23.12.2024, 08:37 Uhr
Der Spezialkunststoff-Hersteller Gurit will sich künftig ganz auf profitablere Regionen und Geschäftsbereiche konzentrieren. Im Zuge der angekündigten Restrukturierung sollen Werke in Dänemark, Indien und der...
Technologiewerte waren die Lieblinge der Investoren. Doch seit Anfang 2022 hat sich das geändert. In diesem Umfeld werde Profitabilität gegenüber Wachstum abgewogen, sagt René Kerkhoff von DJE Kapital, und zeigt interessante Einstiegschancen in den Tech-Sektor auf.
Lange genossen Technologiewerte ein besonderes Umfeld: Bei äusserst niedrigen Zinsen liess sich Wachstum leicht finanzieren und Wachstum rangierte vor Profitabilität. Dazu kam die Corona-Pandemie und damit eine Beschleunigung der Digitalisierung ganzer Sektoren und Lebensbereiche.
Das hat sich jetzt verändert: Die strukturellen Treiber, vor allem die Digitalisierung, sind nicht verschwunden, aber der monetäre Rückenwind hat sich durch die Zinswende in Gegenwind verwandelt. Wachstum zu finanzieren kostet jetzt mehr. Ausserdem bestehen geopolitische Risiken. "In dieser Situation geht vielen Investoren Profitabilität vor Wachstum. Der Markt passt sich aktuell an dieses neue Umfeld an", erklärt René Kerkhoff, Fondsmanager und Analyst für Internet, Tech und Automotive bei DJE Kapital. Der Nasdaq 100, der die Entwicklung der 100 grössten US-Technologieunternehmen spiegelt, hat seit Jahresanfang gut 31% verloren, der S&P 500, der Aktienindex der 500 grössten US-Unternehmen, dagegen "nur" 21%.
Im April stieg die Teuerung in Deutschland auf 8,3%, in den USA erreichte sie im Mai mit 8,6% sogar das höchste Niveau seit 1981. Ursache sind vor allem höhere Rohstoffpreise und Lieferkettenprobleme. Der Druck auf die US-Notenbank, die Zinsen weiter zu erhöhen, steigt weiter und die Renditen für 10-jährige Staatsanleihen liegen bereits bei 3,3%. "Höhere Zinsen machen Technologiewerten zu schaffen, weil zukünftige Gewinne mit einem höheren Abzinsungsfaktor versehen werden, was wiederum den Gegenwartswert des Unternehmens mindert", so Kerkhoff. Die höhere Inflation drücke zudem auf die Konsumentenstimmung.
Diese Kombination aus Inflation und schlechter Konsumentenstimmung mache sich in vielen Technologiesegmenten bemerkbar. Unternehmen, die eine hohe Basis aus den Coronajahren gebildet hatten und stark gewachsen sind, müssten nun ihre Prognosen für das laufende Jahr zurücknehmen. Das betreffe vor allem Unternehmen aus dem E-Commerce-, Social-Media- und Werbesegment, deren Wachstumsraten zurückgehen.
Nachdem zum Beispiel Snapchat schon im April vorsichtige Töne angeschlagen hatte, wurde der Ausblick im Mai aufgrund des schlechten Konjunkturumfeldes und der abnehmenden Konsumdynamik noch einmal reduziert. Snapchat ist als Social-Media-Unternehmen darauf angewiesen, dass Kunden für verschiedene Arten von Anzeigeprodukten auf der Plattform Geld ausgeben. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit werden solche Ausgaben jedoch oft als erste reduziert. Insofern prüfen auch viele Technologiekonzerne und Startups nun Kostensenkungsoptionen. So werden Neueinstellungen erst einmal aufgeschoben oder einzelne Mitarbeitende werden sogar entlassen. Tesla etwa kündigte einen weltweiten Einstellungsstopp an und prüft, die Mitarbeiterzahl um 10% zu reduzieren.
"Ein weiterer Faktor, der wie ein Brandbeschleuniger für den Technologiesektor wirkt, sind die Investoren, die ihre zum Teil starke Übergewichtung in dem Sektor reduzieren", sagt Kerkhoff. In Hochzeiten der Corona-Pandemie, als viele Menschen im Homoffice sassen, stemmten nicht-professionelle Investoren rund 30% des Handelsvolumens der sogenannten "Corona-Gewinner" wie Peloton, Netflix oder Zoom über Trading-Plattformen wie Robinhood. "Nun sind es unter 10% des Handelsvolumens, und die meisten Anleger werden ihre Positionen mit Verlusten verkauft haben. Aber auch professionelle Investoren haben in den letzten Monaten den Abverkauf befeuert und die Sektor-Rotation angeheizt", führt er fort. Laut Goldman Sachs haben Hedge-Fonds im ersten Quartal die Sektoren Technologie, zyklische Konsumgüter und Dienstleistungen um 15% abgebaut und Energie, Rohstoffe, Industrie und Banken um 13% aufgebaut.
