23.12.2024, 08:37 Uhr
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Der Anstieg der US-Inflationserwartungen und der sogar noch stärkere Anstieg der US-Nominalrenditen haben den Yen seit Jahresbeginn zur schwächsten Währung unter den Währungen der Industrieländer gemacht. In Zukunft wird die Entwicklung des Yen hauptsächlich von der Frage bestimmt werden, ob sich die globale Reflation als langfristiges Szenario erweist, meint Sven Schubert von Vontobel.
"Er ist ein Veteran unter den führenden Weltwährungen: Der japanische Yen (JPY) feierte vergangenen Monat sein 150-jähriges Bestehen. Seine Entwicklung hin zu einer der teuersten Währungen der Welt wurde von der japanischen Zentralbank und Regierung stets mit Sorge beäugt, genauso wie aus dem Ausland, von wo aus wiederholt versucht wurde, ihn im Zaum zu halten", beginnt Sven Schubert, Senior Investment Strategist bei Vontobel, seinen Einblick in die Geschichte des Yen.
Dies habe einen gemischten Erfolg für das Heimatland der Währung zur Folge gehabt, fährt Schubert fort: "Seit Jahrzehnten erweist sich der Kampf gegen die Inflation als aussichtslos. Die Konjunkturpakete als Reaktion auf die Covid-19-Krise schienen dem JPY einen willkommenen Dämpfer zu versetzen, da die Renditen von Staatsanleihen weltweit wieder von ihren Rekordtiefstständen anzusteigen begannen. Der Anstieg der US-Inflationserwartungen und der sogar noch stärkere Anstieg der US-Nominalrenditen (steigende Realrenditen) haben den Yen seit Jahresbeginn zur schwächsten Währung unter den Währungen der Industrieländer gemacht. In Zukunft wird die Entwicklung des Yen hauptsächlich von der Frage bestimmt werden, ob sich die globale Reflation als langfristiges Szenario erweist."
In den 1960er-Jahren setzten Japan und die USA unwissentlich einen Teufelskreis in Gang, der zur jahrzehntelangen Aufwertung des JPY führte. Ein Durchbrechen erweise sich seit jeher als schwierig, sagt Schubert. Handelsspannungen sorgten damals für mächtig Unruhe zwischen den beiden Supermächten. Die USA verloren – befeuert durch die immer besser werdende Qualität von japanischen Produkten und protektionistische Massnahmen der japanischen Regierung – globale Marktanteile an ihre japanischen Wettbewerber.
Als das Bretton-Woods-System im Jahr 1971 scheiterte, die USA sich vom Goldstandard lösten und Weltwährungen zu einer Neuausrichtung gezwungen waren, machte sich der JPY vor dem Hintergrund des starken Wirtschaftswachstums und steigenden Handelsüberschusses zu einem ungehinderten Höhenflug auf. "Die anhaltenden Handelsspannungen konnten den Erfolg des japanischen Handelssektors nicht stoppen – zum Teil auch deshalb, weil die japanische Regierung sich weigerte, ihre protektionistische Politik aufzugeben", blickt Schubert zurück. Und so behielt der JPY nahezu die 1970er-Jahre hindurch seine Stärke. In der Folge erreichte der JPY sogar weitere Höchststände, als 1985 koordinierte Interventionen der G5 mit dem Ziel einer Dollar-Schwächung eine schmerzhafte Aufwertung von 240 auf 120 JPY pro USD auslösten.
"Diese Entwicklungen schworen eines der gefürchtetsten Wirtschaftsphänomene herauf: Deflation", betont der Investmentstratege. Deren Auswirkungen wurden durch das Platzen der japanischen Finanzblase zu Beginn der 1990er-Jahre noch verstärkt. Nachdem die Prinzipien der Kaufkraftparität einsetzten, sanken die Preise in Japan und glichen so die Auswirkungen des gestärkten JPY aus – und die Aufwertung wurde zu einem langfristigen, nachhaltigen Phänomen. "Da deflationäre Tendenzen ein ungünstiges Geschäftsklima schaffen, Investitionen tendenziell erschweren und so das potenzielle Wachstum reduzieren, entstand eine fatale Spirale aus langsamem Wachstum und Deflation", erklärt der Experte weiter. Seitdem sind die japanischen Wachstumsraten von durchschnittlich 7% in den 1950er- bis 1990er-Jahren auf heute magere 1.2% eingebrochen.
Erst im April 1995 dann der Versuch, den Teufelskreis zu durchbrechen: Die USA und Japan definierten ihre Beziehung durch die gemeinsame Deklaration der «Allianz für das 21. Jahrhundert» neu. Mittels konzertierter Interventionen wurde zwischen 1995 und 1998 erreicht, den JPY nachhaltig von USD/JPY 84 auf 144 zu drücken.
