Provisorium für Griechenland

Bild: Nico Meier /pixelio.de
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Nach dem üblichen Zank und Streit konnten sich Griechenland und die Europartner schliesslich in letzter Minute auf eine Verlängerung des Hilfsprogramms EFSF einigen. Im Gegenzug soll Griechenland sich jetzt an die Regeln halten. Soll heissen: Das aktuelle Programm bildet den Rahmen, in dem die Verhandlungen stattfinden werden. Das bedeutet, dass Griechenland Reformen nicht mehr einseitig rückgängig machen kann und die Überwachung durch die drei Institutionen EZB, Europäische Kommission und IWF zulassen muss, dies schreibt ING IM in seinem neusten Q&A.

02.03.2015, 17:22 Uhr

Redaktion: kgh

Wird Griechenland gezwungen sein, den Sparkurs der vorherigen Regierung fortzusetzen?
Gewisse Flexibilität – Im Gegenzug für Griechenlands Bereitschaft, sich an die Bedingungen für die Verlängerung zu halten, wird dem Land ein bislang noch nicht konkretisiertes Mass an Flexibilität im Hinblick auf seine Haushaltsziele für 2015/16 gewährt. Grund ist das gestiegene Risiko einer wirtschaftlichen Schrumpfung. Auch bei der Wahl der Strukturreformen, die demnächst durchzuführen sind, hat das Land jetzt mehr Spielraum.

Was sind die nächsten Schritte?
Nachfolgeprogramm – In diesem Zeitraum muss zweierlei erreicht werden: Erstens wird man sich über ein Nachfolgeprogramm einigen müssen, das konkrete Haushaltsziele und verbindliche Strukturreformen festlegt. Das soll bis Ende April geschehen. Zweitens müsste die entsprechende Vereinbarung vom griechischen Parlament gebilligt werden.

Wie wird sich Griechenland in der Zwischenzeit finanzieren?
Ungelöste Probleme – Ein Aspekt ist noch völlig ungeklärt: Wie wird sich Griechenland finanzieren, wenn ihm noch vor Ende April das Geld ausgeht? Angesichts der enttäuschenden Steuereinnahmen ist das jedenfalls nicht ausgeschlossen. Sofern die Verhandlungen vorankommen, wären die Europartner u. U. bereit, der Ausgabe weiterer Staatsanleihen zuzustimmen.

Werden griechische Banken Zugang zum Liquiditätsmechanismus der EZB haben?
Bankenfinanzierung – Offen ist auch, wann die EZB griechische Staatsanleihen wieder als Sicherheit akzeptieren wird, wenn sich griechische Banken bei ihr Geld leihen wollen. Europäische Banken können die regelmässigen Refinanzierungsgeschäfte der EZB nutzen, um sich mit ausreichenden Mitteln für ihr Tagesgeschäft zu versorgen. Dazu vergibt die EZB normalerweise kurzfristige Darlehen, für die die Banken Sicherheit leisten müssen.

In der Regel verlangt die EZB Investment-Grade-Assets als Sicherheit, kann bei Ländern, deren Anleihen als Junk geratet werden, aber auf dieses Erfordernis verzichten. Voraussetzung für einen solchen Verzicht ist indes die Teilnahme an einem Hilfsprogramm und die Einhaltung dessen Auflagen. Vermutlich wird die EZB so lange zur Finanzierung des griechischen Bankensystems bereit sein, wie sich Fortschritte bei den Verhandlungen abzeichnen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass dieser Deal zustande kommt?
Risiken sind gesunken – Es geht hier nur um den ersten Schritt, der Teufel wird in den Details der zu vereinbarenden Haushaltsziele und Strukturreformen sitzen. Wir rechnen mit der Kompromissbereitschaft der Parteien. Vorerst kann man davon ausgehen, dass keine der Parteien die Möglichkeit einer Einigung über die sprichwörtliche Klippe stürzen lassen will. „Unfälle“ sind zwar nicht ausgeschlossen, doch das Risiko ist gesunken.

Welche Risiken könnten den Deal zum Scheitern bringen?
Griechenland hat die schlechteren Karten – Griechenland hat eindeutig die grössten Zugeständnisse gemacht. Auch bei den weiteren Verhandlungen werden die Europartner die besseren Karten haben, umso mehr, falls Griechenland vor Ende April das Geld ausgeht oder es zu erneuter Kapitalflucht kommt. Das grösste Risiko besteht darin, dass Ministerpräsident Tsipras zu grosse Zugeständnisse macht und der linke Flügel seiner Partei die Zustimmung im Parlament torpediert. Erschwerend kommt der Mangel an Vertrauen zwischen den Verhandlungspartnern hinzu. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die verfügbaren Mittel, die in einem Fonds eigens für die Rekapitalisierung griechischer Banken vorgesehenen sind, an die EFSF zurücktransferiert werden.

Was würde mit der Eurozone im Falle eines Grexit passieren?
„Brandschneisen“ entscheidend – Das Risiko eines Grexit ist zwar gesunken, aber nicht verschwunden. Wie stark sind die „Brandschneisen“ wirklich, die den Rest der EWU vor einem Flächenbrand bewahren sollen, also das Anleihekaufprogramm der EZB und die EU-Bankenunion? Ihre Wirkung hängt vom politischen Willen ab, die Währungsunion auch bei einem Grexit zusammenzuhalten. Dieser Wille könnte zunächst durch den kooperativen Geist unter den EWU-Regierungen – ausser Griechenland – noch gestärkt werden. Auch andere Regierungen an der EWU-Peripherie – vor allem Spanien und Portugal – dürften vorerst am gleichen Strang wie Kerneuropa ziehen, gilt es doch den Eindruck zu vermeiden, Kerneuropa könne zu Zugeständnissen erpresst werden. Das nämlich könnte in Unterstützung für populistische Parteien an der Peripherie münden.

Insofern werden die EWU-Regierungen – ausser Griechenland – wohl Einigkeit und politische Entschlossenheit demonstrieren. Dennoch könnte diese Strategie sich als Bumerang erweisen, denn das politische Rezept, auf das sich die EWU-Politiker jetzt eingeschworen haben, ist für die anhaltende – und völlig unnötige – wirtschaftliche Schwäche der Region mitverantwortlich. Dadurch könnten populistische Parteien Zulauf erhalten und die politische Unterstützung für ein System wirtschaftspolitischer Brandschneisen sinken.

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