Hier sei allerdings eine Differenzierung wichtig. Manche von der Pandemie befeuerten Trends seien verschwunden, andere jedoch hätten noch an Momentum gewonnen und würden das Umsatzwachstum treiben. Somit hinke der Vergleich mit der "Dotcom-Blase" von vor knapp 20 Jahren etwas. Einige Geschäftsmodelle von damals existierten nur auf dem Papier, waren unprofitabel oder nicht real. "In den vergangenen 20 Jahren hat sich das geändert. Begünstigt durch die Demografie und das sich ändernde Kundenverhalten gab es eine nachhaltige Wende hin zu digitalen Technologien und Dienstleistungen, die nun überproportional profitabel sind und meistens höhere Margen erwirtschaften als klassische Unternehmen", erklärt Kerkhoff.
Durch den aktuellen Abverkauf und die somit deutlich günstigeren Bewertungen in einer Branche, in der strukturell zugrundeliegende Trends intakt sind, könnten sich nun Fusionen und Übernahmen häufen. Auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase hatten die Technologiewerte im S&P 500 ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 62,3, das heutige KGV im Nasdaq 100 liegt dagegen bei 24,1. Auch die EBIT-Margen liegen heute im Nasdaq 100 mit 20,1% oberhalb des S&P 500 mit 16,1%, obwohl einige der Nasdaq-Unternehmen noch keine Gewinne machen. Von 2015 bis heute konnten sich die durchschnittlichen Umsätze der Nasdaq-Werte fast verdoppeln, die aus dem S&P 500 stiegen dagegen nur um 48%. Die Nettoschulden zu EBITDA liegen im Nasdaq 100 bei 0,65x und im S&P 500 bei 1,0x.
"Diese Vergleiche zeigen, dass die Tech-Werte besser aufgestellt sind als früher und durch die wirtschaftlich guten Jahre auch gewisse Cash-Polster aufgebaut haben, um in schlechteren Zeiten Liquidität für Aktienrückkaufe, Dividenden oder Zukäufe zu haben. Auch für Private-Equity-Investoren könnte der Abverkauf interessant sein", so der Experte. Die Beteiligungsgesellschaft Argos Wityu, die Private-Equity-Transaktionen rund um europäische Unternehmen analysiert, konstatiert eine Angleichung der Bewertungen unterschiedlicher Branchen. Zahlten Käufer für Technologiefirmen im Schlussquartal 2021 noch vier EBITDA-Beträge mehr als für andere Industrieunternehmen, schrumpfte die Differenz im ersten Quartal auf einen EBITDA-Betrag. Denn das Interesse für renditestarke Transaktionen in der Private-Equity-Branche sei weiterhin hoch. So meldete Advent, eine angelsächsische Beteiligungsgesellschaft, jüngst den Abschluss eines neuen Fonds über 25 Mrd. Dollar. Er gilt als zweitgrösster Fonds der Welt.
Im Technologiesektor seien vor allem Unternehmen attraktiv, die sich auf Cybersecurity spezialisiert haben. Durch die wachsende Digitalisierung der Unternehmen und den aktuellen Konflikt in der Ukraine steige weltweit auch die Anfälligkeit für Cyber-Attacken. Um geistiges Eigentum zu schützen, werde die Nachfrage an Cyber-Security-Lösungen deshalb mindestens so stark steigen wie die Digitalisierungsrate in den Unternehmen. "Der Branche stehen dadurch hohe Investitionen bevor, sodass die weltweiten Umsätze mit Cybersicherheit bis ins Jahr 2026 um knapp 60% auf 345 Mrd. Dollar steigen könnten", rechnet Kerkhoff vor. Platzhirsch für vertikale Sicherheitslösungen ist Palo Alto mit einem Marktanteil von knapp 20%, gefolgt von Fortinet und Cisco.
Spannende Investitionsmöglichkeiten gebe es auch für Cloud- und Software-Anbieter, die sich oft durch hohe Margen und wiederkehrende Umsätze auszeichnen. Der Trend zur Cloud sei ungebrochen und habe sich zuletzt sogar noch einmal beschleunigt. Denn eine externe Cloud biete Unternehmen mehrere Vorteile: Einerseits müssen keine lokalen Kapazitäten bereitgestellt werden, auch die Kosten für das Betreiben oder die Anschaffung von Servern entfallen.
Auch Software könnte weiter Potenzial haben. Der Hauptgrund dafür sei der Trend hin zu "Software as a Service" (SaaS). Daraus ergeben sich kalkulierbare, wiederkehrende Einnahmen, ein stabiler Cashflow und dauerhafte Kundenbindungen – aber auch eine gewisse Abhängigkeit. Einige Softwareunternehmen, darunter Adobe, Salesforce, Intuit oder Autodesk können über 90% ihrer Umsätze als wiederkehrend verbuchen. "Solche verlässlichen Einnahmen sind für Investoren gerade dann interessant, wenn die konjunkturelle Lage ungewiss ist", so Kerkhoff.
Nicht alle Tech-Unternehmen seien lohnende Investitionsziele. Selektive Analysen und Auswahlverfahren seien daher äusserst wichtig. Eine eventuelle Rezession könnte den Technologiewerten sogar helfen, meint der Experte: "Die Inflation würde sich abkühlen, der Druck von der Zinsseite ginge zurück, und Wachstum liesse sich wieder günstiger finanzieren. Was zudem für Technologietitel spricht: Sie sind weniger abhängig von Rohstoffpreisen und Lieferketten und können Preiserhöhungen meistens gut an den Kunden weitergeben."