in Kürze einen Katalog neuer Vorschriften vorlegen. Wir glauben, dass die Reaktion der Anleger übertrieben ist und dass sich bei Unternehmen wie Comcast und Charter Kaufgelegenheiten bieten.
  • Zweitens, die Gesundheitsbranche: Auch dieser Sektor ist häufig in den Schlagzeilen, denn radikalere Republikaner, die nun wieder Oberwasser haben, fordern ein Ende von Obamacare. Wir halten die dadurch entstehende Verkaufswelle bei Gesundheitstiteln für übertrieben. Obamacare kommt bei den Menschen gut an. Wir denken nicht, dass die Reformen rückgängig gemacht werden. Krankenhauskonzerne wie HCA und Medizintechnologieunternehmen wie Beckton Dickinson werden profitieren.
  • Drittens, die Technologiebranche: Auch hier spielt die Politik eine entscheidende Rolle. Die wieder erstarkten Republikaner dürften für eine Absenkung der Unternehmenssteuern – zumindest auf das Niveau anderer OECD-Staaten – sorgen. Dies würde zu einer vorübergehenden steuerlichen Entlastung für die grossen Technologiekonzerne führen und ihnen die Möglichkeit geben, die riesigen Vermögen, die sie im Ausland halten, in die USA zurückzuführen. Zwei Unternehmen, auf die dieses Szenario unserer Meinung nach zutreffen würde, sind Intel und Apple.
  • Zu guter Letzt, das Thema Fracking: Bislang sind wir im Energiesektor untergewichtet. Anlagechancen bieten unseres Erachtens jene Unternehmen, die schon vor längerer Zeit Flächen in den besten Schieferfeldern erworben haben. EOG Resources ist eines von ihnen, und wir halten nach weiteren Ausschau.


Alles in allem haben Stock Picker in den USA also die Qual der Wahl. Sicher sind einige Titel schlicht und einfach teuer. Andere wiederum sind zwar teuer, aber aus gutem Grund. Wieder andere sind immer noch günstig zu haben. Wenn ich jedoch manchmal höre, dass US-Aktien im besten Fall fair bewertet sind, dann kann ich nur fragen „Relativ wozu?“.

Im Vergleich zu ihren europäischen Pendants werden US-Aktien derzeit zu einem Aufschlag gehandelt, der schon lange nicht mehr so niedrig war, und das trotz des starken Gegensatzes in der Konjunkturentwicklung der beiden Wirtschaftsräume. Auch in Relation zu anderen Assetklassen wie Staats- und Unternehmensanleihen sind US-Aktien immer noch billig im positiven Sinne."

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