07.10.2024, 10:19 Uhr
Angesichts der vielen Marktunsicherheiten stehen zurzeit Anlagemöglichkeiten mit möglichst geringen Schwankungen im Fokus vieler Investoren. Die Candriam-Experten Servaas Michielssens, Head of Healthcare, Thematic...
Künstliche Intelligenz wird ein immer wichtigerer Wirtschaftsfaktor. Alles, was ein Mensch unmittelbar und ohne nachzudenken ausführe, könnte laut Frédéric Le Hellard von Reyl Intesa Sanopaolo durch KI ersetzt werden. Wenn man die Funktionsweise und die Grenzen der KI verstehe, könne man sich vorstellen, wie sie in der Finanzwelt eingesetzt werden könnte.
"Künstliche Intelligenz (KI) ist nicht mehr nur ein Thema für Forschungslabore und Science-Fiction-Romane, die in der Öffentlichkeit Fantasien, Faszination und Ängste hervorrufen, sondern ein Thema, das unser Leben prägt", ist Frédéric Le Hellard, Chief Information Officer bei Reyl Intesa Sanopaolo, überzeugt. Laut der International Data Corporation (IDC) stellt die KI im Jahr 2021 einen riesigen globalen Markt von 350 Mrd. USD dar, der durchschnittlich um 18,8% pro Jahr wächst. PWC schätzt, dass die KI bis 2030 15,7 Bio. USD zur Weltwirtschaft beitragen wird. "Es geht auch um die globale Vormachtstellung zwischen den Grossmächten. Die Rivalität zwischen China und den USA wird oft als eine Art kalter Krieg hervorgehoben. Die Realität sieht anders aus: Die USA sind weit voraus und Europa ist als dritter Akteur alles andere als unbedeutend", sagt Le Hellard.
Seiner Ansicht nach bleibt KI für viele von uns ein geheimnisvolles, etwas magisches Gebiet, in dem die Maschine das menschliche Gehirn nach und nach überholt. Tatsächlich handele es sich um ein relativ altes Forschungsgebiet, dessen Entstehung auf die 1950er-Jahre zurückgeht. Wie Le Hellard weiter erläutert, war es zunächst die symbolische KI (formale Logik und Wissensrepräsentation), die die Disziplin ins Rollen brachte, doch die jüngsten Fortschritte sind mit der numerischen KI (Statistik und Massendatenmanipulation) verbunden. Letztere ist mit 89% der 55’000 KI-Patente, die 2017 angemeldet wurden, auf dem Vormarsch, was vor allem den gewaltigen Entwicklungen bei den Rechen- und Verarbeitungskapazitäten für gigantische Datenmengen zu verdanken sei. Laut François Chollet, Leiter der KI-Entwicklungsabteilung bei Google, "werden wir bald Sprachmodelle auf alle menschlich verfügbaren Texte trainiert haben".
Um ein Problem zu lösen, so Le Hellard, greife das menschliche Gehirn auf zwei Funktionsweisen zurück: Intuition und logisches Denken, wobei beide miteinander kombiniert werden. Überraschenderweise werde sich die KI im Bereich der Intuition auszeichnen, während sie sich im Bereich des logischen Denkens als schlecht erweisen werde. Alles, was ein Mensch unmittelbar und "ohne nachzudenken" ausführe, könnte durch KI ersetzt werden: Autofahren in einer gewöhnlichen Situation, Spracherzeugung, Erkennen von Objekten. Im medizinischen Bereich sei die KI bereits sehr beeindruckend, indem sie zum Beispiel einen Krebstumor auf einem Röntgenbild viel besser erkennen kann als das menschliche Auge.
"Diese unglaublichen Fähigkeiten erzeugen eine Allmachtsfantasie, der kein Problem widerstehen kann, doch es gibt durchaus Grenzen", betont der Chief Information Officer. Das Streben der KI-Akteure sei die Human Level Artificial Intelligence (HLAI), aber "wir haben kein Lernparadigma, das es Maschinen ermöglicht zu lernen, wie die Welt funktioniert", so Yann Le Cun. Es fehlten grundlegende Konzepte, die durch Rechenkraft allein nicht gelöst werden können. Ausserdem habe das maschinelle Lernen problematische Verzerrungen, die mit seinem Lernen zusammenhängen: Beginne man einen Satz mit dem Wort "Muslim", enthalte die maschinelle Sprachvervollständigung, die vom KI-Modell GPT-3 von OpenAI erzeugt werde, in 60% der Fälle gewalttätige Sprache, während es weniger als 20% sind, wenn "Muslim" durch "Buddhist" ersetzt wird. Die automatisch erzeugten Inhalte reproduzierten auf natürliche Weise die Vorurteile der Millionen von Texten, die zu ihrem Lernen verwendet wurden.
Wenn man die Funktionsweise und die Grenzen der KI verstehe, könne man sich vorstellen, wie sie in der Finanzwelt eingesetzt werden könnte, sagt Le Hellard und gibt Beispiele: "Die Bekämpfung der Geldwäsche ist, sofern sie mit ausreichenden Datenmengen gefüttert wird, zweifellos ein bevorzugter Bereich der KI. Die Erkennung von Betrugsfällen inmitten von Millionen von Transaktionen durch ein maschinelles Lernsystem, das durch frühere Betrugsfälle geschult wurde, wird sich als äusserst effizient erweisen. Bereiche, in denen grosse Datenmengen analysiert werden müssen, sind ausgezeichnete Kandidaten, zum Beispiel Cybersicherheit, Kreditanalyse oder Risikoberechnungen."
Eine KI, die Marktentwicklungen vorhersagen könne, sei jedoch eine Utopie. Zwar würden einige Startups, die im High Frequency Trading tätig sind, mit der Leistungsfähigkeit ihrer KI-Modelle werben, aber auf lange Sicht müsse sich das erst noch erweisen. Die Argumente, auf die man sich berufen müsse, die besonders unvorhersehbaren Kontextereignisse und die den Marktteilnehmern innewohnenden Emotionen, seien allesamt Hindernisse für eine effiziente Anwendung eines KI-Modells in diesem Bereich.
"Die KI gestaltet bereits einige Bereiche des Finanzwesens und die tiefgreifendsten Veränderungen liegen gewiss vor uns. Die Banken müssen bereits heute die Auswirkungen bewerten, die Technologien verstehen und KI schon heute in ihre Strategie integrieren, um für die Herausforderungen von morgen gerüstet zu sein", meint Le Hellard.