"Als wäre die Angelegenheit nicht kompliziert genug, stieg der JPY zur Safe-Haven-Währung auf. Eine Steuerung des JPY wurde hierdurch noch schwieriger, da der Safe-Haven-Status sein Verhalten als Reaktion auf wesentliche Marktereignisse und langfristige makroökonomische Trends grundlegend veränderte. Safe-Haven-Währungen weisen in der Regel eine Reihe gemeinsamer Merkmale auf, darunter politische Stabilität, tiefe und liquide Finanzmärkte, niedrige Zinsen und hohe Netto-Auslandsvermögenspositionen. Japan und seine Währung erfüllen alle diese Kriterien", erläutert Schubert.
Die "Schuldigen" für diese Entwicklung seien erneut leicht auszumachen: der Handelskrieg zwischen den 1960er- und 1990er-Jahren und das Platzen der japanischen Finanzblase. Der starke japanische Unternehmenssektor erzielte zu jener Zeit wiederholt Handelsüberschüsse in einer Grössenordnung von 2% bis 5% des BIP, was zu einem beträchtlichen Anstieg der Auslandsvermögenspositionen führte. Während die Repatriierung von Auslandsvermögen tendenziell zu Aufwärtsdruck auf eine Währung führt, fungieren beträchtliche Auslandsvermögensposition in Zeiten von Finanzierungsstress als Puffer, da bei knappen Kapitalressourcen auf diese Gelder zurückgegriffen werden kann. Seit Mitte der 1990er-Jahre sind die Auslandsvermögenspositionen Japans von 18% auf beeindruckende 68% des BIP angestiegen. Nur Norwegen (316%) und die Schweiz (100%) weisen höhere Fremdwährungsüberschüsse auf.
Wie Schubert weiter ausführt, haben darüber hinaus historisch tiefe Zinsen – als Resultat der lockeren Geldpolitik der BoJ nach der japanischen Finanzblase – den JPY seit 1990 in eine Finanzierungswährung für «Carry Trades» gegen höher rentierliche Währungen wie den australischen Dollar verwandelt. Bis heute tendieren spekulative Short-Positionen in JPY dazu, in Phasen erhöhter Risikobereitschaft zu steigen und umgekehrt. Die Auflösung einer Vielzahl von Carry Trades kann zu heftigen Währungsfluktuationen führen: Dies wurde am 7. Oktober 1998 offensichtlich, als der Zusammenbruch des LTCM-Hedgefonds mit weitreichenden Dominoeffekten auf den globalen Finanzmärkten Marktteilnehmer schockte.
Durch den Einbruch der Risikobereitschaft wertete der JPY innert eines Tages um 7% gegenüber dem USD auf, gefolgt von einer längeren Periode mit erhöhter Marktvolatilität. Aktuell hat der mit dem JPY finanzierte Carry Trade an Bedeutung verloren, da das anhaltende globale Niedrigzinsumfeld eine Reihe weiterer Währungen für die Finanzierung von Carry Trades attraktiv gemacht hat. Die Entwicklung des JPY wird jedoch weiterhin vorwiegend von antizyklischem Verhalten angetrieben. Daher sträubt er sich gegen monetäre und fiskalpolitische Instrumente, die entwickelt wurden, um ihn im Zaum zu halten.
"Der JPY hat zwar in der ersten Jahreshälfte 2021 eine gewisse Abwertung erlebt, damit er jedoch nachhaltig sinkt, müsste die Konjunkturerholung nach der Covid-19-Krise fortdauern, die Inflation mehr als nur vorübergehend sein und die Realzinsen ausserhalb Japans müssten schliesslich steigen", sagt der Investmentstratege.
Ökonomische Modelle deuteten allerdings derzeit darauf hin, dass die Weltwirtschaft ihren Wachstumshöhepunkt bereits überschritten hat. Darüber hinaus scheine der globale Reflationshandel an Schwung zu verlieren. Für Japan bedeute dies die Gefahr einer erneuten Verengung der Renditedifferenzen, da andere Währungen ihre relative Attraktivität im Vergleich zum JPY einbüssten. "Die weltweite Inflation nähert sich derzeit ihrem Höchststand, da Basiseffekte nachlassen, globale Energiepreise sich stabilisieren dürften und deflationäre strukturelle Kräfte (technologische Innovationen, Wohlstandsgefälle usw.) uns länger erhalten bleiben. Daher ist es unwahrscheinlich, dass der globale Reflationshandel eine Wiederaufwertung des JPY verhindern wird. De facto dürfte der JPY über einen 12-Monats-Horizont eine Erholung auf ein Niveau um 105 pro USD erreichen", schliesst Schubert seinen Einblick in die Geschichte und Entwicklung des JPY.