«Nachhaltige Investitionen in Schwellenländer»

Linda Lehmann, Senior Investment Specialist, bei der Banque Gonet über die ESG-Analyse in unterschiedlichen Regionen der Welt. (Bild pd)
Linda Lehmann, Senior Investment Specialist, bei der Banque Gonet über die ESG-Analyse in unterschiedlichen Regionen der Welt. (Bild pd)

Sind verantwortungsvolle Investitionen und Schwellenländer miteinander vereinbar? «ESG-Aspekte scheinen in diesen Teilen der Welt nur schwer anwendbar zu sein. Genau hinschauen lohnt sich», schreibt Linda Lehmann, Senior Investment Specialist, bei der Banque Gonet.

03.07.2024, 09:52 Uhr
Nachhaltigkeit

Auf den ersten Blick scheinen nachhaltige Investitionen und Schwellenländer unvereinbar zu sein. «Unsere Standards aus den Industrieländern gelten in diesen Ländern einfach nicht, da dort die Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards bei weitem nicht so streng sind. Und doch! Die ESG-Analyse ist das Herzstück der Analyse von Schwellenländern. Nicht zuletzt, weil es dabei in erster Linie um die Verringerung wesentlicher Risiken geht», erläutert Lehmann.

In einer zunehmend geografisch zersplitterten und konfliktbeladenen Welt sei die Gefahr gross, dass Nachhaltigkeit zur Nebensache werde. Doch sei es wichtiger denn je, auf einen nachhaltigen, sozial inklusiven und «fairen» Wandel hinzuarbeiten. In Schwellenländer zu investieren, bedeute auch, in eine gerechtere und stabilere Welt zu investieren, die das Wirtschaftswachstum fördere und den internationalen Handel erleichtere.

Vergleiche schwierig, aber nicht unmöglich

Die auf Schwellenländer angewandte ESG-Analyse ist keine neue Disziplin. «Doch leidet sie immer noch unter den Einschränkungen, die mit dem Fehlen eines Rahmens wie in unseren so genannten entwickelten Ländern verbunden sind», schreibt die Expertin. Die Standards für Regulierung, Governance, Interpretation und Berichterstattung seien unterschiedlich und müssten vorurteilsfrei analysiert werden. Dies erfordere die Erhebung und Analyse zuverlässiger, vergleichbarer Daten. In Ermangelung eines Rahmens seien Vergleiche schwierig, aber nicht unmöglich. Bei der Datenerhebung werden auch zunehmend von Wissenschaftlern entwickelte Instrumente zur räumlichen Verortung eingesetzt.

Biologische Vielfalt: ein zentrales Thema

Die biologischen Vielfalt könne nicht erhalten werden, ohne die lokalen Gemeinschaften in den Entwicklungsländern intensiv zu unterstützen. Die Menschen dort seien in hohem Masse von den Leistungen der Ökosysteme abhängig und stehen an vorderster Front, wenn es um die Risiken des Artensterbens und des Klimawandels geht. Die am stärksten durch menschliche Aktivitäten bedrohten Gebiete, befinden sich hauptsächlich im Süden. Obwohl diese Hotspots nur 2,5 Prozent der Erdoberfläche ausmachen, erbringen sie 35 Prozent der Ökosystemleistungen, von denen gefährdete Bevölkerungsgruppen abhängen. Ihr Schutz sei daher von grundlegender Bedeutung, was ein Problem des Gleichgewichts zwischen der rationellen Nutzung der natürlichen Ressourcen und dem Überleben der lokalen Bevölkerung darstelle.

Ein günstiges wirtschaftliches Umfeld

Abgesehen von den ESG-Faktoren scheine der aktuelle makroökonomische Kontext eine optimistischere Sicht auf die Schwellenländer zu begünstigen, indem eine geografisch und sektoral diversifizierte Position eingenommen wird. «Mit anderen Worten: Wir sollten nicht alles auf Asien - allen voran China, wo die Nachfrage sich nur mühsam erholt - und Technologie setzen.» Was die Bewertung betrifft, so bieten die Aktien-Indizes in den Schwellenländer derzeit einen Abschlag gegenüber den Industrieländern und hinken in der Performance hinterher, was vor allem auf China zurückzuführen ist (siehe Grafik). Gleichzeitig seien die Wachstumsaussichten in den Schwellenländern mit +18,9 Prozent im Jahresvergleich laut Bloomberg-Konsens, gegenüber +11 Prozent für die Vereinigten Staaten und -0,5 Prozent für Europa weitaus besser.

Comparative performance of MSCI World, MSCI World Equity and MSCI Emerging Markets (base 100 in January 2020)


Der Schwellenländerblock profitiere auch von einem günstigen Umfeld, das auf seine starke Korrelation mit dem US-Dollar zurückzuführen ist. Die Performance der Schwellenländer ist umgekehrt korreliert mit den US-Zinsen und dem US-Dollar. Für dieses Phänomen gibt es zwei Hauptgründe. Der erste ist die Suche der Anleger nach Rendite. Wenn die US-Renditen unattraktiver werden, suchen die Anleger nach Performance in anderen Regionen. Der Grossteil vieler Schwellenländer ist nach wie vor an den US-Dollar gebunden (Schulden oder Rohstoffe), so dass ein schwächerer US-Dollar gut für den Block ist.

Jeder Tropfen zählt

«Unser Szenario geht von einer Zinssenkung in den USA und einer anschliessenden Abschwächung des US-Dollars aus, was die Performance der Schwellenländer unterstützen wird. Wir sind der Meinung, dass eine geografisch und sektoral diversifizierte Positionierung heute eine bessere Strategie ist als auf einen bestimmten Markt zu setzen. Auch die ESG-Analyse ist unbestreitbar wichtig, da sie es uns ermöglicht, Risiken wie die Anfälligkeit für Kontroversen zu minimieren. Schliesslich dürfen wir uns nicht von der Schwierigkeit der Aufgabe abschrecken lassen. Im Ozean der Nachhaltigkeit zählt jeder Tropfen», so das Fazit.

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